Bentley definiert sich über seinen Luxus und seine Legende. Und seine Motoren. Waren es früher die legendären Blower, die 4,5-Liter-Maschinen aus den 1920ern, griff in den vergangenen Jahren jeder fünfte Kunde zum stärksten Triebwerk, dem V12. Ein anhaltender Trend: 2021 haben die Briten mehr Zwölfzylinder verkauft als alle anderen Hersteller zusammen, nämlich fast 3000 Fahrzeuge. Doch in Zukunft sollen es immer mehr elektrifizierte Antriebe sein, auch wenn die Worte Bentley und Spritsparen nicht wirklich zusammenpassen. Also bieten die Briten nun nach dem Bentayga Hybrid auch die Limousine Flying Spur als Hybrid an. Warum? Weil sie müssen – wie alle anderen Hersteller auch. Die EU schreibt vor, dass der Spritverbrauch und damit der Emissionsausstoß sinken müssen.
Dafür haben die Briten vor Kurzem ihre Strategie „Beyond100“ vorgestellt. Erklärtes Ziel ist es, in den nächsten Jahren führend bei Nachhaltigkeit im Luxusbereich zu werden. Klingt gar nicht so vermessen, denn der Bereich ist nicht sonderlich groß: Neben Bentley gibt es in dem Preissegment nur noch Rolls-Royce und Mercedes-Maybach – und beide verkaufen deutlich weniger Fahrzeuge als Bentley. Bentley erhofft sich davon einen Wachstumsschub. Vergangenes Jahr, das beste in der Firmengeschichte, kauften etwa 20 Prozent der Bentayga-Kunden schon einen Hybrid. 2025 soll das erste reine Elektroauto kommen, bis 2030 sollen alle Modelle aus einem Akku gespeist werden und mit Strom fahren. Nun erhält der Flying Spur als zweites Auto nach dem Bentayga einen E-Antrieb zum Verbrenner.
Der Hybrid bietet Leistung und lautlosen Komfort
Einsteigen, Tür sanft schließen – und man fühlt sich gleich wie im britischen Empire: Tradition trifft Luxus trifft Moderne. Mit einem Knopfdruck erhält das Fahrzeug Energie, rollt dann im Standardmodus elektrisch und ganz ohne Aufsehen oder Geräusche vom Hof. Irgendwie majestätisch. Bei leichtem Fahrpedaldruck arbeitet ausschließlich der E-Motor mit 134 PS. Für den Stadtverkehr völlig ausreichend und durchaus angenehm. Nahezu lautlos schwebt der Bentley über die Straße. War bereits der V12 kein lauter Antrieb, ersticken beim E-Motor die Geräusche gleich im Gehäuse. Nur den Blinker hört man beim Abbiegen, er lässt die Insassen fast schon aufschrecken. Rutschen sie leicht über die Sitze, knarzt hell das Leder – das hört normalerweise niemand. Sonst? Nichts außer Stille.
Nur bei starker Beschleunigung oder hohem Tempo schaltet sich der Verbrenner automatisch zu. Man muss schon auf den Drehzahlmesser achten, um den Wechsel zu erkennen. Zu spüren ist er bei entspannter Fahrweise nicht, nur bei sportlicher meldet sich der V6 vernehmbar unter der Haube mit einem leisen Grummeln und Vibrationen. Der 2,9-Liter-V6 leistet dank Doppel-Aufladung 416 PS, sodass der Bentley auf eine Systemleistung von 544 PS und ein Drehmoment von 750 Nm kommt. Damit liegt der Hybrid bei der Leistung nahezu gleichauf mit dem 4,0-Liter-V8. Von Schwäche kann hier keine Rede sein. Bei voll geladener Batterie ist diese Kulisse der Stille aber nur rund 40 Kilometer weit zu genießen. Dann spätestens schaltet sich der Verbrenner hinzu. Es sei denn, der Pilot hat es besonders eilig und tritt das rechte Fahrpedal bis aufs Bodenblech durch. Dann spurtet die 2,5-Tonnen-Limousine von 0 auf 100 km/h in 4,3 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 285 km/h. Dürfte also für die meisten Situationen reichen. Warum nur 40 Kilometer elektrische Reichweite? Weil Bentley der Meinung ist, dass dies dem Nutzungsverhalten seiner Kunden entspricht. Beim Bentayga Hybrid haben die Briten festgestellt, dass die tägliche Fahrstrecke der meisten Kunden bei lediglich 20 Kilometern liegt – und 90 Prozent davon fahren sie rein elektrisch. Die 14,1 kWh leistende Batterie mit 380 Volt des Flying Spur reicht dafür und lässt sich in 2,5 Stunden wieder voll aufladen. Zumal sich durch den Akku auch die Reichweite verlängert. Schaltet sich der Verbrenner zu, schwebt der Flying Spur rein rechnerisch bis zu 800 Kilometer weit mit einer 80-Liter-Tankfüllung über den Asphalt.
Auch beim neuen Hybrid bleibt Bentley seinem gewohnt Luxuriösem Design treu
Von außen erkennt man die Antriebsart kaum. Oder man schaut sehr genau hin. Kein Wunder, Understatement zählt bei Bentley zur Firmenphilosophie. Ein dezentes Badge an der Seite und die Ladeklappe für den Stromanschluss lassen den Plug-in-Hybrid erkennen. Nur beim Öffnen der Tür weist der Schriftzug „Hybrid“ in der Einstiegsleiste auf die Antriebsart hin. Im Innenraum werden sich bisherige Bentley-Fahrer schnell zurechtfinden, nur wenig hat sich geändert: opulentes Interieur mit viel Leder und Schaltern und Reglern in hochwertiger Verarbeitung. „Bentley muss weiterhin ein kompromissloses, luxuriöses Produkt bleiben, unabhängig vom Antrieb“, sagt Produktionsvorstand Peter Bosch. Die Schuhe von Fahrer und Fahrgast sinken im hochflorigen Teppich ein, und das feine Leder umschmeichelt die Hüfte. Armaturen, Bedienung und Infos gleichen denen der reinrassigen Verbrenner-Modelle. Lediglich an den Zusatztasten in der hinteren Mittelkonsole lässt sich der E-Antrieb steuern. Im „EV“-Modus bleibt der Brite rein elektrisch, im „Hold“-Modus spart er sich seinen Strom für später auf, zum Beispiel für innerstädtische Umweltzonen.
Von Bentleys Renntradition zum neuen Elektroantrieb
Chefingenieur Steve Jones integrierte mit seinem Team einen speziellen und sehr dezenten E-Sound, und das Navi bietet jetzt Infos zu Ladesäulen und Umweltzonen. Warum Bentley nicht den V8-Hybridantrieb mit 680 PS der Konzernschwester Porsche übernommen hat, verrät Steve Jones allerdings nicht. Damit wären die Briten nicht nur innerhalb des Konzerns an die Leistungsspitze getreten, allerdings auch dem V12 mit 630 PS sehr nahegekommen – einem Top-Seller der Marke.
Mit dem Sechszylinder besinnt sich Bentley auch auf eine lange, ruhmreiche Tradition. W. O. Bentley entwickelte mit seinem Bruder ab 1920 straßentaugliche Rennfahrzeuge. Anfangs reichte ein 4,5-Liter-Motor, doch irgendwann wurde der für die Rennen zu schwach und selbst bei Testfahrten überholt. Ab 1926 konzipierte Bentley einen Reihensechszylinder mit 6,5 Liter Hubraum. Das leistungsstärkste Modell mit 180 PS nannte er Speed Six, die Rennversionen kamen auf 200 PS. Damit wollte Bentley bei prestigeträchtigen Rennen starten – und gewinnen. Das gelang: Der Speed Six gewann das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gleich zweimal, 1929 und 1930. Und Ettore Bugatti sprach – halb spöttisch, halb bewundernd – vom schnellsten Lastwagen der Welt. Denn während Bugatti an möglichst leichten und wendigen Rennwagen feilte, setzte Bentley auf eine massive und schwere Bauweise. Vor allem beim Antrieb. Bis zu 185 km/h brachte der historische Speed Six auf die Straße, wenn man ihn ließ. Doch dafür mussten die Straßen frei und möglichst gerade sein, denn Kurven waren nicht sein Fall, und beim Bremsen schwitzte noch der abgebrühteste Fahrer Blut und Wasser.
Ganz anders der neue Flying Spur Hybrid: Ein Ettore Bugatti würde ihn mit seinen rund 2,5 Tonnen zwar vermutlich noch immer als Lastwagen bezeichnen, aber trotz dieses immensen Gewichts zirkelt der Neuling leichtfüßig auch durch die engsten Kurven. Die Lenkung reagiert direkt, folgt den Befehlen der Hände sofort. Selbst starkes Bremsen aus hohen Geschwindigkeiten machen dem Fahrer nichts aus. Es ist vielmehr ein wohliges Gefühl britischen Salon-Komforts, das ihn überkommt, wenn er aus Top-Speed auf Spazierfahrt drosselt, um dann elektrisch leise weiterzuschweben. So fühlt sich wahrer Luxus an.
Geschwindigkeit: 285 km/h
Gesamtleistung: 544 PS
0–100 km/h: 4,3 Sekunden
Drehmoment: 750 Nm
Hubraum: 2894 ccm
Gewicht (trocken): 2505 kg
Preis: 217.300 Euro
Der Autor testete den Wagen auf Einladung des Herstellers.
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