30. Juni 2002, kurz vor halb drei im Münchner Radstadion, auch Event-Arena genannt. Auf der Leinwand überlebensgroß: Rivaldo, der schießt, und Kahn, der den Ball nicht festhält, und Ronaldo, der ihn reinschiebt – und dann hüpfen Xanas grüngelbe Brüste vor meinen Augen, und sie schnappt sich plötzlich meinen Kopf und knallt mir ihre Caipirinha-Zunge rein. 1:0 für Brasilien im Finale gegen Deutschland!
Selbst Verlieren kann beim Public Viewing gut tun
Ja, selbst Verlieren kann beim Public Viewing gut tun. Zumindest gibt es, das weiß ich seit dem 0:2 damals, kaum einen schöneren sportlichen Ausgleich als ausgiebiges Versöhnungsfummeln mit der Gegnerin. Klar hätte ich stattdessen daheim im Kreise befreundeter Nerds über Zweikampfquoten und Oliver Kahns kaputten Ringfinger diskutieren können. Aber solche Kammerspiele überlasse ich auch dieses Jahr gern anderen. Public Viewing, öffentliches Glotzen, zugegeben: Das klingt nach Herde auf Weide. Nach dünn gesätem Sachverstand, viel Geschiebe, wenig Genuss.
Doch es passt perfekt zu Blockbustern wie der WM. Da lasse ich mich von Sport-Connaisseuren mit Inselbegabung für Statistiken bis runter in die Kreisliga und anderen Kleinkunst-Anhängern gern als „Event-Fan“ beschimpfen. Ob Nationalelf oder FC Bayern: Großes Kino ist für viele gemacht, Arena- und Leinwandformat, die Menge der Resonanzkörper des Spiels, der Klang und Bedeutung erzeugt.
Keiner küsst gern Nerds!
Was wären das deutsche Sommermärchen 2006, das bayerische Traum-Triple 2013 und die Maracanã-Legende 2014, wenn sich zur Feier dieser Fußballfeste alle im Wohnzimmer eingeschlossen hätten? Ohne Gesellschaft keine Geschichte. Kein Bälle-Gefühl. Und: Keiner küsst gern Nerds!
Playboy-Chefredakteur Florian Boitin findet Public Viewing weniger reizvoll. Warum, lesen Sie in seinem Gegenkommentar.