Es ist heiß an diesem Sommertag in Berlin. Die Sonne fällt satt in die Suite des „The Grand“ in Mitte, wo sich Sebastian Koch und Tom Schilling mit Herzlichkeit begrüßen. Größer könnte der Kontrast zu ihrem Film „Werk ohne Autor“ (Regie: Florian Henckel von Donnersmarck) nicht sein. In dem Drama, das in der Nazi- und Nachkriegszeit spielt, herrscht zwischen den beiden drei Stunden lang eisigste Kälte
Playboy: Sie spielen in „Werk ohne Autor“ zwei Männer, die einander ein Graus sind. Man hat das Gefühl, die Luft schneiden zu können, sobald sie aufeinandertreffen. Wie ist das, jetzt ganz entspannt bei einem Glas Wein nebeneinander zu sitzen?
Koch: So ganz ohne Grauen? Ungewohnt, weil wir das während der Dreharbeiten nicht hatten.
Keine Pausen-Plänkeleien, kein gemeinsamer Feierabenddrink?
Koch: Wir sind uns während dieser Zeit in unseren Rollen begegnet und haben nicht viel getan, um das zu überbrücken.
Schilling: Es wäre unpassend gewesen, sich zu gut zu verstehen. Wir haben uns beäugt wie zwei Sniper, die umeinander herumschleichen.
Herr Koch, nach „Speer und Er“, „Stauffenberg“ und „Black Book“ wollten Sie eigentlich in keine Nazi-Rollen und Uniformen mehr schlüpfen. Warum haben Sie für Florian Henckel von Donnersmarck nun eine Ausnahme gemacht?
Koch: Eben weil es Florian Henckel von Donnersmarck ist. Das ist ein so feiner, brillanter Geist, der Dialoge in einer unfassbar genauen Sprache formulieren kann. Diese Figur, die ich spiele, ist wie eine Essenz all dessen, was ich vorher in dieser Richtung gemacht habe. Da ist alles drin: Es ist der deutsche Mann dieser Zeit.
In „Werk ohne Autor“ geht es um die Kraft der Kunst, um Schuld, um eine Liebesgeschichte, um Deutschland, aber auch um einen Generationenkonflikt. Welches dieser Themen hat Sie am meisten beschäftigt?
Schilling: Bei mir war es der Kunstaspekt: Wie kommt gute Kunst zustande, wie kann sie etwas entlarven oder verständlich machen, was Politiker nicht können? Was ist das für ein Geheimnis?
Kann man das überhaupt ergründen?
Schilling: Wahrscheinlich nicht, sonst wäre ja jeder Künstler. Oder – gibt es eine Formel, Sebastian?
Koch: Nietzsche hat den Satz gesagt: „Aufgeklärtes, freies Denken findet jenseits von Gut und Böse statt.“ Und das ist für mich ein zentrales Thema in diesem Film. In einer Zeit, in der wieder so viel ideologisiert wird wie heute, in der es mehr denn je Gut und Böse gibt und das Anderssein nicht akzeptiert wird, ist es wichtig, dass man nicht bewertet, ohne sich mit dem anderen zumindest einmal beschäftigt zu haben.
Herr Schilling, stimmt es, dass Sie vor Ihrer Schauspielkarriere tatsächlich Maler werden wollten?
Schilling: Das klingt natürlich wie fürs Presseheft ausgedacht, aber ich schwöre bei Gott, dass es so war. Dass ich Schauspieler werde, wollten immer andere.
Hat der Film Ihren Wunsch neu entfacht?
Schilling: In gewisser Weise habe ich damit nun meinen Frieden gemacht und mir gedacht: Es ist genauso gekommen, wie es sein soll. Ich soll Schauspieler sein, nicht Maler. Vielleicht habe ich den Film gebraucht, um mich von diesen Fantasien loszumachen. Es bringt ja nichts, sich in Tagträumen zu verlieren. Aber in weniger zufriedenen Zeiten habe ich oft gedacht, oh Mann, wie schrecklich doch dieser Schauspielberuf ist. Weil du so sehr auf die Außenwelt angewiesen bist. Darauf, dass die Leute dein Talent erkennen, dass du zur richtigen Zeit am richtigen Ort bist. Als Künstler kaufst du dir eine Leinwand und Farben und schaust, was aus dir rauskommt. Wenn es gut ist, wird es die Leute interessieren.
Koch: In unserem Beruf ist es viel schwieriger, Unabhängigkeit zu finden als in der bildenden Kunst oder als Musiker. Wir hängen von so vielen anderen Menschen ab, die in einem Team funktionieren. Eine große Kraft allerdings, die ein Schauspieler hat und die sehr unterschätzt wird, ist, Nein zu sagen. Rollen abzulehnen, bevor der Vertrag unterschrieben ist.
Wie sehr gehört das Zweifeln zu Ihrem Beruf dazu?
Koch: Der Beruf funktioniert ohne Zweifel gar nicht.
Eigene Zweifel oder die von außen?
Koch: Der eigene Zweifel ist bei mir leider immer noch der stärkste. Aber wenn ich selbst an etwas glaube, kann ich mit Kritik von außen sehr gut umgehen. Aber generell ist Kunst ohne Zweifel schwierig. Wenn ich sage, ich weiß, wie es geht, ist es meist langweilig.
Gab es von Seiten Ihrer Familien Kritik an Ihrem beruflichen Werdegang?
Schilling: Das Klischee vom Schauspieler, der sich gegen sein Umfeld durchsetzen muss und es dann allen zeigt, gab es bei mir nicht. Meine Eltern haben mich immer sehr unterstützt. Aber ich hatte schon das Gefühl, dass ich mehr geliebt werde, wenn was gelingt.
Ist das nicht in jedem Beruf so?
Schilling: Ich weiß nicht, es sollte nicht so sein. Man sollte seine Kinder immer lieben und nicht dann besonders, wenn sie irgendwas sehr gut gemacht haben. Das wird ja auch schnell zur Sucht. Sebastian, kannst du das wirklich so klar sagen, dass du nur für dich selbst arbeitest, oder willst du auch gefallen? Willst du, dass die Leute finden, ey Mann, jetzt war der Sebastian aber wieder richtig gut in dem Film?
Koch: Ich glaube schon, dass der wichtigste Punkt ist, dass ich es selbst mögen muss, was ich mache, beziehungsweise womit ich mich beschäftige. Wenn ich nichts gefaked habe, meine Rolle nicht nur vorgegeben, sondern wirklich erlebt habe, dann geht’s mir schon mal ziemlich gut. Aber natürlich freue ich mich auch, wenn „Das Leben der Anderen“ einen Oscar gewinnt, das ist ja klar.
Schilling: Gab es schon mal den Fall, dass du super zufrieden mit einer Arbeit warst und das Publikum das überhaupt nicht gesehen hat?
Koch: Ja. „Das Wochenende“ zum Beispiel, das ist ein sehr gelungener Film, den kaum jemand gesehen hat.
Schilling: Aber der wurde auch gut besprochen, oder?
Koch: Weiß ich gar nicht. Ich glaube, ja.
Schilling: Liest du denn keine Kritiken?
Koch: Nein, nicht mehr.
Schilling: Gar nicht? Wann hast du damit aufgehört?
Koch: Mich nerven immer wieder diese negativen Formulierungen von Journalisten, zum Beispiel dass man einen Preis absahnt, abräumt oder ergattert. Das hat etwas Respektloses. Schauspieler gewinnen Preise – meistens weil sie es verdient haben, beziehungsweise eine tolle Arbeit hingelegt haben. In einem Online-Artikel habe ich gerade gelesen, dass Florian Henckel von Donnersmarck nun erst mal beweisen muss, dass er wieder einen Oscar holt. Das finde ich einfach despektierlich.
Ist das eine deutsche Eigenart?
Koch: Ich glaube, ja. Und es macht mich ganz wuschig. Ich kann da nur schwer drüber hinwegsehen.
Herr Schilling, wie ist das bei Ihnen? Lesen Sie Kritiken?
Schilling: Leider ja. Mich interessiert schon sehr, was die Leute über meine Filme denken. Deswegen versuche ich, wenige zu machen und mit denen irgendwie einigermaßen Glück zu haben.
Koch: Wichtiger als eine gute Feuilleton-Kritik ist mir, was die Leute auf der Straße sagen. An der Art, wie Leute auf einen zukommen, merkt man, wie tief das ging.
Schilling: Das stimmt. Aber wenn du einen Film machst, der die Leute dazu bringt, dir sehr behutsam ihre Wertschätzung zu zeigen, dann ist es meistens auch ein Feuilleton-Erfolg gewesen.
Um noch mal auf eine der großen Fragen zu sprechen zu kommen, die Ihr gemeinsamer Film aufwirft: Entsteht wahre Kunst immer aus Leid?
Koch: Das ändert sich gerade, wenn ich mir die Generation meiner Tochter ansehe. Diese jungen Menschen in den Zwanzigern haben teilweise eine solch angstfreie, direkte und kreative Kraft, die mich sehr beeindruckt. Die haben ihre Zeit nicht dazu verwandt, irgendwelche neurotischen Dinge zu klären. Das ist einfach nicht passiert in deren Leben. Aber natürlich stimmt es, dass Kunst oft entsteht, indem sich jemand aus irgendwelchen ausweglosen Situationen herauskämpft.
Schilling: Leid hilft der Kunst auf jeden Fall ungemein. Aber ich will nicht ausschließen, dass es von Gott geküsste Menschen gibt, die auch so Sachen vollbringen, die andere nicht können. Ich würde mal vermuten, Paulo Coelho hat eine gesündere Biografie als Michel Houellebecq. Aber es ist immer eine Frage des Standpunkts: Mir sagen die Bücher von Houellebecq mehr. Bei dem, was ich als tief und wahr und echt empfinde, haben die Künstler eher kompliziertere Biografien.
Weil Sie selbst die Schwermut brauchen? Vor einiger Zeit haben Sie eine Platte mit eigenen Liedern veröffentlicht, auf der viel Weltschmerz zu hören ist.
Schilling: Ein wenig Melancholie finde ich durchaus angenehm. Schwermut und Sehnsucht sind schöne Gefühle, ich vermisse gerne jemanden. Und ich bin mir darüber im Klaren, dass die Narben, die ich persönlich habe, mir einen gewissen Schub geben.
Welche Kunst haben Sie eigentlich selbst zu Hause an der Wand hängen?
Schilling: Ein paar Drucke, ein paar Ölbilder, nichts, wofür ich viel Geld bezahlt habe. Aber tatsächlich auch einige Bilder von mir selbst. Sachen aus meiner Jugend und Porträts, die ich von meiner Freundin gemalt habe.
Koch: Ich bin kein großer Kunstkäufer, ich habe seit circa 30 Jahren ein großes Schwarz-Weiß-Plakat von dem Film „Accattone“, das jeden Umzug mitgemacht hat und das ich immer noch sehr liebe.
Über den Film: "Werk ohne Autor" ist Florian Henckel von Donnersmarcks dritter Kinofilm. Für sein Drama "Das Leben der anderen", ebenfalls mit Sebastian Koch in einer der Hauptrollen, hatte der Regisseur 2007 einen Oscar gewonnen. Diesmal an Kochs Seite: Tom Schilling und Paula Beer.
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