Es war irgendwann im Herbst 2016, der FC Bayern spielte eine holprige Hinrunde, Pep Guardiola stand nicht mehr an der Seitenlinie, der Zauber war weg, es tat sehr weh.
Nahezu alle anderen Belange des Lebens – Arbeit, Sexdates, Einkäufe, you name it – ließen sich längst mit einem Finger wisch über den Touchscreen meistern. Nur dieses eine Problem hatte man noch nicht selbst in der Hand. Will sagen: „Fifa mobile“ kam zum idealen Zeitpunkt in mein Leben. Endlich direkter Zugriff aufs Spielgeschehen!
Binnen weniger Tage wurde ich Pep, meine Finger wurden Ballkünstler. Und im Einsgegen-eins standen echte Gegner aus aller Welt an ihren Tablets parat. Jede Nacht, sobald meine Kinder schliefen, verwandelte ich mich wieder selbst in ein Kind. Und bin es seither geblieben. Da können die echten Bayern so genial aufspielen, wie sie wollen. Mein Gezocke ist längst Selbstzweck.
Immerhin: Ich erspare den Nachbarn die Geige
Klar, man kann es erbärmlich finden: ein studierter Familienvater Ende 40, der stille Stunden nicht mit weltpolitischem Interesse, großer Literatur, Musik und teurem Rotwein füllt, sondern pubertierend mit Erdnüssen und seiner Spielsucht. Ich liebe es.
Völlig zweckfrei immer besser werden in einer Kunst, die niemand einfordert, nach der kein Hahn kräht. Nur für mich selbst. Das ärgert zwar die Kulturbeflissenen im Kreis meiner Lieben. Aber die sollen froh sein, dass ich nicht stattdessen Geige spiele. Das habe ich früher mal neun Jahre lang durchgehalten – geigen, um immer besser zu geigen. Allein wegen der Nachbarn würde ich das heute lassen. Vor allem aber, weil es nicht halb so viel Spaß macht.
Frage an alle Glücksritter da draußen: Ist Spaß nicht die härteste Währung, um den Wert gelebter Stunden zu bemessen? Ich finde: ja.
Playboy-Autor Alexander Neumann-Delbarre ist da völlig anderer Meinung: Lesen Sie hier seinen Gegenkommentar.