Die Paartherapeutin Lisa Fischbach bietet in ihrer Hamburger Praxis Einzel- und Paarberatungen sowie Coachings an und arbeitet seit 15 Jahren als Forschungsleiterin bei ElitePartner. Mit uns spricht die Experting über die Ergebnisse unserer Dating-Umfrage (alle Ergebnisse finden Sie hier), den Optimierungswahn in der Liebe und Sex beim ersten Treffen.
Frau Fischbach, laut unserer Playboy-Umfrage waren 49 Prozent der Deutschen schon einmal auf einer Online-Dating-Plattform angemeldet. Aber nur sieben Prozent finden es gut, sich auf diese Weise kennenzulernen. Woher kommt dieser Widerspruch?
FISCHBACH: Wir Menschen mögen die Vorstellung, dass wir dem Partner auf eine magische, wundersame Weise begegnen. Dieses romantische Aufladen der Liebe brauchen wir ein Stück weit auch: sich durch das Internet kennenzulernen, ein Profil zu erstellen und herumzuschauen wirkt zunächst nüchtern und holt unser Bedürfnis, dass Liebe etwas ganz Besonderes sein soll, nicht direkt ab.
Was ist denn der ideale Weg, um einen potenziellen Partner kennenzulernen? Ist der Freundes- und Bekanntenkreis, so wie es unsere Umfrage nahelegt, wirklich der beste?
FISCHBACH: Bezieht man sich auf alle aktuellen Paare, ist er nach wie vor der Liebeskuppler Nummer eins. Man hat von Beginn an das Gefühl, in seiner Peergroup zu sein – es herrschen gleiche Werte und ähnliche Einstellungen. Das vermittelt ein Gefühl der Sicherheit. Aber laut einer Erhebung von ElitePartner sind Partnerschaften, die in den letzten fünf Jahren entstanden sind, zu 40 Prozent durch Online-Dating entstanden – und das ist häufiger als durch den Freundeskreis. Es gibt also eine Verschiebung.
Würden Sie sagen, dass die Trefferquote höher ist, wenn man eine Person vor dem ersten Date schon einmal gesehen hat?
FISCHBACH: Wenn man sich das erste Mal mit einer Online-Verabredung trifft, kommt es zunächst zum Realitäts-Check. Das Bild, das man von der Person hatte, wird entweder bestätigt oder falsifiziert. Im Freundeskreis hat man die Person schon erlebt, was von großem Vorteil ist: Denn beim Verlieben ist die Attraktivität, dass wir jemanden physisch oder psychisch anziehend finden, das entscheidendste Merkmal.
51 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie es schwieriger finden, einen Partner kennenzulernen, als noch vor 20 Jahren. Wie kann das sein, wo es heute doch mehr Möglichkeiten gibt?
FISCHBACH: Man weiß aus der Psychologie: Entscheidungen fallen schwerer, wenn man viele Möglichkeiten hat. In einer Zeit, in der alles möglich ist, fällt es schwer, sich festzulegen. Zu viel Auswahl kann auch überfordern. Außerdem leben wir auch in einer Welt mit starken Optimierungstendenzen und in einer Konsumgesellschaft. Das macht auch vor der Liebe nicht halt.
Wie meinen Sie das?
FISCHBACH: Wir wollen nur das Beste für uns, auch in einer Partnerschaft. Das ist zwar legitim, macht aber die Suche schwerer und kann Beziehungen verhindern. Ich stelle in meiner Praxis fest, dass bei vielen die Frustrationstoleranz gesunken ist. Wenn in einer Partnerschaft etwas nicht gut läuft, ist die Bereitschaft, sich zu trennen, größer als früher – gerade bei Jüngeren.
Sollte man etwas dagegen tun?
FISCHBACH: Man sollte diese Einstellung hinterfragen. Wir müssen lernen, mit der Freiheit umzugehen, und wir müssen lernen, uns darauf zu fokussieren, was wir wirklich brauchen, um glücklich zu sein. Und eben nicht alles haben zu wollen.
Lisa Fischbach im Playboy-Interview: „Klischees haben sich unhinterfragt über Generationen vererbt“
Der Hauptgrund, warum die Deutschen auf einer Dating-Plattform angemeldet sind, ist die Suche nach einer Beziehung. Der zweithäufigste Grund bei Männern ist die Suche nach Sex. Bei Frauen spielt das mit 14 Prozent der Stimmen eine viel kleinere Rolle. In Anbetracht der Emanzipation komisch, oder?
FISCHBACH: Es ist schon festzustellen, dass sich das sexuelle Bedürfnis bei Frauen emanzipiert hat. Viel mehr stehen zu ihrer Lust und geben an, dass ihnen eine zufriedenstellende Sexualität wichtig ist. Aber die meisten Frauen suchen den erfüllten Sex in einer festen, verbindlichen Beziehung. Es ist ja auch beim Fremdgehen so, dass es den Frauen eher um die emotionalen Bedürfnisse wie Bestätigung geht. Männer dagegen wollen eher Abenteuer und nutzen Gelegenheiten.
Gesellschaftliche Faktoren spielen keine Rolle?
FISCHBACH: Doch, es hat natürlich auch mit der Frage zu tun: Wie wird Sex bei Männern und Frauen bewertet? Es gibt sicherlich viele Frauen, die ihre Sexualität nicht so lustvoll ausleben, wie sie es gerne wollen, weil sie Angst vor der Bewertung haben.
Apropos Gleichberechtigung: Beim ersten Date zu bezahlen ist für die meisten Männer eher Männersache. Frauen finden dagegen, dass die Rechnung geteilt werden sollte. Erstaunlich, oder?
FISCHBACH: Geschlechterrollen sind in einem Umwälzungsprozess, aber der ist sehr viel zäher, als man vielleicht denkt. Viel hat auch mit dem Selbstbild als Mann oder als Frau zu tun, das man jahrzehntelang verinnerlicht hat. Klischees haben sich unhinterfragt über Generationen vererbt. Und für eine Veränderung braucht es auch ein verständnisvolles Gegenüber. Beim Daten gibt es die Traditionellen, die Liberalen und die Modernen. Und wenn verschiedene Typen aufeinandertreffen, kann das zu unheimlichen Missverständnissen führen. Wir sind zwar im Zeitalter des Aufbruchs und der Veränderung, aber es gibt noch kein zuverlässiges Erfahrungswissen, kein neues Selbstverständnis. Es herrscht oft noch Verwirrung.
Würden Sie Männern denn raten, beim ersten Date die Rechnung zu übernehmen?
FISCHBACH: Der Mann sollte sich und seinen Bedürfnissen treu bleiben. Ich finde, wenn er das Bedürfnis hat zu bezahlen, kann er charmant fragen: „Ich würde dich gerne einladen, ist das für dich okay?“ Wenn die Frau das aber nicht möchte, sollte man das aber auch nicht überinterpretieren und direkt denken, dass sie kein Interesse hat.
Laut unserer Umfrage gehen körperliche Intimitäten wie Sex und Petting beim ersten Date für die Deutschen zu weit. Würden Sie das auch auf die etablierten Geschlechterrollen zurückführen?
FISCHBACH: Man muss sich sowohl als Mann als auch als Frau immer fragen: Wie wird das verstanden? Was der andere über einen denkt, hat man nicht selbst in der Hand. Und ja, man hat all die Klischees und Bilder im Kopf. Für viele dient das erste Date daher eher dazu, sich kennenzulernen, einander in die Augen zu schauen und zu gucken, ob die Chemie stimmt.
Würden Sie von Intimitäten beim ersten Date abraten, wenn man sich ernsthaft kennenlernen möchte?
FISCHBACH: Ich finde, dass man sich ruhig ein bisschen mehr Zeit nehmen sollte. Wenn es direkt funkt, kann man meinetwegen mal knutschen, sich berühren oder Komplimente machen. Der Sex wird nicht schlechter, wenn man die Aufregung hat hochkommen lassen. Dennoch: Laut Statistik ist jedes fünfte Paar, das beim ersten Date im Bett gelandet ist, auch eine Beziehung eingegangen. Bei 23 Prozent ist es nichts geworden. Entscheidender ist also eher, was man sucht und wie die Absichten sind.
Was hat unsere Umfrage für Sie am deutlichsten bewiesen?
FISCHBACH: Dass sich Online-Dating liberalisiert hat. Man sieht an den Ergebnissen, dass etwas in Bewegung ist. Und das kann ja auch für den Mann sehr entlastend sein. Der Hauptgrund für Männer, Single zu sein, ist ihre Schüchternheit, das haben wir immer wieder in Statistiken festgestellt. Und die sind natürlich froh, wenn die Frau hin und wieder die Initiative ergreift.
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