Egal, um welchen Hollywood-Star oder welches Top-Model es geht – Peter Lindbergh hatte sie fast alle vor seiner Kamera. International zählte er seit Jahrzehnten zu den größten Fashion- und Promi-Fotografen, doch er selbst gibt sich beim Interviewtermin im Berliner „Hotel de Rome“ betont unprätentiös: grauer Dreitagebart, ausgewaschenes T-Shirt, bequeme Schuhe. Der 74-jährige Deutsche mit Wohnsitz Paris ist im Gespräch herzlich und blendend gelaunt. Kein Wunder, hat ihm doch am Vorabend die Premiere des Dokumentarfilms „Peter Lindbergh – Women’s Stories“, der ab dem 30. Mai im Kino lief, unerwartet gut gefallen ...
Herr Lindbergh, wie fühlt sich das an, sein Leben auf einmal auf der Kinoleinwand zu sehen?
Bei der Premiere habe ich, ehrlich gesagt, die ganze Zeit darauf gewartet, dass auf der Leinwand gleich jemand etwas sagt, woraufhin ich am liebsten aus dem Kino robben möchte. Aber dann fand ich das alles eigentlich ganz in Ordnung. Am wichtigsten war mir, dass kein Star aus mir gemacht wird. Kein Glamour, keine Limousinen – das war schon mal toll. Ich hatte sowieso darauf bestanden, dass ich kein Recht habe, an dem Film herumzunörgeln oder etwas zu ändern. Obwohl das eigentlich der Plan der Macher war: Ich sollte ihnen Material geben, das ihnen fehlte, und dafür sollte ich ein Mitspracherecht bekommen. Meine Anweisung an die Jungs in meinem Büro aber war: Ihr lasst euch unterschreiben, dass wir nicht nach unserer Meinung zum Film gefragt werden, nur dafür bekommen sie das Material!
Das dürfte ziemlich einmalig sein. Sonst kämpfen Porträtierte schließlich immer darum, Einfluss auf das Gezeigte zu bekommen ...
Ich kenne es natürlich auch nur andersherum, nämlich die Arbeit mit den Agenten der Stars. Wenn ich Nicole Kidman fotografiere und irgendwann frage, ob wir nicht rausgehen und auf dem Times Square weitermachen wollen, kommt sofort von hinten ihr Agent und legt Einspruch ein: „Das war wohl ein Scherz, wir können doch mit Nicole Kidman nicht auf den Times Square gehen.“ Die Leute sind umzingelt von anderen, die ihnen die Entscheidungen abnehmen, und dürfen selbst gar nichts mehr sagen. Davon kriege ich so einen Hals, denn nichts ist mehr möglich.
Die Stars selbst können aber sicherlich auch schwierig sein. Was ist Ihr Geheimnis im Umgang mit Diven?
Das sieht man ja im Film – in der Szene, als Naomi Campbell sich zunächst weigert, in den Pool zu steigen. Das einzige Geheimnis ist, sich einfach nicht aufzuregen, nicht böse zu werden oder große Sprüche zu klopfen. Denn ich weiß doch sowieso, dass ich sie in den Pool bekomme. Es dauert nur einfach fünf Minuten länger.
Hatten Sie diese Gelassenheit schon immer?
Eine gewisse Gelassenheit finde ich für die Arbeit einfach wichtig. Wenn zum Beispiel jemand nach links guckt und die Sonne direkt ins Gesicht knallt, was für das Foto ganz fürchterlich aussieht, dann fotografiere ich ganz gelassen weiter. Bis die Person selbst sagt: „Das ist kein gutes Licht, oder?“ – „Lass mich mal machen“, ist dann immer meine Antwort, und ich schieße eben zehn Sekunden länger drauf, bis sie sowieso irgendwo anders hingucken. So gewöhnt man die Leute daran, solche Sachen selbst herauszufinden und nicht nur eine ferngesteuerte Puppe zu sein. Nichts finde ich furchtbarer als Shootings, bei denen der Fotograf die ganze Zeit Dinge brüllt wie „Baby, the arm a little higher“ und „Now look to the left“. Damit macht man doch Roboter aus denen!
Hinter der Kamera sind Sie also kein Mann der vielen Worte?
Die Schauspielerin Alicia Vikander hat es für unser Buch „Shadows on the Wall“ so beschrieben: „Peter ist wie die wirklich großen Regisseure. Der sagt nie was.“ (Lacht)
Wenn Sie zurückdenken an die 90er-Jahre, die große Ära der Supermodels: Wer hat damals mehr von wem profitiert – Naomi Campbell, Cindy Crawford, Linda Evangelista & Co. von Ihnen oder womöglich Sie von den Supermodels?
Die Supermodels von mir. Ich selbst hatte eigentlich ganz andere Pläne. Damals hatte ich gerade angefangen zu versuchen, narrative Geschichten in meinen Fotos einzuführen. Das war 1990 mit einer Fotostrecke mit Helena Christensen und diesen Marsmenschen. Aber das hörte sofort wieder auf, denn bei den Supermodels war es gut genug, wenn man sie vor eine Mauer stellte. Die waren an sich schon eine kleine Revolution, da musste man nichts mehr erzählen. Erst als deren große Zeit langsam zu Ende ging, habe ich 2000 endlich angefangen, Sachen zu machen wie meine Marsinvasion-Geschichten. Das war dann wieder eine Zeit, in der man sich wirklich anstrengen musste, Fotos zu machen. Endlich konnte man wieder Fotograf sein!
Der Film erzählt auch viel über Ihre Kindheit und Ihre Herkunft. Geboren wurden Sie 1944 im polnischen Lissa, richtig?
Der Regisseur Jean-Michel Vecchiet fragte mich explizit, ob er über Polen sprechen dürfe. Gern, war meine Antwort, denn so hatte ich endlich mal die Gelegenheit, mich zu entschuldigen. Bei der Premiere auf der Berlinale waren etliche Leute aus Lissa, und denen habe ich gesagt, dass es mir ehrlich leidtut, dass ich in Polen geboren bin, so wie wir als Deutsche damals da hingekommen sind. Als die deutsche Armee dort ankam, wurden alle niedergemetzelt, die Doktoren, Professoren, Anwälte, Künstler, also alle, die irgendwie gebildet waren. 70.000 Menschen, entsetzlich. Aber die Menschen aus Lissa waren sogar stolz darauf, dass ich aus ihrer Stadt komme, und haben mir eine kleine Medaille überreicht. Das war ein wenig Vergangenheitsbewältigung.
Mit 18 Jahren sind Sie zunächst in die Schweiz und von dort nach Berlin gegangen. Wie lief das damals?
Eigentlich sollte ich zum Militär. Ich war damals Handball-Torwart, und zwar supergut. Bei der Bundeswehr war Handball hoch angesehen, da gab es eigene Mannschaften, und die wollten alle, dass ich zu ihnen komme. Aber ich bin zum Kreiswehrersatzamt nach Kleve gefahren und habe gesagt, dass ich stattdessen leider in die Schweiz müsse, weil ich dort einen Arbeitsvertrag hätte. In Wirklichkeit war das nur ein Brief1 aus Luzern, den ich bekommen hatte, als ich auf eine Anzeige in der „Neuen Zürcher Zeitung“ geantwortet hatte. So nach dem Motto: Wenn Sie mal in der Nähe sind, kommen Sie vorbei. Doch zufällig war der Typ beim Kreiswehrersatzamt gerade im Jahr vorher in Luzern gewesen und völlig begeistert. Der hat mir gleich Tipps gegeben, was ich da machen soll. Also bin ich in die Schweiz, was als 18-Jähriger durchaus hart war. Von dort konnte ich nicht wieder zurück, weil ich nicht zum Bund wollte, also bin ich nach Berlin und war aus dem Schneider.
Am Ende des Films heißt es: „Arbeit ist sein Leben, und wenn man die Arbeit wegnimmt, ist das auch kein wirkliches Leben mehr ...“
Das sagt meine Ex-Frau! Na ja, da war jetzt vielleicht nicht alles immer ganz wahr, was sie sagt. Aber das fand ich ganz süß. Sie erzählt ja auch, dass sie anfangs, als wir gemeinsam unsere Karrieren begonnen haben, alles in die Wege geleitet hat. Wobei ... sie war natürlich schon eine Hilfe. Und sie berichtet auch sehr schön, wie ich damals in Frankfurt mit meinen ersten Fotos in eine Werbeagentur kam – und die sich dort kaputtgelacht und auf die Schenkel geklopft haben. Das stimmt! Habe ich sogar verstanden, schließlich waren das Fotos, die ich von meinem Vater und meinen Kindern gemacht hatte.
Aber ist das Leben ohne Arbeit für Sie wirklich öde? Sie werden in diesem Jahr immerhin 75 Jahre alt, da genießen andere längst den Ruhestand.
Dass die Arbeit mein Lebensmittelpunkt ist, stimmt – und es stimmt auch nicht. Ich arbeite eigentlich immer. Aber ich habe die letzten 20 Jahre auch versucht, eine menschliche Perspektive zur Arbeit zu kriegen. Wenn mich meine Frau morgens fragt, ob ich noch die ganze Nacht an der Arbeit gesessen hätte, ist meine erste Antwort: „Nee, natürlich nicht.“ Einfach weil ich das gar nicht als Arbeit empfinde, wenn ich stundenlang Fotos aussuche. Und ich auch gar nicht weiß, was ich sonst machen soll.
Also machen Sie weiter, bis Sie umfallen?
Einfach immer weiterzumachen, das wäre nicht mehr wirklich interessant, weder für mich noch für alle anderen. Statt immer nur mehr und mehr Bilder zu produzieren, will ich in den nächsten Jahren lieber versuchen, ein bisschen mehr darüber nachzudenken, was mir so alles passiert ist. Und mit den Fotos noch etwas zu machen. Außerdem muss man auch mal ein bisschen Platz machen. Es passieren ja viele spannende Dinge durch die jungen Fotografen, durch Instagram und so. Alles hat sich geändert, und die großen Meister braucht kein Mensch mehr.
Als großer Meister, als Fotografie-Legende gefeiert zu werden – gefällt Ihnen das?
Ach, so etwas sollte nicht zu viel Bedeutung bekommen. Wenig ist mir zum Beispiel unangenehmer, als wenn Menschen zu mir sagen, es sei eine Ehre, mich zu treffen. Da denke ich immer: Bist du bekloppt? Ich freue mich auch, dich kennenzulernen, aber was soll denn daran eine Ehre sein? Ich bin doch keine Mumie. Dazu steckt noch zu sehr der Duisburger Junge in mir, als dass mir so etwas gut runtergehen würde.
Schnell noch eine letzte Frage: Wie finden Sie selbst es eigentlich, fotografiert zu werden?
Das ist furchtbar. Ich bin mir dann immer so bewusst, dass ich jetzt in die Kamera gucke, und wenn mich dann auch noch Leute von der Seite aus beobachten, wird es noch schlimmer. Da denke ich dann die ganze Zeit drüber nach, was ich mit meinem Mund gerade mache und dass das schrecklich aussieht, will es aber auch nicht ändern. Weil niemand denken soll, dass es mir darum geht, gut auszusehen. Wirklich eine furchtbare Situation. Nur wenn man all diese Dinge aus seinem Kopf rauskriegt, dann ist es erträglich. So war das, als mein drittältester Sohn mich mal fotografiert hat. Da hatte ich diese Gefühle und Gedanken gar nicht – und die Fotos sind toll geworden. Aber wenn mich jemand auf der Straße fotografiert, komme ich mir so doof vor. Das ist eine Qual.
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