Elif, der Titel Ihres neuen Albums lautet „Endlich tut es wieder weh“. Klingt ganz schön düster …
Echt? Finde ich gar nicht (lacht). Der Titel enthält für mich drei Dimensionen. Das „endlich“ steht für Sehnsucht und Hoffnung, das „wieder“ für die Erfahrung damit und das „weh“ für den Schmerz. Ich finde, dass Schmerz nichts Negatives sein muss. Ich brauchte Schmerz in meinem Leben, um zu wachsen und voranzukommen. Seitdem ich das erkannt habe, habe ich keine Angst mehr davor.
Welches schmerzhafte Erlebnis war das prägendste für Sie?
Ein Todesfall in der Familie vor nicht allzu langer Zeit. So einen Verlustschmerz kannst du nicht einfach verarbeiten, und dann geht er weg. Er bringt so viele Sachen mit sich: Du blickst anders auf die Dinge, du bist traurig, gereizter – vielleicht wenden sich Freunde von dir ab. Er verändert dein Leben. Und trotzdem lernst du, damit umzugehen, was mich wiederum wachsen lässt. Am Ende lernt man eine Form der Dankbarkeit für das, was man alles hatte.
Woher stammt eigentlich Ihre Leidenschaft für Musik?
Ich habe früher, so ab fünf, viel MTV und Viva geguckt. Ich erinnere mich zum Beispiel an die Musikvideos von Britney Spears oder Michael Jackson. Meine Inspiration habe ich aber in der Rockmusik gefunden: bei Linkin Park, Pink oder Paramore. Da habe ich dann auch gecheckt, dass ich auf jeden Fall Musik mit Gitarre machen will. Ich bin damals zu meiner Mutter gegangen und meinte: „Ich möchte Gitarrenunterricht haben.“ Der Trick ist nämlich, nicht zu fragen, sondern es als Tatsache zu formulieren.
Sie wurden gefördert?
Ich bin mit drei Geschwistern bei meinen türkischen Eltern in Berlin aufgewachsen, wir hatten nicht viel Geld. Der Gitarrenunterricht hat 40 Euro im Monat gekostet. Und weil wir uns das finanziell nicht leisten konnten, haben meine Mutter und ich Manti (türkisches Nudelgericht, d. Red.) gemacht und an die Nachbarn verkauft. Meine Mama hat sich für mich eingesetzt und mir das ermöglicht. Dafür bin ich ihr immer noch sehr dankbar.
2009, mit 16 Jahren, haben Sie an der Casting-Show „Popstars“ teilgenommen und sind ziemlich weit gekommen. Dennoch haftet Ihnen das Casting-Show-Image nicht an. Woran liegt das?
An der Qualität dessen, was ich Tag für Tag mache. Ich glaube, du wirst immer an dem gemessen, was das Erfolgreichste ist, was du je gemacht hast. Ich habe nach der Show zum Glück noch erfolgreichere Momente gehabt. Es sind geile Sachen passiert. Die passieren auch jetzt noch. Ich glaube sogar, das ist alles gerade noch das langweilige Intro zu meiner Karriere.
Popstar Elif im Playboy: „Wenn du nicht für dich einstehst, wer macht es dann?“
Heute zeichnen sich Ihre Songs immer wieder dadurch aus, dass sie persönlich, aber auch kritisch sind. In Ihrem Lied „Alles helal“ von 2021 heißt es beispielsweise: „Ich will vom Himmel träumen, mit meinem Freund/Nackt im Bett und das am liebsten jeden Tag/Baba deine Tochter lebt in Sünde/ Und hat dafür gute Gründe.“ Was wollen Sie mit diesen Zeilen aussagen?
Früher hatte ich immer Angst, dass mich Leute verlassen, wenn ich ihnen erzähle oder zeige, wie ich wirklich bin. Gerade in der türkischen Community ist dein Ruf sehr wichtig. Nicht nur für dich selbst, sondern auch für deine Familie. Ich bin damals ab und zu auf Partys gegangen und hatte auch mal einen Freund. Ich selbst fand das nicht schlimm. Innerhalb unserer Community stieß das aber auf Ablehnung. Der Song war daher mein endgültiger Befreiungsschlag. Damit, dass ich es der ganzen Welt erzählt habe, habe ich mir meine Freiheit zurückgeholt. Und mir bestätigt, dass meine Liebsten bei mir bleiben, auch wenn sie wissen, wer ich bin. Der Song soll Mut machen, für sich einzustehen. Wenn du nicht für dich einstehst, wer macht es dann?
Worin sehen Sie die Ursache für dieses Doppelleben, das Sie beschreiben?
Schau mal, Kinder können sich nicht aussuchen, in welche Familie sie geboren werden, welcher Nationalität sie angehören, welche Hautfarbe oder sexuelle Orientierung sie haben. Ich finde, die Aufgabe der Eltern ist deshalb einfach nur, ihr Kind zu lieben. Ich glaube, oft vergessen Eltern, dass ihre Kinder nicht ihr Eigentum sind. Und wenn das „Eigentum“ nicht das macht, was man möchte, wird es nicht mehr geliebt. Genau deswegen haben viele Menschen Angst, zu sagen, wer sie sind. Wenn dein Kind offen mit dir reden kann, hast du Erziehung verstanden.
Wie waren die Reaktionen auf Ihren Song „Alles helal“?
Sehr gemischt. Bis zur Veröffentlichung habe ich keinem erzählt, dass ich ihn als Single rausbringe. Als es dann so weit war, gab es riesigen Streit in der Familie. Kurze Zeit hatte ich Angst, dass ich verstoßen werde. Aber meine Mutter hat eingegriffen und die Situation gerettet. Nur weil ich so ein Lied schreibe, heißt es ja auch nicht, dass ich ständig so unterwegs bin. Es musste so hart geschrieben sein, damit die Message ankommt. Es ist nicht nur meine Geschichte, es ist die Geschichte ganz vieler Menschen.
Popstar Elif im Playboy: „Ich habe früher körperliche und psychische Gewalt erlebt, weil ich gesagt habe, wer ich bin
Sie sind mit dem Song 2021 auch beim Free ESC für die Türkei angetreten und haben sich für Ihren Auftritt ein veilchenblaues Auge geschminkt, um auf die Gewalt gegen Frauen in der Türkei aufmerksam zu machen. Was waren die Beweggründe?
Ich wollte die Bühne nicht nutzen, um mich selbst zu vermarkten oder möglichst weit zu kommen, sondern um ein Statement zu setzen und etwas zu tun, das mehr wert ist als eine gute Positionierung in einem Ranking. Es ging mir darum, den Leuten Mut zu machen und auf dieses wichtige Thema aufmerksam zu machen. Mir ist es ja auch passiert. Ich habe früher körperliche und psychische Gewalt erlebt, weil ich gesagt habe, wer ich bin. Ich wollte zeigen: Ihr seid nicht allein.
Wie sind Sie mit der Gewalt, die Sie erfahren haben, umgegangen?
Ich bin erst mal von zu Hause ausgezogen, weil ich meinen eigenen Weg gehen musste. Je früher man anfängt, man selbst zu sein, desto einfacher wird’s. Das klingt jetzt simpel, ist es aber natürlich nicht. Auch ich hatte meine Probleme damit. Aber es ist wie bei einem Bungee-Sprung. Da merkt man erst im Nachhinein: war doch gar nicht so schlimm. Die Angst wächst eben, je mehr Zeit vergeht. Ich habe mich trotzdem immer für die Liebe entschieden. Ich wollte nicht zu 100 Prozent mit den Menschen brechen, die mir das angetan haben. Ich bin immer wieder hingegangen.
Für den Playboy haben sich bereits zwei Deutschtürkinnen, Sila Şahin und Yeliz Koc, ausgezogen. Sie mussten, gerade von der türkischen Community, viel einstecken.
Das liegt an dem religiösen Aspekt, denke ich. Daran, dass es innerhalb der türkischen Community eine „Sünde“ ist, seinen Körper zur Schau zu stellen. Ich finde halt, es ist nicht die Aufgabe von Menschen, andere Menschen zu beurteilen oder zu verurteilen. Das macht Gott. Viele Leute, und zwar nicht nur die türkische Community, haben zum Beispiel einen großen Hass auf Homosexuelle und auf die gesamte LGBTQ-Bewegung – sie denken, dass sie diese Menschen bekehren können. Aber, ey: Bevor du Hass in die Welt setzt, setz doch einfach Liebe in die Welt. Guck, dass du den Müll trennst, dass du freundlich bist zu den Menschen, Geld spendest. Tu irgendwas Gutes, anstatt Leute zu hassen. Jeder Mensch hat das Recht zu glauben, was er will, zu lieben, wen er will. Wer sind wir, darüber zu urteilen?
Was haben Sie eigentlich gedacht, als Playboy Sie für ein Interview angefragt hat?
Ich habe mich voll gefreut. Der Playboy ist halt einfach Kult. Mir fällt auch eine lustige Geschichte dazu ein: Als ich mich mit 17 entschlossen habe, Musik zu machen, ist mein Vater zu mir gekommen und meinte so: „Elif, bitte nicht der Playboy.“ Jetzt passiert genau das. Und ich freue mich, meinem Papa zu sagen, dass ich im Playboy bin – wegen meiner Musik (lacht).
Würden Sie sich denn für Playboy ausziehen?
Ich habe bisher nur Gutes gehört. Letztens habe ich mich zum Beispiel länger mit Bonnie Strange unterhalten, und sie war echt begeistert von ihrem Shooting. Deshalb: Sag niemals nie. Vielleicht fragt ihr mich an, wenn ich 40 bin, und dann habe ich ein krasseres Selbstbewusstsein oder will etwas aussagen mit meinem Körper. Bis dahin muss ich auf jeden Fall weiter Sport machen (lacht).
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