Fotos: Max Marquardt
Wolkenloser Himmel, strahlende Sonne und ein Alpenpanorama kitschiger als auf jeder Postkarte. Als ich mich gegen Mittag in der Kaffeerösterei Dinzler am Irschenberg im alpenländlichen Oberbayern einfinde, begrüßt mich Marcus Burghardt im Gästesaal der Rösterei. Meistertrikot, fester Händedruck, freundliches Lächeln.
Er ist gerade mit dem Rad von seinem knapp 40 Kilometer entfernt gelegenen Wohnort Samerberg hierher gekommen. Heute allerdings ein bisschen langsamer als sonst - „wegen dem Gegenwind“, so Burghardt. Wir setzen uns und bestellen zwei Espresso. „Am liebsten trinke ich eigentlich Cappuccino“, sagt er und wiegt die kleine Tasse in seiner linken Hand. „Vor dem Training gibt es aber auch oft Espresso“. Und vor den Rennen? „Doppelten", sagt der deutsche Meister und fügt noch ein „Mindestens“ an. Wir lachen und legen mit dem Interview los.
Playboy: Marcus, du lebst inzwischen mit deiner Familie im oberbayrischen Samerberg. Geboren bist du aber in Zschopau in Sachsen. Wie lebt es sich so als Sachse in Oberbayern?
Marcus Burghardt: Ich fühle mich hier einfach sauwohl. Ich habe hier nicht nur meine Frau und meine Familie, sondern wollte mich auch als Profi weiterentwickeln. Die Gegend um Chemnitz ist für das Training einfach nicht so geeignet. Hier kann ich super trainieren, bin durch meine Frau auch fest verwurzelt und habe einen tollen Freundeskreis.
Bereits im Alter von 10 saßt du das erste Mal auf einem Rennrad. Warum eigentlich ausgerechnet Radsport?
Der Vorteil beim Radsport, insbesondere beim Radrennsport ist es, dass man relativ viel auf sich selbst angewiesen ist. Meine Mutter hat damals eigentlich nur eine Freizeitbeschäftigung für mich gesucht. In meinem Geburtsort gab es einen Radsport-Verein, dann bin ich halt da hingegangen und bei der Sache geblieben.
Du bist 1983 geboren, zählst also fast schon zu den alten Hasen im Geschäft. Du hast neun Mal die Tour de France gefahren, 13 Mal Paris-Roubaix, 13 x Flandern-Rundfahrt, zwei Mal Vuelta de Espana - um nur ein paar zu nennen. Schon mal daran gedacht, was du nach der aktiven Profi-Karriere machst?
Ich bin 260-280 Tage pro Jahr auf dem Rad - da bleibt nicht viel Zeit sich darüber Gedanken zu machen, was danach kommt. Ich denke auch, dass ich mich darum erst kümmere, wenn es soweit ist. Jetzt ist es noch viel zu früh, darüber nachzudenken.
Auf deiner Webseite ist zu lesen, dass es dein größtes Ziel ist, Paris Roubaix zu gewinnen. Dieses Jahr warst du ja bereits im Gewinnerteam von Peter Sagan. Ziel erfüllt?
Für mich war das ein monumentaler Sieg in meiner Karriere. Ein großer Erfolg. Nach dreizehn Jahren - da sieht man mal auch, wie rar es ist, einen Team-Sieg wie diesen einzufahren. Aber natürlich wäre es noch schöner, Paris-Roubaix selbst zu gewinnen, als Sieger für meinen Sponsor Bora Hansgrohe.
Trotz dieses Erfolgs wurde das diesjährige Rennen vom Tod des belgischen Rad-Profis Michael Goolaerts überschattet. Er erlitt einen Herzinfarkt und stürzte darauf. Für die Radsportwelt ein Schock. Dinge wie diese hört man ja immer wieder. Wie erklärst du dir das?
Ich habe darüber auch mit unserem Team-Arzt gesprochen. Sowas ist immer schwer zu sagen. Weißt du, wir Profis sind ja immer sehr motiviert diese Rennen zu fahren - dafür wird viel und hart trainiert. Und das auch gern mal mit einer Erkältung. Besonders im Winter sind viele Fahrer gesundheitlich angeschlagen -trainieren aber trotzdem. Das liegt einfach daran, dass die Sportler so motiviert sind. Das kann sich dann sehr schnell aufs Herz schlagen und es passieren tragische Dinge wie diese.
Du bist während der Tour de France 2016 bei der 9. Etappe mit sage und schreibe 130,7 km/h den Berg heruntergefahren. Ich würde noch nicht mal im Auto so schnell abfahren. Ist das Fahren bei dieser Geschwindigkeit überhaupt noch ein kalkulierbares Risiko?
Diese Geschwindigkeit ist, gerade bei solchen Rennen, völlig normal. Natürlich ist das schon schnell. Doch das Risiko ist auch nicht unbedingt ein anderes, als bei geringerer Geschwindigkeit. Bei guter Sicht und geraden Passagen geht das schon. Ich bin auch schon 120 km/h bei nasser Fahrbahn gefahren.
Doping ist nach wie vor ein leidiges Thema im Radsport. Seit den Vorfällen in den 90er-Jahren und frühen 2000ern hat sich ja schon sehr viel zum Positiven geändert. Dennoch gibt es immer wieder „Rückfälle“, die dem Sport massiv schaden. Was muss deiner Meinung nach noch alles getan werden, um sich endgültig vom Cerberus Doping loszulösen?
Ich habe dieses Debakel ja damals selbst miterlebt. Ich bin 2005 in den professionellen Radsport gekommen und war selbst beim Team T-Mobile. Zu dieser Zeit gab es in Deutschland noch einen unglaublichen Radsport-Hype. Besonders im T-Mobile-Trikot warst du einfach der Star schlechthin. Das war einfach „der Verein“ - wie man im Fußball so schön sagt. 2006 wurde Jan Ullrich dann aus der Tour genommen und gesperrt. Ab da ging es wirklich rasant bergab - auch für uns saubere Fahrer. Bei mir war es dann lange so, dass ich gar nicht mehr öffentlich gesagt habe, Radsport-Profi zu sein. Mir war das unangenehm. Ständig kam das Thema Doping auf, egal wo du warst. Auch das hat sich inzwischen wirklich zum Guten geändert. Man kann mittlerweile wieder mit stolz sagen, Profi zu sein. Trotzdem ist das Thema aber nicht vom Tisch - leider. Es wird wohl immer wieder Fahrer geben, die meinen aus der Reihe springen zu müssen - die das Kontrollsystem umgehen, ohne sich eigentlich der harten Konsequenzen darüber bewusst zu sein. Das ist bedauerlich - und schlecht für den Sport.
Das Radsport-Team Sky versprach einst, beim Doping "null Toleranz" zu zeigen. Jetzt ist der Rennstall Vorreiter beim Dehnen von Regeln- trotz laufenden Dopingverfahrens gegen Top-Fahrer Chris Froome. Ralph Denk, der Chef des Teams Bora-Hansgrohe sieht aber auch das Regelwerk der UCI als Problem. In einem Interview sagte er vor kurzem, dass er das Regelwerk nicht in Ordnung fände. Wie siehst du das als Fahrer?
Die Kontrollen sind ja schon jetzt sehr streng. Wir werden eigentlich rund um die Uhr kontrolliert - jeden Tag. Es gibt Fahrer, die Mittel wie Salbutamol brauchen, weil sie Asthma haben, oder unter einer Allergie leiden. Auf der andere Seite gibt es aber auch Fahrer, die es nicht unbedingt benötigen, es aber trotzdem nehmen. Genauso ist es mit Kortison: Es gibt Fahrer mit massiven Knieproblemen. Die nehmen das Mittel gegen ihre Schmerzen. Saubere Fahrer sind es aber trotzdem. Was würde man bei noch schärferen Regeln dann mit denen machen? Nur weil jemand eine Pollenallergie hat, kann man ihn doch nicht sperren.
Zurück zu deiner eigenen Karriere: Im Jahr 2007 bist du während der Tour de France mit einem Hund kollidiert. Das ging zum Glück glimpflich aus - zumindest für dich. Was wurde eigentlich aus dem Hund?
Ich glaube der Hund ist inzwischen gestorben (lacht). Der Golden Retriever hat den Zusammenprall aber auch gut weggesteckt damals. Keine bleibenden Schäden, soweit ich weiß.
Was sagte denn der Hundehalter zu der ganze Sache?
Der hat seinen Hund sogar auch mit zum Gleitschirmfliegen mitgenommen. Der war also schon einiges gewöhnt. Er war damals mit Freunden als Zuschauer beim Rennen und saßen im Gras. Als wir näher kamen, standen sie auf um uns anzufeuern. Für den Hund interessierte sich dann kurz niemand und er rannte direkt auf die Straße. Zum Glück war ich ja auch nicht schnell mit dem Rad - ca. 45 Stundenkilometer oder so. Animal-Planet haben damals sowohl mich, als auch den Besitzer interviewed. Der nahm das alles eher gelassen.
Wenn du nicht gerade auf dem Rad sitzt: Wie sieht dein Alltag aus?
Ich verbringe viel Zeit mit meiner Familie. Und im Winter gehe ich gerne auf ausgedehnte Skitouren.
Zum Schluss noch ein kleines Frage-Antwort-Spiel. Ich gebe dir drei Stichworte, auf die du mit jeweils einem Satz antwortest:
Playboy
Habe ich mir noch nie selbst gekauft - bisher.
Peter Sagan
Lässiger Typ der extrem erfrischend für die gesamte Mannschaft ist.
Kaffee
Gehört zu jeder Trainingsausfahrt dazu.
Bayern
Da wo ich mich wohl fühle und nicht schräg angesehen werde, wenn ich Lederhosen trage.
Wunsch für die Zukunft
Paris-Roubaix gewinnen!