Interview: Steffen Rüth
Seine Plattenfirma hat für die Interview-Termine rund um sein neues Album „Free“ eigens eine Villa im Norden von Miami gemietet. Ganz schön feudale Geste, die der 72 Jahre alte Hausherr auf Zeit jedoch durch seinen Dresscode konterkariert: Wozu Kleidung tragen bei 30 Grad im Schatten? Iggy Pop empfängt mit nacktem Oberkörper, der oberste Knopf seiner Hose ist geöffnet. Der Ur-Punk und einstige Berlin-Wegbegleiter David Bowies ist ganz offensichtlich: ungekrönter Weltrekordhalter im Unbekümmertsein...
Iggy, warum sind Sie so braun?
Für meine Ganzjahresbräune gibt es im Wesentlichen drei Gründe: Ich besitze ein Häuschen in der Karibik, in das ich mich in meiner wenigen Freizeit gern zurückziehe. Dort halte ich mich praktisch den kompletten Tag draußen auf. Hier in Florida bin ich stolzer Besitzer eines Pools. Und ich schätze mich glücklich, einen Stammstrand zu haben. Der ist ganz klein und versteckt, nur etwas für Einheimische.
Sie kamen vor 21 Jahren nach Miami. War es damals hier am Strand schon so voll wie jetzt?
Nein. Als ich herzog, weil ich genug vom Winter hatte, galt die Stadt noch nicht als so cool wie heute. Sondern eher als schmuddelig und was für arme Leute. Alles war ein bisschen abgefuckt. Ich mochte das sehr gern.
Gehen Sie im Meer schwimmen?
Oh ja. Ich bin ein guter Schwimmer. Okay, so stark wie damals natürlich nicht mehr. Früher war ich ein Haudegen im Ozean. Aber ich ziehe noch ziemlich flott durch die Wellen. Ich schätze, drei Kilometer am Stück würde ich packen.
Kommt Ihre Energie auf der Bühne vom Schwimmen?
Nein. Das Entscheidende, was ich für meine Ausdauer mache, nennt sich Qigong. Da geht es ums tiefe Atmen und darum, eine große Sauerstoffreserve in deinem Bauch zu bilden. Dazu machst du gewisse Bewegungen und entspannst bei höchster Konzentration.
Sie sind als Musiker und auch als Schauspieler erfolgreich, seit Langem verheiratet und leben in der Sonne. Sind Sie ein glücklicher Mann?
So einigermaßen ja. Zu ungefähr einem Drittel der Zeit bin ich vollkommen glücklich und zufrieden. Ein weiteres Drittel verbringe ich damit, eigentlich glücklich sein zu sollen, es aber nicht zu sein, weil ich so eine verwöhnte Zicke bin. Und im letzten Drittel bin ich grummelig.
Was macht Sie sauer?
Gott, so gut wie alles. Das geht sehr schnell. Da reicht schon auf der Straße ein Auto, das doof fährt. Aber grundsätzlich war ich in den Siebzigern und Achtzigern viel mieser gelaunt als heute. Damals haben Sie harte Drogen konsumiert und waren süchtig.
Leben Sie heute gesund?
Na ja, ich trinke viel Kaffee, was jetzt nicht das supergesündeste Zeug ist. Und ich mag Wein. Sogar sehr gern. Um für die Tournee in Form zu kommen, habe ich meinen Konsum einschränken müssen – auf eine halbe Flasche pro Tag. Sonst halte ich eine Flasche Wein für die mir gemäße Dosis.
Roter, Weißer oder egal?
Ich mag Weißwein. Noch mehr schätze ich aller dings einen guten Roten aus dem Burgund oder von der Rhône. Das Ding mit Bordeaux, der mir auch schmeckt, ist, dass die Preise so höllisch hoch geworden sind. Das liegt an den Chinesen. Die sammeln den. Einfach, weil sie es können und das Geld haben.
Schon mal über ein eigenes Weingut nachgedacht?
Man ist bereits hin und wieder mit diesem Vorschlag an mich herangetreten. Aber nein, das ist eine verrückte Idee. Iggy-Wein, ja ja, klingt lustig, doch es kostet dich ein Vermögen. Ich will mein Geld auf meine alten Tage so weit zusammenhalten.
Sie sind in einer Wohnwagensiedlung aufgewachsen und waren in jungen Jahren notorisch pleite. Ist die Angst vor dem Bankrott noch immer präsent?
Wenn du jemals so arm und ver- zweifelt warst wie ich, dann verlässt dich das Gefühl der Sorge ums Geld ein Leben lang nicht mehr. Und das unabhängig davon, wie viel du verdienst. Aktuell finde ich mich in einer finanziell komfortablen Position wieder, doch ich erwarte nicht, mein Leben als reicher Mann zu beenden.
Vor der Tür steht ein silbern glänzender Rolls-Royce. Ist das Ihrer?
Das ist nicht ein Rolls-Royce, das ist der Rolls-Royce. Ein „Phantom Drophead“, Baujahr 2016. Der Wagen ist der Wahnsinn. 22 Fuß lang. Sie stellen den gar nicht mehr her, aber ich liebe ihn so sehr! Ein wirklich wunderschönes Auto. Ich habe ihn vor einem Jahr brandneu gekauft, da war er eigentlich bereits zwei Jahre alt. Jetzt machen sie einen neuen, den „Dawn“. Aber der ist nicht so groß. Ich wollte unbedingt den größten Rolls-Royce haben, den es gibt.
Und mit dem cruisen Sie jetzt lässig durch South Beach?
Ich kurve in der Tat gern durch die Gegend, aber niemals in Miami Beach. Das ist mir zu prollig, zu aufgesetzt. Ich will ja nicht angeben, sondern einfach genussvoll Auto fahren. Ich lebe auch gar nicht mehr direkt in Miami, sondern an einem Ort namens Coconut Grove, etwa 20 Mi- nuten außerhalb. Dort ist das Leben ruhiger und gemächlicher.
Haben Sie einen Chauffeur?
Ja, meinen Assistenten Spencer. Wenn er fährt, was gut auf der Hälfte aller Fahrten der Fall ist, nutze ich den Wagen als Büro und bearbeite meine Termine und so was.
Wann gehen Sie abends ins Bett?
Total früh. Oft schon so um 20 Uhr. Gegen 21 Uhr schlafe ich meistens. Im Alter entwickle ich die Angewohnheit, zwischendrin wach zu werden, vielleicht so für zwei Stunden, und dann noch mal einzuschlafen. Gegen sechs Uhr morgens stehe ich üblicherweise auf. Manchmal, wenn ich den ganzen Tag im Wasser war, kann ich aber durchschlafen.
Sie haben doch bestimmt auch ein Boot, oder?
Ja, seit gut einem Jahr. Habe ich mir gegönnt. Ein Donzi. Das ist so etwas wie der Ferrari unter den Sportbooten. Es hat einen mächtigen, fast 400 PS starken Motor und macht einen Höllenlärm. Leider habe ich bisher kaum Zeit gefunden, damit auszureiten. Und ich kann es auch nicht selbst fahren, ich habe noch keinen Bootsführerschein. Aber Spencer, der kann das.
Seit letztem Jahr machen Sie – ohne Spencer, aber mit Nico Rosberg – Werbung für die Deutsche Bahn. Sind Sie mit der Deutschen Bahn schon mal gefahren, bevor Sie sich auf den Deal einließen?
(Lacht) Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Alle Deutschen, die ich treffe, sind mit ihren Zügen unzufrieden. Aber ich kann nur Gutes über die Menschen bei der Bahn sagen. Und Nico ist ein supernetter, toller Kerl.
Weitere zwei Jahre zuvor hatten Sie den größten kommerziellen Erfolg Ihrer Karriere: das Album „Post Pop Depression“ zusammen mit Josh Homme, dem Sänger der Queens Of The Stone Age. In den USA kam es sogar auf Platz eins. Wie erklären Sie sich Ihren späten Höhenflug?
Ich habe nur eine vage Idee. Ich glaube, die Leute sehen in mir den ewigen Underdog. Und vielleicht respektieren sie auch meinen Entschluss, immer weiterzumachen. Außerdem ist es inzwischen gesellschaftlich akzeptierter, als Mann auch verletzliche Seiten zu zeigen.
Was bedeutet Ihnen der Zuspruch persönlich?
Sehr, sehr viel. Er erfüllt mich mit erheblichem Stolz.
Ihr neues Album „Free“ ist ein vergleichsweise äußerst anspruchsvolles Werk, das fast in Richtung Jazz geht. Wie kam es zustande?
Ich wollte nach der letzten Tour eigentlich nur meine Ruhe. Ich war ganz schön platt. Der Schlüssel zu dem ganzen Unterfangen war dann meine wöchentliche Radioshow „Iggy Confidential“ bei der BBC. Dort spiele ich gezielt Musik, die mir gefällt und die es verdient, entdeckt zu werden. So bin ich auf die Indie-Musikerin Noveller und den Jazztrompeter und Komponisten Leron Thomas gestoßen. Die beiden haben den Großteil des Albums für mich geschrieben. Von mir stammen nur zwei, drei Texte.
Was verstehen Sie unter dem Titel „Free“, was ist Freiheit für Sie?
Freiheit kann eine gefährliche Sache sein, wenn man es übertreibt und sich selbst keine Grenzen setzt. Aber frei zu sein ist eine Errungenschaft, für die ich zu leben und zu kämpfen bereit bin.
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