Im Oktober 2000 ist Fußball-Deutschland mal wieder auf Trainersuche. Und dabei tief gespalten. Nach dem peinlichen EM-Aus unter DFB-Coach Erich Ribbeck soll der in Leverkusen unter Vertrag stehende Christoph Daum die Nationalelf zurück in die Erfolgsspur führen. Da machen plötzlich Gerüchte über einen möglichen Drogenkonsum des designierten Bundestrainers die Runde. Prominentester Ankläger, Bayern-Manager und seit Jahren Intimfeind des Beschuldigten: Uli Hoeneß. „Wenn alles Fakt ist, worüber geschrieben wurde, über den verschnupften Daum, dann kann er nicht Bundestrainer werden“, so der mächtige Fußball-Funktionär.
Erbitterte Feindschaft: Fußball-Trainer Christoph Daum und Uli Hoeneß
Anders aber als von ihm selbst erwartet, bläst daraufhin Hoeneß heftiger Gegenwind ins Gesicht. Denn viele vermuten hinter den kaum verklausulierten Andeutungen des Bayern-Managers weniger ehrliche Besorgnis um den deutschen Fußball als vielmehr persönliche Rachemotive. Unvergessen die zahlreichen Scharmützel zwischen dem selbstbewussten Bundesliga-Coach Daum und dem nicht weniger von sich selbst überzeugten Meister-Macher Hoeneß. Das Fußballvolk scheint in dieser Frage gespalten: Handelt es sich hier um die berechtigte Sorge eines verantwortungsvollen Fußballmächtigen, oder doch nur um eine unfaire Blutgrätsche eines hitzköpfigen Rivalen? Über Wochen schlägt dem Mann vom FC Bayern nach dessen vermeintlichem Foulspiel offener Hass entgegen.
Da kommt Christoph Daum auf eine Idee, die sein berufliches Leben für immer verändern soll. Er geht in die Offensive, gibt eine Haarprobe ab und erklärt: „Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe.“ Wenige Wochen darauf wird das Ergebnis bekannt – und Daum des regelmäßigen Kokainkonsums überführt. Seine DFB-Karriere ist damit zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hat. Daum flieht nach Amerika, Völler wird Bundestrainer, und Hoeneß geht als großer Gewinner aus dem legendären „Drogenkrieg“ hervor.
Fußball-Trainer Christoph Daum und der Skandal mit dem Kokain
Der im sächsischen Zwickau geborene Christoph Daum kickt als aktiver Fußballer nie in einer Profi-Liga, prägt aber als Trainer über Jahrzehnte mit seinen Ideen, seinen Erfolgen und seiner Persönlichkeit den Fußball in Deutschland. Einmal will er seine Spieler über Glascherben laufen lassen (was alle seine Kicker ablehnen), ein anderes Mal drückt er der Mannschaft zur Motivation 40 Tausenderscheine in die Hand („Heute geht es um 40.000 Meisterschaftsprämie“). Aus dem Fast-Absteiger VfB Stuttgart formt er innerhalb von zwei Jahren einen Deutschen Meister. Erfolge feiert Christoph Daum aber auch außerhalb der Bundesrepublik. Nach dem Meistertitel mit Stuttgart (1992) wirkt er viele Jahre in der Türkei und in Österreich. Überall holt er Titel und Pokale.
Die Niederlagen des Fußball-Trainers Christoph Daum
Unvergessen sind aber auch seine bitteren Niederlagen. So muss er mit ansehen, wie Nationalspieler Michael Ballack am letzten Spieltag der Bundesliga-Saison 1999/2000 im Münchner Vorort Unterhaching den Ball ins eigene Tor grätscht und Leverkusen damit im letzten Moment den sicher geglaubten Meistertitel verspielt. Das Schmähwort „Vizekusen“ macht die Runde, und auf dem Spielfeld sitzen gestandene Fußballprofis, in Tränen aufgelöst. Nur einer bewahrt die Fassung und gibt sich kämpferisch: „In der Kabine ist eine Stimmung wie auf dem Zentralfriedhof von Chicago“, beschreibt Daum den Zustand seiner Mannschaft. „Du kannst hinfallen, aber du musst wieder aufstehen. Und wir stehen wieder auf.“
Christoph Daum war der wohl schillerndste und streitbarste Trainer der Bundesligageschichte. Anlässlich seines 70. Geburtstags sendete der Bezahlsender Sky 2023 eine aufwändige Dokumentation über den Außergewöhnlichen. Die TV-Doku („Daum – Triumphe & Skandale“) zeichnet die wichtigsten Karriere-Stationen des Ausnahme-Trainers nach. Und gewährt exklusive Einblicke in das Privatleben Daums.
Christoph Daums Kampf gegen den Krebs
Im Oktober letzten Jahres feierte Christoph Daum seinen 70. Geburtstag. Und musste sich in den letzten drei Jahren seines Lebens seinem größten Gegner stellen. Der einstige Meistercoach war an Lungenkrebs erkrankt. Nach mehr als 20 Chemotherapien hatte Daum zuletzt dennoch Hoffnung: „Die Therapien zeigen positive Wirkung, die Krebszellen gehen leicht zurück“, so der 70-Jährige. So kam es im letzten Jahr auch zum Aufeinandertreffen mit seinem ewigen Rivalen Uli Hoeneß. Und zur Aussöhnung der beiden Alphatiere. Daum über die Begegnung mit dem einstigen Erzfeind: „Wir haben beide viel gelernt. Er sagte mir: Nur zwei große Persönlichkeiten können sich so bekämpfen. Dieser Satz hat mich sehr berührt.“
Christoph Daum ist am Samstag seinem Krebsleiden erlegen. Mit ihm verliert der deutsche Fußball vielleicht seine schillerndste Persönlichkeit. In jedem Fall aber einen außergewöhnlichen Trainer, der nicht nur die Bundesliga mit seinen Sprüchen, seinen Ideen und seinem Mut geprägt hat.
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