Hollywood machte ihn zum Idol – als Teenie-Star, metrosexueller Piratenkapitän und aktuell als Bösewicht in "Phantastische Tierwesen 2" (u.a. neben Zoë Kravitz). Und Johnny Depp machte seinen Ruf kaputt. Immer wieder. Aber nur selten so kräftig wie heute. Warum?

Sie nennen ihn JD. Das nur, um gleich mal die Häme zu entkräften, die Johnny Depp seit einigen Jahren wie ein griechischer Chor begleitet. „Mitte 50 und nennt sich immer noch Johnny“ stand irgendwo in irgendeinem dieser Artikel, die sich genüsslich am vermeintlichen Untergang von Hollywoods liebstem Rebellen weideten.

Alice Cooper, 70, und Joe Perry, 67, ficht das nicht an. JD ist der dritte Mann ihrer Gelegenheitsband Hollywood Vampires, die seit Mai durch Amerika und Europa tourt. Für die Fans ihrer Star-Allianz posten sie Instagram-Storys von den lustigsten Backstage-Momenten. „JD“, ruft Cooper da, „unser Mann!“ Depp zupft versonnen auf seiner Gitarre, döst im Privatjet, macht Faxen im Tour-Bus. Einmal tritt er auf Regieanweisung gegen eine Tür.

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Johnny Depp (4. v. l.) mit seinen Hollywood Vampires Joe Perry (l.), Alice Cooper (5. v. l.) und Mitspielern

Er sieht nicht aus wie jemand, dessen Poster sich ein junges Mädchen übers Bett hängen würde. Die legendären Wangenknochen spitz wie bei einem Totenkopf, der Schädel zum Irokesen geschoren, mit einer merkwürdigen Haarwurst oben, die sich zum Zopf verjüngt. „Es geht mir gut“, mümmelt er in einem der kurzen TV-Interviews, die er am Rande der Tour gibt. „Die Fans sind toll.“ Perry sitzt daneben und passt auf, dass die Fragen bei der Musik bleiben. Dass nur keiner auf die Idee kommt auszusprechen, was alle denken: Was ist los mit Johnny Depp?

Gerüchte kursieren seit Jahren. Dass der Disney-Captain ein schweres Spendierproblem pflege, über seine Verhältnisse lebe, öfter einen in der Krone habe. Es eskalierte im Frühjahr 2016. Da feuerte Depp seine langjährigen Manager. Vorwurf: Joel Mandel und sein Bruder Robert, Präsidenten der TMG (The Management Group), hätten versäumt, die Steuern ihres Schützlings rechtzeitig zu zahlen, mit seinem Vermögen spekuliert, sich zu Unrecht Prozente aus seinen Gagen gegönnt und sich Fantasiehonorare ausbezahlt.

Depp verklagte TMG auf 25 Millionen Dollar wegen Betrugs und Verletzung der Sorgfaltspflicht. Die Manager konterten mit einer Gegenklage. Depps extravaganter Lifestyle habe ihn in die Pleite geritten, er sei beratungsresistent und ihnen die Beteiligung an seiner jüngsten „Pirates of the Caribbean“-Gage schuldig geblieben.

Amber Heard holt die Polizei

Zwei Monate später, im Mai, starb Depps Mutter Betty Sue. Ob es die Trauer war, die Streitereien mit seinen Beratern oder zu viel Rotwein: Etwas geschah am Abend des 21. Mai 2016 in seiner 9-Schlafzimmer-und-14-Badezimmer-Penthouse-Etage in downtown Los Angeles. Es wurde laut.

Eine Freundin seiner Frau Amber Heard verständigte die Polizei. Die fand keine Anzeichen für eine gewalttätige Auseinandersetzung – doch am nächsten Tag postete Amber Heard ein Foto auf Instagram, das sie mit einem Veilchen und geschwollener Lippe zeigte. Johnny hätte, außer sich vor Rage, mit ihrem Handy nach ihr geworfen, als sie eben diese Rage dokumentieren wollte.

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Johnny Depp und Amber Heard

Die Scheidung war schmutzig und endete im August 2016 mit beiderseitiger Verpflichtung zur Verschwiegenheit, mit sieben Millionen Dollar für Amber Heard und der Auflage, sie an eine Wohltätigkeitsorganisation zu spenden.

Es hätte das Ende eines Annus horribilis sein können. Aber so einfach wie früher ist es schon länger nicht mehr in der Welt von Johnny Depp. Früher genügte es, das Tattoo seiner ersten Hollywood-Liebe, Winona Ryder, zu überstechen. Aus „Winona Forever“ wurde „Wino Forever“ und Kate Moss die neue Gefährtin an seiner Seite.

Mit dem Model lebte der Rebell das Rockstar-Leben. Er zertrümmerte sogar ein Hotelzimmer (den Schaden bezahlte er anderntags) und bald auch das Herz von Kate Moss (sie habe noch Jahre um ihn geweint, gestand sie 2012 in einem Interview). Er verknallte sich in Vanessa Paradis. Mit der Lieblingsfranzösin und den gemeinsamen Kindern Lily-Rose, heute 19, und Jack, heute 16, lebte er in einem Schloss unweit von Saint-Tropez seinen Traum vom Familienleben. „Ich könnte den ganzen Tag nur mit Barbies spielen und Rotwein trinken“, schwärmte er noch 2009.

Dann traf er Amber Heard. Ein blondes Starlet, damals noch in einer Beziehung mit Freundin Tasya van Ree, am Set seines Herzensprojekts „Rum Diaries“. Sogar eine Lesbe kann er umdrehen, sagten die einen anerkennend, als die beiden 2012 ihre Beziehung öffentlich machten. Die anderen rollten nur mit den Augen. Sie war 27. Er 50.

30.000 Dollar im Monat nur für Rotwein

Was ist los mit Johnny Depp? Er war immer ein Träumer. Aber einer der wenigen, die sich ihre Träume erfüllen konnten. Eine Insel der Bahamas. Ein Schloss in Frankreich. Fünf Häuser in den Hollywood Hills. Privatjet. Jacht. Irgendwann wusste er wohl nicht mehr, wo seine Parallelwelt endet und die schnöde Wirklichkeit anfängt. Den Gerichtsunterlagen seiner gefeuerten Berater zufolge beliefen sich Depps Ausgaben schon 2013 auf mehr als zwei Millionen Dollar. Im Monat.

Ein ausuferndes Interview, das er im Frühling dieses Jahres dem „Rolling Stone“-Magazin gab, um seinen Ruf als Verschwender zu korrigieren, erreichte das Gegenteil. Man hatte ja keine Ahnung, wie locker der Dollar bei Depp saß! 30.000 Dollar im Monat nur für Rotwein, der aus aller Welt eingeflogen wird? „Wollen Sie mich beleidigen, es sind mindestens 50.000“, scherzte Depp im Interview.

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In zwölf Hallen lagerten seine Schätze: Memorabilien, 70 E-Gitarren und Kunst von Klimt, Modigliani und Basquiat. 40 Angestellte schlugen mit 300.000 Dollar zu Buche – er habe inzwischen auf 15 reduziert, sagt Depp. Dazu 150.000 Dollar für die 24-Stunden-Bewachung seiner selbst, seiner zwei Kinder und diverser Familienmitglieder. Allerdings verklagten ihn seine Bodyguards gerade erst wegen ausbleibender Lohnzahlungen.

Extravaganzen wie die Bestattung seines Freundes Hunter S. Thompson zählten zu den nicht regelmäßigen Posten. Fünf Millionen Dollar kostete es, die Asche des Gonzo-Literaten per maßgefertigter Kanone in die Luft von Aspen/Colorado zu schießen. Eine logische Sache in der Welt von Depp: „Und wenn ich nur fünf Millionen und einen Dollar besäße, hätte ich es genauso gemacht. Das war mein Bruder.“

Ist es das? Ein Familiending? Ja, Depp hatte keine einfache Kindheit. Wie bei der Infanterie sei er aufgewachsen, sagte er mal. Manchmal blieben Johnnys kellnernde Mutter Betty Sue und die Geschwister Danny, Debbie und Christie nicht länger als zwei Wochen an einem Ort, nie lange genug, um Geborgenheit zu finden.

Ist er etwa betrunken? Oder schwul? Oder beides?

JD hatte schon immer Schwierigkeiten mit dem System. Als er das erste Mal seinen Kopf meterhoch auf einem Straßenplakat sah – damals frisch gebackenes Teenie-Idol in einer TV-Serie –, malte er in der Nacht einen Groucho-Marx-Schnurrbart auf sein Konterfei. Eigentlich hat Johnny Depp seine ganze Karriere lang versucht, dieses Teenie-Idol zu überpinseln.

Nach den ersten Drehtagen von „Fluch der Karibik“, erzählte er oft, hätten die Studiobosse entsetzt am Set angerufen. Ob er – in seiner nunmehr weltberühmten Rolle als Captain Jack Sparrow – etwa betrunken sei? Oder schwul? Oder beides? „Wenn du diese Leute nicht irritierst“, sagte Depp in einer Talkshow, „machst du etwas falsch.“

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Johnny Depp als Captain Jack Sparrow in "Fluch der Karibik"

Zu seinem Erzeuger, einem Ingenieur, hat er kaum Kontakt. Als er erwachsen ist, sind Sonderlinge seine Vaterfiguren. Nach seinem Idol Marlon Brando benannte er einen Strand seiner Privatinsel. Mit Hunter S. Thompson schmiss er Quaaludes. Und seinen Gitarrengott Keith Richards machte er zu Captain Sparrows Daddy.

Johnny Depps Wahlverwandtschaft könnte einem Tim-Burton-Film entstammen. Der Regisseur ist sein Seelenbruder. Zusammen spielen sie gern Verkleiden – und was hatten sie schon für schöne Kostüme: die Gartenscherenhände von Edward. Den rosa Angorapullover von Ed Wood. Willi Wonkas Michael-Jackson-Uniform. Tim und Johnny, das ist wie Howard Hughes und John Wayne. Eine wortlos funktionierende Männerfreundschaft, nur versponnener.

„Ich weiß noch, wie ich ihn zum ersten Mal in einem Coffeeshop traf“, erzählte Depp mal. „Es war wie Liebe auf den ersten Blick.“ Beinahe scheint es symptomatisch, dass ihre letzte Zusammenarbeit, „Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln“, der erste Flop in der Burton-Depp-Beziehung war. Was steckt bloß dahinter?

Lieben sie ihn so, weil er fehlbar ist?

Die Jacht ist längst abgestoßen. Das Schloss bei Saint-Tropez steht zum Verkauf – für den vierfachen Preis, den es wert ist. Eine halbherzige Geste gegenüber seinem neuen Anwalt Adam Waldman, einem Fuchs, der den Putin-Freund und Aluminium-Magnaten Oleg Deripaska zu seinen Klienten zählt. Entgegen allen Unkenrufen gelang Waldman im August dieses Jahres ein Vergleich mit Depps alten Beratern. Details sind unbekannt. Doch Johnny ist guter Dinge. Sein Kalender ist voll. Fünf Filme hat er in der Pipeline. Und leider auch ein paar Gerichtsverfahren.

Er verklagte das britische Boulevardblatt „The Sun“ wegen Verleumdung als „wife beater“. Und, viel schlimmer: Gregg Brooks, der Location Manager am Set seines neuesten Films „City of Lies“, verklagte ihn wegen Körperverletzung. Depp soll dem Mann in die Rippen geboxt haben, als der es wagte, den Künstler in einer Szene zu unterbrechen. Die Zeit für die Drehgenehmigung war überschritten. Das wäre teuer geworden, aber nicht so teuer wie die Premiere von „City of Lies“ abzusagen.

Vielleicht, so hofft das Branchenblatt „Variety“, war es nur Zufall, dass der Starttermin des Dramas um die Hintergründe der Morde an den Rappern Tupac Shakur und The Notorious B.I.G plötzlich vom 2. September auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.

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Bei "City of Lies" spielt Johnny Depp (r.) einen Ermittler

Vielleicht hat es auch tatsächlich nichts mit Depps Ärger zu tun, sondern mit der Krise des Erwachsenenfilms. Mindestens von einer gewissen Schizophrenie Hollywoods zeugt es, dass Teil zwei von J.K. Rowlings Disney-Spektakel „Phantastische Tierwesen“ mit Depp in der Hauptrolle wie geplant am 2. November in die Kinos kam.

Rowling hatte sich auf dem Höhepunkt der MeToo-Bewegung persönlich für Depp starkgemacht. Die Harry-Potter-Schöpferin schrieb auf ihrer Homepage, sie sei „nach eingehender Untersuchung der Umstände“, die zu den Vorwürfen Amber Heards gegen Depp geführt hätten, „immer noch wirklich glücklich“ mit ihrem Hauptdarsteller. Genauso wie das Studio.

Lieben sie ihn so, weil er fehlbar ist? Oder weil er 3,6 Milliarden Dollar eingespielt hat? Vielleicht werden wir es bald aus erster Hand erfahren. Denn JD schreibt seine Memoiren. Auf einer alten Schreibmaschine – ganz wie sein Held Hunter S. Thompson. Veröffentlichungstermin noch ungewiss.

Hoffentlich gibt es ein Happy End.