Ein verregneter Augustvormittag auf der Reeperbahn in Hamburg. Weil Xatar noch nicht den Weg ins Halbdunkel des um diese Zeit geschlossenen „Moondoo“-Clubs gefunden hat, startet der Fotograf mit ein paar Porträtaufnahmen von Regisseur Fatih Akin. Entspannt lehnt der 49-Jährige an einer metallisch schimmernden Wand – passend zum Titel seines neuen Films „Rheingold“, der am 27. Oktober im Kino startet und in dem er aus Xatars Leben erzählt: von dessen Werdegang als Gangster, dem Überfall auf einen Geldtransporter, für den der Rapper zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde, genauso wie von den künstlerischen Erfolgen und Xatars Kindheit als Sohn des Musikprofessors und Komponisten Eghbal Hajabi. Wie ein entfesselter Flaschengeist kommt der 40-jährige Xatar, der mit bürgerlichem Namen Giwar Hajabi heißt, nun im Muskelshirt in den Raum gerauscht, stürmt auf Akin zu, Kniefall, Umarmungen, Küsse, Bruder dies, Bruder das. Er ist jetzt so was von da – warum also nicht gleich loslegen?
Herr Akin, Herr Hajabi, ein von den Feuilletons gefeierter Regisseur und ein Gangster-Rapper – wie haben Sie beide eigentlich zueinandergefunden?
AKIN: Wir haben gemeinsame Bekannte aus verschiedenen Ecken und sind deshalb schon eine ganze Weile wie Satelliten umeinander gekreist. Irgendwann haben wir uns dann geschrieben, ey, lass mal kennenlernen.
Sie wussten damals aber schon, für was Xatar steht und kannten seine Musik?
AKIN: Xatar ist ein Ereignis. Ich war da nicht so deep drin, aber ich kannte seine Musik und die Story dahinter – den Goldraub und all das. Bevor wir uns getroffen haben, habe ich mir dann trotzdem noch seine Biografie besorgt, damit ich vorbereitet bin (Giwar Hajabis Lebensgeschichte „Xatar – alles oder nix“, die 2015 erschienen ist und zum Bestseller wurde, d. Redaktion).
HAJABI: Krass. Hast du echt?
AKIN: Ja, damit ich ein bisschen was über dich weiß, bevor wir uns kennenlernen. Beim Lesen dachte ich mir dann, okay, da könnte man einen Film draus machen, und habe gleich bei unserem ersten Treffen nach den Rechten gefragt.
Wobei Sie da bestimmt nicht der Erste waren, oder?
HAJABI: Es gab tatsächlich immer wieder Anfragen, schon als ich noch im Knast saß. Für mich war das lange Zeit ein Geld-Game. Die Filme hier sind zu 90 Prozent eh scheiße, vor allem Filme über Rapper. Deshalb habe ich mir gedacht, ich nehme für diese Verfilmung jetzt einfach so viel Cash wie möglich. Aber als dann Fatih interessiert war, habe ich zu meinem Anwalt gesagt: „Chill mit deiner Verhandlung! Nicht dass der abspringt.“ Ich habe hier in Deutschland nur noch selten solche Fan-Momente, aber dass Fatih das machen wollte, darüber habe ich mich sehr gefreut.
Sie haben neulich in einem Podcast erzählt, dass Ihre künstlerisch sehr anspruchsvollen Eltern gar nicht glauben konnten, dass jemand wie Fatih Akin Ihren Werdegang reizvoll findet. Sehen die beiden das, was Sie machen, wirklich immer noch so kritisch?
HAJABI: Sie sind schon stolz drauf, dass ich nicht mehr kriminell bin, mein Ding mache und Brot nach Hause bringe. Aber aus künstlerischer Sicht sind sie kritisch, sie nehmen Rap einfach als Un-Musik wahr. Mein Vater war Komponist und Dirigent – was Kunst angeht, ist er Fundamentalist. Deshalb haben meine Eltern am Anfang gesagt, jemand wie Fatih Akin wird niemals einen Film mit dir drehen. Warum auch? Inzwischen freuen sie sich aber übertrieben.
Als Sie neulich den Trailer zu „Rheingold“ auf Ihrem Instagram-Account gepostet haben, haben Sie dazugeschrieben, dass Ihr Leben nie wieder das alte sein wird, wenn dieser Film erscheint. Inwiefern?
HAJABI: Fatih hat gleich am Anfang zu mir gesagt: „Guck mal, das ist dann aber mein Film und nicht dein Film.“ Was ich aus künstlerischer Sicht natürlich voll feiere, weil ich will, dass das ein Fatih-Akin-Film wird. Aber es hat auch bedeutet, dass er sehr kritisch mir gegenüber als Person geworden ist. Worauf ich zum Teil auch selbst bestanden habe, aber wenn man diese Szenen dann tatsächlich sieht, ist das schwer. Damit schade ich vielleicht auch dem Ehrenmann-Rapper in mir. In diesem Film sind Sachen drin, die ich so noch nie erzählt habe und auch nicht erzählen würde. Könnte ich gar nicht über die Lippen bringen. Und natürlich geht es auch um die große Frage, wo ist das Punkt-Punkt-Punkt?
Sie befürchten, dass wieder Fragen nach der Beute von damals laut werden?
HAJABI: Einige Fragen sind schon beantwortet, wenn man den Film gesehen hat. Man muss ihn dazu bis zur letzten Sekunde geguckt haben, auch den Nachspann noch.
Um noch einmal auf den Ehrenmann-Rapper in Ihnen zurückzukommen: Sie haben doch bereits in Ihrer Biografie alle möglichen Details ausgepackt, warum soll das jetzt delikater sein?
HAJABI: Das Buch habe ich selbst geschrieben, mit einem Lektor zusammen. Das ist, wie wenn du selbst das Feuerzeug in der Hand hast und einen Finger in die Flamme hältst: Das schaffst du nicht so lange, wie wenn es jemand anderes macht. Jetzt, beim Film, hat jemand anderes das Feuer gehalten.
Xatar bedeutet auf Kurdisch „Gefahr“, und tatsächlich zeigt der Film sehr deutlich, wie Sie zur Gefahr für andere werden. Herr Akin, war diese Gewaltbereitschaft ein Problem für Sie, hatten Sie Bedenken, das darzustellen?
AKIN: Dann hätte ich nicht den „Goldenen Handschuh“ gemacht! (Akins letzter Film über den Hamburger Frauenmörder Fritz Honka, d. Redaktion)
HAJABI: (Lacht) Wie soft ich auf einmal bin.
AKIN: Ich mache Filme über Menschen – weil ich ganz allgemein an ihnen interessiert bin. Eigentlich ist so ein Film immer ein bisschen Forschung. Je interessanter diese Menschen sind, je mehr Schatten sie haben, desto mehr suche ich nach dem Licht in ihnen. Weil die Schatten ja irgendwoher kommen. Bei mir hat es nicht dafür gereicht, Psychologie zu studieren oder Arzt zu werden. Aber diese Themen der Anthropologie – Moralität, Amoralität und die Frage, was Menschen zu dem macht, was sie sind – das sind schon Sachen, die mich sehr interessieren.
Fatih Akin im Playboy-Interview: „Die Gewalt war auch bei mir auf der Straße immer da“
Ohne dass Sie sich dafür mit ihnen identifizieren können müssen?
AKIN: Je weiter diese Menschen von mir weg sind, desto interessanter ist es. So wie Honka oder ein Gangster-Rapper. Aber ich suche sowohl beim einen als auch beim anderen nach einer Brücke, einer persönlichen Verbindung, nach Überschneidungspunkten. Dabei lerne ich nicht nur etwas über das Material, mit dem ich mich auseinandersetze, dabei lerne ich auch viel über mich selbst.
Was war die Brücke zu Xatar?
AKIN: Ich komme auch aus einem sozialen Brennpunkt. Aus einer anderen Generation, aus einer anderen Stadt, mit einem anderen ethnischen Background – aber es gibt dennoch Verbindungen. Im Gegensatz zu Giwars Hood war meine wahrscheinlich Kindergarten – und trotzdem: Die Gewalt war auch bei mir auf der Straße immer da. Ich war auch immer in einer Gang, weil das so ein Dazugehörigkeits-Ding war. Wenn du nicht Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft bist, dann suchst du dir halt deine Peergroup, in die du gehörst. Du willst kein Außenseiter sein, das will kein Jugendlicher. Außerdem wirst du abgezockt, wenn du nicht in einer Gang bist. Mir hat meine Gang ein Zugehörigkeitsgefühl gegeben. Und obwohl ich aus einem sozialen Brennpunkt kam, war ich gleichzeitig auf dem Gymnasium wie Giwar auch. In mir selbst war die Gewalt nie so richtig drin, aber ich habe sie beobachtet, und ich wollte schon immer die Mechanismen der Gewalt verstehen.
Eine bestimmte Episode aus Giwar Hajabis Biografie, die mit Gewalt zu tun hat, haben Sie im Film ausgelassen: die Verhaftung 2016 in Los Angeles, nachdem er auf einer Party in der Playboy Mansion eine Frau geschlagen hatte. Weshalb haben Sie das nicht miterzählt?
AKIN: Weil Los Angeles nicht Teil der Handlung war. Aber wir waren uns beide einig, dass man sehen muss, wie er eine Frau schlägt.
HAJABI: Ich habe sogar ein bisschen darauf bestanden.
AKIN: Deshalb habe ich diesen Fall dann recherchiert: die Art des Schlages, die Art der Verletzung, was für ein Treffer das war. Und solch einen Schlag habe ich dann im Film in einem anderen Kontext erzählt. Es ist eine Übersetzung der tatsächlichen Ereignisse.
Herr Hajabi, in Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie an diesem Abend in L. A. getrunken hatten, später haben Sie erzählt, dass Ihnen wahrscheinlich jemand etwas ins Glas getan hätte. Glauben Sie das immer noch?
HAJABI: Ich war ein sehr gewalttätiger Mensch zu dieser Zeit. Aber ich komme auch aus einem Haushalt mit vielen Frauen, meine Mutter ist sehr lange Vorsitzende der Frauenrechtsbewegung der Kurdinnen in Deutschland gewesen. Ich bin mit Frauenpower aufgewachsen und auch mit Respekt vor Frauen. Das heißt, was ich da getan haben soll, ist nicht gang und gäbe für mich. Aber ich will mich nicht aus dieser Sache rausreden, das sieht hässlich aus nach außen. Am Ende des Tages steht da was im Raum, das passiert sein soll – und da ist auch was passiert. Wie es dazu gekommen ist, ist scheißegal am Ende des Tages, weil es nicht zu entschuldigen ist.
Warum war Ihnen so wichtig, dass man diese Facette von Ihnen im Film sieht?
HAJABI: Zum einen, weil ich selbst auch Fan bin, zum Beispiel von Dr. Dre. Und als „Straight Outta Compton“ rauskam, bei dem er und Ice Cube als Produzenten mit an Bord waren, konnte ich nicht fassen, dass sie sich so viel besser dargestellt haben, als sie waren. Ich kannte die Geschichten ja alle! Das war für mich ein Riesen-Abtörn. Die andere Sache ist, dass ich selbst aus dem Entertainment-Bereich komme und finde, dass das einen zu faden Beigeschmack hat, wenn die kritischsten Momente, die man von mir kennt, nicht erwähnt werden. Das wäre aus künstlerischer Sicht einfach ekelhaft.
AKIN: Giwar war auf jeden Fall ein amoralischer Mensch, er hat Menschen Leid angetan. Und heute reflektiert er darüber, er hat aus der Reflexion ein Geschäft gemacht. Und da kommen wir zusammen: Dieser Film ist für mich eine Möglichkeit, seine Reflexion zu reflektieren.
Herr Hajabi, sind Sie selbst manchmal davon überrascht, dass so viele Menschen über die schlimmen Dinge hinwegsehen, die Sie gemacht haben? Sie haben unfassbar viele Fans, allein bei Instagram sind es eine Million Follower, die all das offenbar ausklammern und Sie trotzdem feiern.
HAJABI: Das Ding ist, ich komme aus dieser anderen Welt, in der es öfter mal so ist, dass jemand solche schwarzen Kapitel oder Momente in seinem Leben hat. Aber das Schöne am Rap ist, dass über diese Sachen geredet wird, deshalb hält sich dieses Genre auch seit Jahrzehnten in der Welt. Menschen machen Fehler, sie sündigen, und im Rap wird das den Leuten nicht vorenthalten, es ist am Ende sogar einer der USPs des Genres geworden. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man Dinge bereut, die man gemacht hat und die eindeutig falsch sind, mit denen man Menschen geschadet hat. Dass man daraus lernt und das nicht noch mal macht.
AKIN: Er hat ja auch viele Preise für diese Dinge bezahlt. Allein der Gesetzgeber-Preis: acht Jahre Knast für den Goldraub.
HAJABI: Ich repräsentiere mit dieser Geschichte von mir einen nicht kleinen Teilen dieser Bevölkerung, der all das nur so kennt, aber über dessen Leben nicht gesprochen wird. Dieser Weg, den ich gegangen bin, die Gewalt, damit können sich viele identifizieren, die wissen, woher das kommt und wie das damals auf der Straße war: dass jeder ein Dealer sein konnte, weil es dafür immer Kunden gab. Dann gab es noch die Zuhälterei, dafür musstest du ein Player sein, damit Frauen das für dich machen. Das hat nicht jeder geschafft, aber das hat viel Geld gebracht in den 90ern. Und dann gab es eben den Transporter-Überfall. Dafür musstest du Eier haben – und Connections, um an so einen Tipp zu kommen. Das war wie für Akademiker ein Professorentitel.
Dieser Teil der Bevölkerung, den Sie beschreiben und für den Sie stehen, wird von anderen gesellschaftlichen Schichten gerne in Stereotype-Schubladen gesteckt. In Ihrem Buch beschreiben Sei die Anekdote einer TV-Aufzeichnung, bei der Sie eine Rede von Antonín Dvořak halten. Diese Szene wurde dann aber aus der Sendung herausgeschnitten, weil man Sie so offenbar nicht zeigen möchte. Passiert Ihnen so etwas immer noch?
HAJABI: Ich habe daraus ein Geschäft gemacht und fahre in Gesprächen schon lange nicht mehr das auf, was ich auffahren will oder kann. Weil ich weiß, das verwirrt nur, oder man braucht es in dem Moment nicht. Ich arbeite musikrechtlich auch viel international, und in Brasilien oder im Kongo, in Kurdistan und im Irak ist das ein ganz anderes Spiel. Da funktioniert mein akademisches Repertoire. Als Geschäftsmann guckst du eben: Was passt zum Business und was nicht.
Herr Akin, welcher ist eigentlich Ihr Xatar-Lieblingssong?
AKIN: Der neue aus dem Film natürlich: „Der Mann im Haus“. Und davor eigentlich alle Tracks auf der „415“ (Der Titel des Albums, das Giwar Hajabi an den Wärtern vorbei aus dem Gefängnis heraus aufgenommen hat, benannt nach seiner Gefangenennummer, d. Redaktion). Irgendwann werden wir einen Dokumentarfilm nur über die „415“-Platte machen. Ich habe mein Leben lang immer Hip-Hop gehört, Hip-Hop hat mich sozialisiert. Zuerst als Teil der Breakdance-Kultur, dann als „voice of the ghetto“. Und das ist Hip-Hop bis heute weltweit geblieben. Klar gibt es auch Pop-Hip-Hop wie zum Beispiel Fanta4, Fettes Brot et cetera, aber das ist ja nicht Ghetto-Life, keine Oral History (eine Methode der Geschichtswissenschaft, die Zeitzeugen sprechen lässt, d. Redaktion). Das habe ich durch die Dreharbeiten für mich selbst noch mal so richtig begriffen. Auch wenn sich die Werte und Normen unserer Gesellschaft verändern, ist und bleibt Hip-Hop Oral History. Wenn er nicht aus dem Ghetto kommt oder wenn er keine Props aus dem Ghetto bekommt, dann ist es nicht „real“. Das gilt auch für den Film: Klar versuche ich, damit auch ein Publikum im Bildungsbürgertum und in der Bourgeoisie mit abzuholen. Aber das erste Publikum, das ich wirklich mit abholen muss, sind die Leute, die Hip-Hop im Herzen haben. Das ist die Straße. Wenn die Straße es nicht akzeptiert, dann kann sonst wer sagen, wie toll der Film ist, dann fehlt ihm nur noch ein Griff zum Wegschmeißen.
HAJABI: Das hat er die ganze Zeit beim Dreh gesagt, die ganze Zeit. Dass der Film real sein muss für die Straße.
Und wie lautet Ihre Diagnose – ist er das geworden?
HAJABI: Oh ja, 100 Prozent. Drei blaue Haken bei Instagram, das ist alles sehr, sehr real. Da hat er auch extrem darauf geachtet.
AKIN: Deswegen war Giwar während der Dreharbeiten immer wieder da, als Slang- und Realness-Berater. Wenn es zum Beispiel darum ging, wie ein Dealer, der Gras verkauft hat, in den 90ern geredet hat, was der für Klamotten trug. Am Ende des Tages ist Realness ja nicht dafür da, dass du möglichst wenig angreifbar bist, das ist sekundär. Es geht darum, dass der Zuschauer dir glaubt, nur dann taucht er in die Welt ein, von der wir erzählen. Das ist das Ziel von Realness.
Um die Frage auch andersherum zu stellen: Welcher ist Ihr liebster Fatih-Akin-Film, Herr Hajabi?
HAJABI: Boah, das ist sehr schwer. Ich feiere einige Filme von ihm krass, weil sie mich immer überraschen. Zum Beispiel der Genozid-Film „The Cut“. Obwohl der von den Kritikern so ein bisschen plattgemacht wurde. Aber diese Bilder, Mann. Krass. Wie er es schafft, aus so einer brutalen, unfassbar traurigen Geschichte Kunst zu machen, so makaber das klingt. Auch „Kurz und schmerzlos“: Das war damals meine erste Begegnung mit einem Film überhaupt, der mich gejuckt hat. Bei „Solino“ dagegen habe ich erst gar nicht gecheckt, dass er wirklich von ihm ist. Diese Vielseitigkeit gefällt mir, als hätte er in all diesen Welten schon gelebt. Aber jetzt, wo wir zusammengearbeitet haben, habe ich gesehen, wie er es macht. Wie perfektionistisch er rangeht an die Sache. Ich habe dadurch viel für meine eigene Arbeit gelernt.
Was hat der Film eigentlich mit Ihnen beiden gemacht? Sind Sie inzwischen Freunde?
AKIN: Gemeinsam einen Film zu drehen ist ja wie eine Olympiade, die man zusammen erlebt, das bleibt für immer. Wenn man so eng miteinander arbeitet, dann ist das, wie wenn man sagt: „Zeig mir deine Eier, Giwar, weißt du, ich verfilme sie jetzt.“ Und er sagt: „Ja, hier sind sie, Digger.“ So eng ist man dann miteinander. Umgekehrt habe ich ja auch wahnsinnig viel von Giwar gelernt, der da dieses Musikimperium hat und alles schmeißt. Er berät mich manchmal in Management-Sachen. Ich frage dann zum Beispiel: „Ey, Alter, was soll ich machen, soll ich das jetzt unterschreiben oder was?“ – „Nein, vergiss es“, sagt er dann. Oder: „Ja, mach.“ Oder: „Hol mehr Geld raus.“ Giwar hat mir auch bestimmte Werte wieder gezeigt, die ich zwar kenne, weil sie mir von meiner Familie mit in die Wiege gelegt worden sind, aber sie waren verschollen, zugebuddelt mit anderen Werten. Und dann kommt er mit seiner Gang daher und holt die Werte aus mir selbst wieder raus und sagt: „Hey, das bist du.“ Das hat mir sehr viel geschenkt.
Was für Werte sind das?
AKIN: Im Herzen zu tragen, nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft in diesem Land zu sein. Ich bin Deutscher, klar. Aber es gibt solche Deutsche, und es gibt solche Deutsche. Man vergisst das manchmal, gerade wenn man gefeiert wird. Als ich die Welt von Giwar und diese Brüderschaft gesehen habe, musste ich sehr an meinen Vater denken, der während der Dreharbeiten gestorben ist. Mein Vater wäre sehr gut mit diesen Leuten klargekommen. Sie haben in mir diese Akkorde, die verstimmt waren, anklingen lassen. Wie ein „Vergiss nicht, wo du herkommst“.
Xatar im Playboy-Interview: „Je leichter man es hat im Leben, desto schlechter ist die Platte“
Wie geeignet sind Ihre jeweiligen Berufe eigentlich dazu, mit ihnen zu altern? Haben Sie vor, das noch lange zu machen?
HAJABI: Also, bei Rappern ist das so eine Sache. Es ist ja noch ein junges Genre, da muss man mal gucken, wie das die Kollegen der ersten Stunde hinbekommen. Das Problem ist ja: Je leichter man es hat im Leben, desto schlechter ist die Platte, die man macht. Als gutbürgerlicher Rapper ist es einfach schwer, aus seiner Villa heraus Songs zu schreiben. Mein Business besteht heute zu 95 Prozent daraus, andere Künstler zu vermarkten.
Herr Akin, wie ist das bei Ihnen? Werden Sie Filme drehen bis ins hohe Alter, oder werden Sie das irgendwann einfach sein lassen?
AKIN: Also meine romantische Vorstellung ist schon, dass ich damit steinalt werde und irgendwann, wenn ich gerade „Action“ sage, an einem Herzinfarkt sterbe – in meinen Sneakern. Das würde ich mir für mich selbst wünschen. Aber die Gesellschaft ändert sich, und Film ist Reflexion der Gesellschaft, deswegen ändert sich auch der Film. Da muss ich halt mal gucken, wie sehr ich bereit bin, mich mit zu verändern. Wenn es in eine Ecke geht, in der ich anfangen muss, Kompromisse zu schließen, dann würde ich mir was anderes suchen, um meine Familie zu ernähren. Was immer es ist, weil: Damit werde ich nicht glücklich.
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