Marilyn und ich wurden im selben Jahr (1926) geboren und wuchsen in demselben repressiven Amerika der Dreißiger- und Vierzigerjahre auf. Für uns beide wurde Nacktheit zu einem Symbol sexueller Befreiung, und sie spielte eine wichtige Rolle in unser beider Leben.
„Der Drang, sich auszuziehen, war ihre hervorstechende Marotte“, schrieb das „Time Magazine“. “Ich träumte, dass ich in der
Kirche aufstand und nichts anhatte’, erinnerte sie sich, ,und alle Leute lagen mir zu Füßen.’ Jahre später posierte sie nackt für den berühmtesten Kalender der Christenheit und war von diesem Moment an die einzige Blondine der Welt.“
Als der Playboy Tom Kelleys Aktmodell als erste „Playmate des Monats“ (die in der ersten Ausgabe noch „Sweetheart des Monats“ hieß) präsentierte, schien die Zukunft sowohl der Schauspielerin als auch unseres Magazins gesichert, und die Verbindung zwischen beiden blieb für immer bestehen.
Damals schrieb ich über Marilyn: „Ein einfacher Augenaufschlag oder eine kleine Bewegung von ihr hat mehr Sexappeal als jedes Krawall-, It-, Knisper-, Knasper- oder Knusper-Girl in Hollywoods
sinnlicher Geschichte. Sie ist so bekannt wie Dwight Eisenhower und Dick Tracy, und sie und Dr. Kinsey haben den Sex in diesem Jahr (1953) derart monopolisiert, dass an manchen hohen Stellen Untersuchungen geführt werden, die eine Verletzung von Kartellrechten ausschließen sollen.“
„The Magnificent Marilyn“
Wir verfolgten ihre Karriere über das gesamte Jahrzehnt hinweg. In der Ausgabe vom Dezember 1960 widmeten wir ihr eine Bilderstrecke mit dem Titel „The Magnificent Marilyn“. Sie beinhaltete ein provokantes Foto von Hollywood-Glamourfotograf AndrØ de Dienes, das sie beim Frühstück im Bett zeigte; eine stilvolle Schwarz-Weiß-Serie mit Standbildern von Milton Greene während ihrer Ausbildung bei Lee Strasberg in New York; und eine bisher unveröffentlichte Doppelbelichtung, die aus dem Shooting für den Nacktfotokalender stammte, als Kelley, verständlicherweise abgelenkt, zwischen den Posen einen neuen Film einzulegen vergaß.
Für Dezember 1962 hatten wir eine Bilderstrecke von Lawrence Schiller und William Reed Woodfield in Planung. Es ging um die Nacktschwimmszene des unvollendeten 20th-Century-Fox-Films „Something’s Got to Give“, bei dem George Cukor Regie führte und Dean Martin die männliche Hauptrolle spielte. Agnes Flanagan, Marilyns Friseurin am Set, berichtete: „Nachdem die Schwimmszene abgedreht war, fragte sie mich: ,Glaubst du, das war geschmacklos?’
Ich versicherte ihr, die Szene habe überhaupt nichts Anzügliches. Ihre Figur war schöner als je zuvor. Ein perfekter Körper wie der von Marilyn sieht nackt wunderschön aus, und Schönheit ist niemals vulgär. Ihre animalische Anziehungskraft, obwohl bisweilen flamboyant, hatte immer auch eine bezaubernde, kindliche Qualität, die sich über das, was sie symbolisieren sollte, lustig zu machen schien.“
Ich hatte vor, Marilyn auf dem Cover unserer Weihnachtsausgabe 1962 in einem weißen Pelz posieren zu lassen, der mehr enthüllen würde, wenn der Leser das Heft aufschlug und die gleiche Pose von hinten fotografiert sah. Dieses Vorhaben wurde jedoch nie umgesetzt, weil Marilyn im August an einer Überdosis Barbiturate starb.
Playmate Sheralee Conners posierte für das doppelseitige Dezember-Cover, und die Veröffentlichung der Nacktfotos im Swimmingpool wurde um ein Jahr verschoben.
Im Januar 1964 erschienen sie schließlich im Rahmen einer 14-seitigen Hommage mit dem Titel „MM Remembered“, die außerdem einen Nachdruck der Playboy-Kalenderpose und ein hinreißendes halb abstraktes Porträt umfasste, das Willem de Kooning als Teil seiner weltberühmten Serie „Woman“ von Marilyn angefertigt hatte.
In den Jahren nach ihrem Tod nahmen Marilyn Monroes Status und Ruhm in Amerika und auf der ganzen Welt immer stärker zu.
Während der Dreharbeiten zu „The Misfits - Nicht gesellschaftsfähig“, der sich für jeden der beiden Schauspieler als der letzte vollendete Film herausstellte, bemerkte Clark Gable: „Sie ist für jeden Mann etwas anderes, eine Verquickung all der Dinge, die er am nötigsten zu brauchen scheint.“
Regisseur Billy Wilder, der sie für „Manche mögen’s heiß“ engagiert hatte, sagte: „Eine wie sie wird es nie wieder geben ... Ihr Fleisch fotografierte sich wie Fleisch. Man hatte das Gefühl, die Hand ausstrecken und es berühren zu können.“
„Flesh impact“ war Wilders Begriff für diese besondere Wirkung. In „Manche mögen’s heiß“, der 1959 herauskam, war dieser Impact zugleich aufreizend und luminös. Was sich in unsere Seelen eingrub, war das wehmütigste Zitat ihrer Karriere, das Wilder und Drehbuchpartner I.A.L. Diamond Marilyn in den Mund legten: „Die Geschichte meines Lebens - ich
erwische immer das kurze Ende der Wurst.“
In seiner Biografie verglich Norman Mailer ihre psychische Verfassung zu jener Zeit mit einer „zerbrechlichen Muschel“. Er schrieb: „Sie ist in der unerträglichen Lage, eine exquisite Sensibilität schützen zu müssen, die fast ihr ganzes Leben lang provoziert, gepikst, verdreht, zerquetscht und gequält wurde.“ Wenn sie mit kehliger Stimme „I Want to Be Loved by You“ singt, ist ihre Verletzlichkeit nicht zu übersehen. Über diese Darbietung sagte Wilder: „Wenn die Monroe auf der Leinwand auftaucht, kann das Publikum nicht die Augen von ihr lassen.“
Der gefeierte Fotograf Philippe Halsman fasste Monroes fotogenen Appeal so zusammen: „Ihr Minderwertigkeitskomplex, ihr Mitleid erregendes, fast kindliches Bedürfnis nach Sicherheit waren genau die Eigenschaften, die sie unwiderstehlich machten.“ Sir Laurence Olivier, ihrem Filmpartner in „Der Prinz und die Tänzerin“, fiel auf, dass sie „glücklich wie ein Kind
war, wenn sie fotografiert wurde“.
Die Suche nach Aufmerksamkeit
Diese Beobachtungen sind zutreffend. In gewisser Hinsicht scheint ihre Beziehung zur Kamera die einzig erfüllende gewesen zu sein, die sie je gekannt hat. In ihrer unvollendeten Autobiografie schilderte Marilyn ihre frühesten Erfahrungen als Aktmodell: „Nackt vor einer Kamera zu sitzen und ausgelassene Posen zu zeigen erinnerte mich an die Träume,
die ich als Kind oft hatte.“ Wie ihre Kindheit war? Trostlos. Ihren Vater traf sie nie, sie kannte ihre psychisch instabile Mutter kaum, und sie schloss mit 16, in einem fehlgeleiteten Versuch, sich selbst zu entdecken, eine kurze Ehe. Jean Harlow war das Idol, dem sie nacheiferte, und ihr Tod stürzte sie in tiefe Trauer.
Ironischerweise behauptete der Kameramann ihrer ersten Probeaufnahmen für Fox von Norma Jean (geborene Mortenson, Taufname Baker): „Sie strahlte so viel Sex aus wie Jean Harlow.“ Ihr ganzes Leben lang war sie auf der Suche nach Aufmerksamkeit und zog sie unbewusst immer auf sich. Ein Presseagent staunte: „So groß war ihr Magnetismus, dass, wenn 15 Männer mit ihr in einem Raum waren, jeder von ihnen überzeugt war, er wäre derjenige, auf den sie warten würde, wenn alle anderen das Zimmer verlassen.“
Ab 1946 - sie war 19 und machte eine Mannequinausbildung bei der Blue Book Modeling Agency in Los Angeles - besuchte Norma Jean regelmäßig das am Sunset Strip gelegene Atelier des Kalenderzeichners Earl Moran, der, neben George Petty und Alberto Vargas, Pin-up zur Kunstform erhob. Er hatte die Angewohnheit, seine Modelle erst zu fotografieren und dann, je
nachdem welchen Abzug er am provokantesten fand, mit Kohle einen Umriss zu skizzieren, den er dann mit Pastellkreide ausfüllte. Die endgültigen Zeichnungen wirkten verspielt und dabei auf harmlose Weise anrüchig, eine Kombination, die in jenen unschuldigeren Tagen die Vorstellung der Amerikaner von zahmer Erotik perfekt traf.
Kürzlich entdeckte der Playboy einen bemerkenswerten Schatz noch nie veröffentlichter Moran-Fotos - Porträts der halb nackten Norma Jean aus einer Zeit vor den berühmten Kelley-Kalenderfotos. Über vier Jahre hinweg, in denen sie ihm fast monatlich für zehn Dollar die Stunde (eine Sitzung dauerte zwei Stunden) Modell stand, gelangen ihr und Moran
zauberhafte und unvergessliche Aufnahmen, und es grenzte an ein Wunder, dass diese nie zuvor in ihrer ursprünglichen Form aufgetaucht waren. Hier demonstriert sie eine greifbare Ausgelassenheit, die vielleicht mehr über ihre schwierige Jugend aussagt als die Bände tiefschürfender, psychoanalytisch angehauchter Artikel, die jedes Jahr seit ihrem Tod
verfasst wurden. In diesen Fotos kommt eine befreite, euphorische Qualität zum Ausdruck. Oft hört man, was für ein aufgewecktes und gelehriges Modell Norma Jean war. Sie löcherte ihre Fotografen mit unzähligen Fragen, komplizierten Fragen zu den emotionalen Nuancen ihrer Posen. Und dann bündelte sie ihren sinnlichen Magnetismus für die Kamera.
„Emotional machte sie alles richtig. Sie drückte genau das aus, was ich sehen wollte“, erklärte Moran. „Ihre Bewegungen, ihre Hände, ihr Körper waren einfach perfekt.“
Sofern ihr Leben, wie behauptet wurde, tatsächlich ein andauernder Schrei nach Anerkennung war, müssen die Sitzungen mit Moran und all den anderen Fotografen absolut befreiend für sie gewesen sein.
Mailer schrieb: „Wenn sie eine Pose einnimmt, wird sie der Künstler: Sie malt das Bild in die Kamera hinein, und kaum ein Fotograf würde ihr hierfür nicht Anerkennung zollen.“
„Ich mochte meinen Körper“, schrieb sie später. „Die Leute haben eine seltsame Einstellung zu Nacktheit, genau wie zu Sex. Nacktheit und Sex sind die natürlichsten Dinge der Welt. Trotzdem tun die Leute oft so, als existierten sie nur auf dem Mars. Über solche Sachen dachte ich nach, während ich posierte ...“
Die Erblühung ihrer sexuellen Aura
Ihre Professionalität als Fotomodell ist ein großes Thema. Sie erfüllte ihre Aufgabe mit Leidenschaft, erstaunlicher Selbstsicherheit und einem pflichtbewusst prüfenden Blick auf sich selbst. „Ich konzentrierte mich auf sie“, erklärte Fotograf Earl Theisen, „und sah in meinem Sucher, wie ihre sexuelle Aura erblühte - wie eine Blume.
Wenn ich es eilig hatte und zu schnell arbeitete, sagte sie: ,Earl, du bist zu schnell. Die werden nichts. Lass es uns noch mal machen.’“
Gloria Steinem steuerte kürzlich eine einsichtsvolle und einzigartige Biografie zum ständig wachsenden spekulativen Nekrolog auf Marilyn Monroe bei. Als Alternativen für die Zukunft dieser viel versprechenden Frau, wäre sie nicht zur Sexgöttin avanciert, hielt sie für möglich: „Studentin, Anwältin, Lehrerin, Künstlerin, Mutter, Großmutter, Tieraktivistin, Rancher, Hausfrau, Sportlerin, Kinderschützerin - alles Rollen, die wir Norma Jeane zugetraut hätten.“ (Anmerkung: Das e hängte Marilyn in ihrer Mannequin-Zeit selbst an, vielleicht in dem Versuch, sich mehr Glamour zu verleihen.)
Der Impuls, darüber zu spekulieren, was hätte sein können, ist zwar verlockend, aber, so scheint es, eine unnötige Abwertung dessen, was sie wirklich war. Irgendwann hatte Marilyn Monroe Norma Jean auf allen Ebenen vereinnahmt. Ihrer Rolle im Privatleben unsicher, hatte sie immer davon geträumt, ein Star zu werden.
Sie machte sich ihr problematisches Leben erträglicher, indem sie ein neues erfand. Marilyn war eine selbst kreierte Figur, eine geniale Schöpfung, deren Implikationen sie voll verstand.
„Seitdem ich 14 war, besaß ich das Talent, andere Frauen zu irritieren“,schrieb sie mit einer Mischung aus Betrübtheit und Stolz. „Wenn ich mitbekomme, wie Frauen mich missbilligend ansehen oder mich in der Luft zerteilen, weckt das Mitleid in mir - nicht für sie, sondern für ihre Männer.
Ich habe den Verdacht, dass solche Frauen schlechte Liebhaberinnen und sexuelle Krüppel sind. Das Einzige, was sie einem Mann geben können, ist ein Schuldkomplex.“
Es war ihre Arbeit als Fotomodell, die Hollywoods Interesse weckte. Als die Öffentlichkeit von den Nacktbildern für Kelleys Kalender erfuhr, fürchtete sie einen Moment lang um ihre Karriere als Schauspielerin, mit der es bis dahin stetig bergauf gegangen war.
„Ich dachte, damit würde ich wieder im Regen stehen“, erinnerte sie sich. Ihre Ängste wurden sogleich zerstreut, die Nacktfotos zu einem Bestandteil ihres glamourösen Aufstiegs in Hollywood. Das Ende vom Lied: „Jeder im Studio wollte mich als Star in seinem Film. Ich spielte in ,Blondinen bevorzugt’ und danach in ,Wie angelt man sich einen Millionär’. Es gefiel mir, dass ich einen großen Anteil daran hatte, dass diese Filme finanzielle Erfolge wurden und mein Studio ein Vermögen mit ihnen machte, obwohl dessen Boss mich für unfotogen gehalten hatte ... Und mir gefiel die Gehaltserhöhung auf 1200 Dollar pro Woche, die ich endlich bekam.“
Der Journalist und Drehbuchautor Ben Hecht traf den Nagel auf den Kopf, als er nach ihrem Tod - Hollywood ertrank damals in Schuldgefühlen - schrieb: „Marilyn hat immer unter den Umständen ihres Lebens gelitten, bereits seit sie fünf Jahre alt war.
Die Wahrheit über Marilyn Monroe ist, dass sie durch Hollywood gerettet wurde. Der Ruhm rettete sie. Das Rampenlicht, dem sie 24 Stunden am Tag ausgesetzt war, machte die Welt zu einem erträglichen Ort für sie ... Es war die einzige Welt, in der
sie aufblühen konnte. In der realen Welt gab es nur Schreckgespenster, Ängste, die sie in der Nacht verfolgten.“
Ein Produzent, so schrieb sie in ihren Memoiren, gab ihr einst den brüsken Rat: „Alles, was du tun musst, ist, Marilyn Monroe
zu sein.“ Doch nichts war weniger greifbar oder eine größere Herausforderung. Denn mehr als jede andere Figur in der Geschichte des Showbusiness war und ist sie ein Symbol. Das himmlische Rätsel, mit dem seither jede strahlende Blondine verglichen wird (meist zu deren Nachteil). Ihr Stil war zeitlos und unerreicht, ihre Eleganz unbeschreiblich.
Diana Trilling formulierte in ihrem Nachruf: „Sie war auf eine Art lebendig, die dem Rest von uns nicht vergönnt war. Sie besaß eine so vitale Ausstrahlung, dass sie unsere Vorstellung vom Leben veränderte, und das ist die Aufgabe und das Wunder der Kunst.“
Marilyn war Kunst, ganz und gar. Es gibt kaum einen erfrischenderen Tribut an ihre Träume als die fühlbare Ehrlichkeit, die aus ihren Posen spricht. Wenn es in der Tat die Geschichte ihres Lebens war, immer das kurze Ende der Wurst zu erwischen, dann hat sie der Welt das andere - und beste - Stück gegeben.