Frau Dr. Melzer, Corona stellt unser Liebesleben auf die Probe. Was macht das mit uns?
Für Paare kann diese Situation im positiven Fall wie verlängerte Flitterwochen wirken. Beide haben mehr Zeit füreinander und probieren vielleicht Neues aus. Ich habe Paare bei mir, die eigentlich mit der Öffnung ihrer Beziehung experimentieren wollten. Der Gedanke liegt jetzt auf Eis. Jetzt ist die Zeit dafür, sich auf das zu konzentrieren, was man hat.
Sicher ist die Situation für Paare nicht nur positiv…
Für viele ist es ein Stressfaktor. Dafür sorgen Themen wie der drohende Jobverlust, Kurzarbeit oder das Home-Schooling der Kinder. Unsere gelernten Abläufe funktionieren nicht mehr wie gewohnt. Dadurch können Probleme, die schon vor Corona bestanden, erst recht wieder aufkommen, weil durch den zusätzlichen Stress die Zündschnur sehr kurz ist.
Was raten Sie in diesem Fall?
Nicht jedes Thema muss zu Ende diskutiert werden. Eine unflätige Antwort des Partners sollte man vielleicht einfach mal durchrauschen lassen. Vieles ist der Situation geschuldet, und die macht manches ja auch leichter, das sollte man sehen: Der Druck, das Wochenende besser zu nutzen oder verreisen zu müssen, ist weg. Man genießt stattdessen die eigene Wohnung, ein Spaziergang wird zum Erlebnis. Und viele reflektieren jetzt sexuell auch mehr.
Wie meinen Sie das?
So, wie viele die Zeit nutzen, um selbst zu kochen oder Brot zu backen, und dafür auf Junk-Food verzichten, genießen manche nun ihre Sexualität bewusster.
Für Singles ist das nun nicht so einfach wie für Paare…
Lockdown und Distancing bedeutet ja nicht, dass man keine Menschen mehr kennenlernen kann. Es hat sich nur verändert. Die Flirt-Portale und Apps laufen weiter. Aber vielleicht nimmt man sich bei der Auswahl jetzt mehr Zeit, jemanden digital kennenzulernen. Und die Video-Telefonie ist auch im Dating angekommen. Das erste Candle-Light-Dinner findet jetzt eben digital statt. Irgendwann wünscht man sich aber doch trotzdem ein reales Treffen … Das wird dann eben ein Spaziergang. Und wenn man vor dem One-Night- Stand auf Nummer sicher gehen will, macht man eben einen Test auf Corona, dessen Ergebnis mittlerweile binnen ein bis zwei Tagen zur Verfügung steht. Auch lohnt sich ein Covid- 19-Antikörper- Schnelltest, der eine gewisse Immunität anzeigt und binnen weniger Minuten nachweisbar ist. Mit den restlichen Risiken muss man leben, aber Markus Söder steht ja nicht bei jedem Date dabei und fragt, wie lange man sich schon kennt.
Was macht es mit uns, wenn wir eine lange Zeit auf Intimität und Nähe verzichten müssen?
Erst mal macht das gar nichts, man kann sich ja auch selbst berühren, von der Bürstenmassage bis hin zur Masturbation. Sport ist auch etwas Körperliches, das als Alternative hilft. Solche Phasen im Leben sind übrigens normal. Das kann Monate, manchmal Jahre dauern. Viele, die länger ohne Berührung und Beziehung leben, lösen das Thema mit Alternativangeboten von der Physiotherapie über die Massage bis hin zur Tantra-Massage. Da das auch nicht möglich war, gab es Verlagerungen. Sex-Toy-Hersteller und die Porno-Streaming-Dienste verzeichnen in dieser Zeit starke Zuwachsraten. Kurzfristig ist der Einsatz dieser Genussmittel ein reizvoller Ausgleich. Langfristig können wir hierdurch abstumpfen und sogar süchtig werden. Es ist immer besser, gemeinsam zu konsumieren und dabei Maß zu halten.
Glauben Sie, dass sich unser allgemeines Flirtverhalten nach Corona nachhaltig ändert?
Ich kann mir vorstellen, dass sich unverbindliche Dates verringern. Reine Sextreffen werden seltener. Auch die Promiskuität wird erst mal zurückgehen. Also bleiben nach dieser Durststrecke etwaige „After- Corona-Sexpartys“ erst einmal aus? Es gibt immer Unkorrigierbare, die gern russisches Roulette spielen. Aber nicht im großen Stil. Die Mehrheit ist vorsichtig und wird es erst einmal bleiben.
Außerdem im Heft:
- Welche Apps durch Corona voll im Trend sind
- Digitale Liebe: Diese Sex Toys funktionieren auch auf Distanz
- Zahlen & Fakten: Kondomverbrauch rauf, Hemmungen runter
- Drei Pandemie-Dates und Ihre Geschichte
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