„Sich zu zeigen oder zuzuschauen, ist überhaupt nichts Schlimmes“

Interview mit TV-Nonne und Exhibitionstin Antje Mönning: Über Sex-Normen, Ungerechtigkeit vor dem Gesetz und schambehafteten Umgang mit Sexualität
Credit: Martin Kagerer

Seit sie ihre exhibitionistischen Neigungen öffentlich machte, ist das Postfach der Ex-„Um Himmels Willen“-Schauspielerin Antje Mönning eine Art Zufluchtsort für Menschen, die sich im Ausleben ihrer Sexualität gefangen fühlen. Diese Geschichten sammelte die 45-Jährige nun in ihrem Buch „Nicht normal ist ganz normal“ – und plädiert mit ihm auch für eine schamlosere Öffentlichkeit ohne sexuelle Tabus. Ein Interview über echte Orgasmen vor der Kamera, Ungerechtigkeit vor dem Gesetz und die Frage, was Sex-Normen eigentlich sein sollen. 

Frau Mönning, kürzlich erschien Ihr Buch „Nicht normal ist ganz normal“, in dem sie verschiedenste Menschen von ihren sexuellen Neigungen und Vorlieben erzählen lassen und auch Ihre eigene Geschichte teilen. Wie kam es zu diesem Buch?

Ich bin seit 15 Jahren als Schauspielerin, Musikerin und Künstlerin dafür bekannt, mich für einen natürlichen Umgang mit Nacktheit und Sexualität einzusetzen. Seit ich von der braven Nonne aus der ARD-Prime-Time-Serie „Um Himmels Willen“ zur wilden Lucy, einer sexuell befreiten Frau im Kinofilm „Engel mit schmutzigen Flügeln“ der wtp international Filmproduktion geworden bin, haben mir immer wieder Menschen geschrieben, die ihre sexuellen Neigungen oder Orientierungen nicht mit ihren Partnern teilen können. Nach und nach bin ich zu einer Art Kummerkasten für Menschen geworden, die sich nicht trauen, ihre eigene Sexualität öffentlich zu machen und sich für sie auch noch geschämt haben. Darüber musste ich einfach ein Buch schreiben. Auch, um andere Menschen zu ermutigen, zu ihrer Sexualität zu stehen. 

Was war die schockierendste Geschichte, die Sie gehört haben?

Dazu zählt sicherlich die eines Politikers, der sich nicht getraut hat, sich zu seinen Neigungen zu bekennen, weil er in der Öffentlichkeit steht und aus einem konservativen Umfeld kommt. Für mein Buch hat er mir ein Interview gegeben und auch darüber gesprochen, wie die Gesellschaft mit Politikerinnen und Politikern umgeht und deren Privatleben in den Dreck zieht. Ganz kurz vor der Veröffentlichung hat er dann aber einen Rückzieher gemacht. Das habe ich in dem Buch auch thematisiert, weil ich es so wahnsinnig traurig fand, dass die Angst, „enttarnt“ zu werden, so groß ist, dass Menschen ihrer Worte beraubt werden. 

Antje Mönning im Playboy-Interview: „Ich habe so viel über Sexualität gelernt, dass es für mich ein ‘Normal‘ nicht gibt“

Ihr Buch heißt „Nicht normal ist ganz normal“. Was bedeutet normal für Sie? 

Ich habe inzwischen so viel über Sexualität gelernt, dass es das für mich nicht gibt. Für mich ist die Norm ein Konstrukt, das irgendwie mal nach moralischen Vorgaben entwickelt wurde. Wie zum Beispiel das christliche Bild, das eine gewisse Normalität propagiert, in der Sexualität lediglich der Kinderzeugung dient. Und alles, was nicht der Kinderzeugung dient, ist demnach nicht normal. 

Gleichzeitig helfen Normen, Dinge und Sachverhalte einzuordnen. Müsste man die Bedeutung von Normalität also ummünzen? Oder würden Sie eher für eine Abschaffung der Norm plädieren? 

Natürlich ist es hilfreich, innerhalb einer Gesellschaft einen bestimmten Kompass zu haben. Ich finde es aber wichtig, diesen immer wieder neu zu kalibrieren: Welche Werte vertreten wir als Gesellschaft? Was ist uns wichtig? Und das kann sich im Laufe der Zeit ja auch wandeln, wie sich zum Beispiel auch der Blick auf die weibliche Sexualität gewandelt hat. Sie wurde früher als sehr passiv dargestellt und hat Frauen eigentlich eine eigene Geilheit abgesprochen. Inzwischen erkennen wir an, dass Frauen genauso aktiv sind. 

Diese Neukalibrierung setzt aber voraus, dass jeder die Notwendigkeit des Hinterfragens erkennt. 

Ja, und hier fehlt es an Ermutigung und an ermutigenden Beispielen. Das habe ich vor allem im Bereich der Asexualität gemerkt, die sehr weit verbreitet ist, gleichzeitig aber überhaupt nicht in den Medien repräsentiert. Es gibt kaum Filme, kaum Serien, in denen Asexuelle vorkommen – und wenn, dann nur als Nebenfiguren und schon gar nicht als eine Gruppe von Menschen, die glücklich ist mit ihrer Asexualität. Das sind sie aber. 

Sie sind Schauspielerin und haben Ihren Durchbruch als Nonne in der ARD-Serie „Um Himmels Willen“ gefeiert. Nachdem Sie die Serie verlassen haben, landeten Sie mit dem Film „Engel mit schmutzigen Flügeln“ in den Schlagzeilen. 

Ich würde wirklich sagen, dass der Film eine Art Coming-Out für mich war. Durch ihn habe ich erst gemerkt habe, was meine Sexualität ist. Ich habe mir davor keine Gedanken gemacht, warum ich mich gerne ausziehe und nackt zeige. Der Film war wie eine Suche nach mir selbst. Ich habe gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, auch echte Orgasmen öffentlich zu zeigen. Weibliche Orgasmen – und Sexualität allgemein – werden ja in Filmen noch immer sehr schambehaftet dargestellt. Bei mir ist es aber so, dass ich beim Orgasmus nicht besonders schön aussehe und das ja auch gar nicht kontrollieren kann (lacht)

Antje Mönning im Playboy-Interview: „Die Herren konnten sich nicht vorstellen, dass eine Frau einfach gerne freizügig herumläuft“

Auch mit Ihrer sexuellen Neigung landeten Sie in den Schlagzeilen. Sie bezeichnen sich als Exhibitionistin. 2018 entblößten Sie sich auf einem Parkplatz vor drei Männern. Zwei von ihnen waren Zivilpolizisten, die gerade einen LKW-Fahrer kontrollierten – und ihren „Parkplatzstrip“ zur Anzeige brachten. Bereuen Sie die Aktion?

Nein, weil alles, was danach kam, offengelegt hat, wo es in der Gesellschaft noch hakt. Nämlich am Thema Kommunikation. Keiner der drei Männer bat mich aufzuhören oder sprach auch nur mit mir. Stattdessen habe ich mich durch ihre Blicke aufgefordert gefühlt, das war einfach ein großes Missverständnis. Ich habe ja keine sexuelle Handlung begangen, das will ich gerne betonen (lacht). Ich war nicht einmal so nackt wie der männliche Flitzer, der durchs Fußballstadion läuft.

Inwiefern hat es in dem Fall an Kommunikation gemangelt?

Ich hätte ja gar nicht erst angefangen, wenn der Zeuge, der befragte Lastwagenfahrer, nicht so fröhlich herübergeschaut hätte. Dass er sich nur deswegen gefreut hat, weil er meinen Auftritt als willkommene Abwechslung sah und dachte, er kommt dadurch um seine Kontrolle herum, habe ich erst im Nachhinein erfahren. Gleichzeitig hat sich einer der Zivilpolizisten direkt vor mir ins Auto gesetzt und mich angeschaut. Ich dachte, auch er hat sich darüber gefreut, mich so zu sehen. Dass der eine Videoaufnahme von mir als Beweismittel macht, wusste ich nicht (lacht). Als der Vorfall an die Öffentlichkeit kam, habe ich von ganz vielen Polizisten deutschlandweit Zuschriften bekommen, wie fassungslos sie sind, dass die Kollegen nichts gesagt haben. Und der Grund, warum sie das nicht getan haben, ist ein weiteres Problem unserer Gesellschaft. 

Und zwar welches? 

Sie dachten, sie bekommen mich wegen einer Straftat dran. Sie haben mich für eine Prostituierte gehalten. Das zeigt, was für ein Frauenbild in unserer Gesellschaft herrscht. Die Herren konnten sich nicht vorstellen, dass eine Frau einfach gerne freizügig herumläuft.

Antje Mönning im Playboy-Interview: „Die meisten exhibitionistisch veranlagten Menschen gewinnen ihre Lust aus der Freude des Gegenübers“

Das Gesetz misst in solchen Sachverhalten mit verschiedenen Maßstäben: Bei Männern ist dieser Tatbestand strafbar, bei Frauen nicht. Wie finden Sie das?

Ich finde das ungerecht. Das Grundgesetz besagt, dass jeder Mensch vor dem Gesetz gleich ist. Und der Exhibitionismus-Paragraf behandelt Menschen aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich. Das sollte nicht sein, das ist in dem Fall ungerecht gegenüber Männern. Denn was damit in meinen Augen auch einhergeht, ist eine Verknüpfung von männlicher Nacktheit mit Perversion. Das finde ich nicht richtig und diskriminierend gegenüber Männern, die, wenn sie sich gerne nackt zeigen, als sexuelle Triebtäter abgestempelt werden, obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.

Sehen Sie in dem Paragrafen einen Schutz für Frauen?

Nein, wenn man ihn einfach weglassen würde, gibt es immer noch das Gesetz, das alle betrifft – das Gesetz der Erregung öffentlichen Ärgernisses. Und darunter würde ja auch ein Mann fallen, der sich öffentlich entblößt und onaniert zum Beispiel. Es gibt diese Art von übergriffigen Exhibitionisten, aber das ist nur ein ganz geringer Prozentsatz. Die meisten Menschen, die exhibitionistisch veranlagt sind, gewinnen ihre Lust eigentlich nur aus der Freude des Gegenübers. Das, was übergriffige Triebtäter machen, ruft Angst, Scham und Ekel hervor. 

Im Vorwort Ihres Buchs stellen Sie die Frage, was denn so bedrohlich an Nackten sei, dass sie dafür „bestraft, stigmatisiert oder diffamiert“ werden. Was glauben Sie?

Gerade Männer werden mit Triebtätern in Verbindung gebracht, weil wir mit dem Bild von Exhibitionisten aufgewachsen sind, die in einer Unterführung lauern und sich vor Frauen und Kindern entblößen. Das liegt vielleicht auch am Männerbild, das wir in unserer Gesellschaft haben: Der Mann ist der aggressive Part – ein Klischee des Mannes, der immer kann und will und dafür bereit ist, über Grenzen zu gehen. Das müssen wir dringend hinterfragen. Und bei Frauen spielt sicherlich die Übersexualisierung von weiblicher Nacktheit in Werbung, Film und TV eine Rolle. 

„‘Nicht normal‘ ist ganz normal“: Antje Mönnings Buch über die Vielfalt der Sexualität erschien vor Kurzem beim wtp Verlag
„‘Nicht normal‘ ist ganz normal“: Antje Mönnings Buch über die Vielfalt der Sexualität erschien vor Kurzem beim wtp Verlag (16 Euro)
Credit: PR

In Ihrem Buch betiteln Sie umgekehrt das Pornoschauen als Voyeurismus. Wir wissen, wie viele Menschen Pornos gucken – wir wissen auch, wie viele Menschen nicht darüber reden. Wir würden behaupten, dass sich noch weniger als Voyeure bezeichnen würden.

Sind sie aber. Wenn man vom Wortursprung ausgeht, meint Exhibitionismus, dass jemand etwas von sich zeigt, und Voyeurismus, dass jemand zuschaut. Und sich zu zeigen oder zuzuschauen, wenn es einvernehmlich ist, ist überhaupt nichts Schlimmes. Das Problem ist nur, dass die beiden Wörter so moralisch aufgeladen und mit etwas „Schmutzigem“ verknüpft werden. Dabei ist es so: Wer gerne Pornos schaut, ist ein Voyeur, und wer gerne vor der Kamera steht oder sonst gerne etwas von sich zeigt, ein Exhibitionist. Es ist in beiden Fällen einfach ein neutrales Wort, das etwas beschreibt, mehr nicht. Stigmatisiert werden die Begriffe erst durch die Gesellschaft. 

Antje Mönning im Playboy-Interview: „Verständnis kann helfen, andere Lebensweisen und Ansichten zu respektieren“

Wie kann man sich von den Stigmatisierungen frei machen? 

Verständnis kann helfen, andere Lebensweisen und Ansichten zu respektieren. Man muss nicht mit allem d’accord sein, aber der erste Schritt wäre zu sagen: Okay, diese Art von Sexualität mag für mich persönlich nichts sein, aber ich lasse dich leben, wie du leben willst. 

Sind Sie frei von Vorurteilen und Klischees, wenn Ihnen jemand von seiner Pornosucht, seinem Camgirl-Dasein, seinen Kinks oder Fetischen erzählt?

Nein, ich kann mich davon überhaupt nicht freisprechen. Als ich die vielen Menschen für mein Buch gesprochen habe, habe ich gemerkt, dass ich selbst noch viele Vorurteile habe. Aber ich bin sehr neugierig und sehr offen, etwas Neues zu lernen.

Was kann jeder Einzelne tun, um die Kommunikation in Sachen Sexualität zu öffnen? 

Bei sich selbst anfangen. Im ersten Kapitel meines Buchs habe ich thematisiert, dass viele Männer immer noch eine Scheu haben, ehrlich über ihre Sexualität zu sprechen. Auch Männer täuschen einen Orgasmus vor, wenn ihnen der Sex nicht gefällt. Oder machen ihn lustlos mit, weil sie sich nicht trauen zu sagen, dass sie keine Lust haben. Ich glaube, wenn man da ehrlich ist zu sich selbst und respektvoll zu seinem Gegenüber, kann das für andere ermutigend sein, ebenfalls über die eigenen Wünsche, aber auch Grenzen zu sprechen.