Inhalt
Der süffisante Killer des 20. Jahrhunderts ist passé. Doch seine Wandelbarkeit lässt 007 „Keine Zeit zu sterben“
So erfand Ex-Geheimagent Ian Fleming James Bond und machte ihn mithilfe von PLAYBOY populär
Der süffisante Killer des 20. Jahrhunderts ist passé. Doch seine Wandelbarkeit lässt 007 „Keine Zeit zu sterben“
Seit 1961 lenkt die Familie Broccoli Bonds Geschicke
Wie aus dem schottischen Gelegenheitsarbeiter der für alle Zeiten vorbildhafte Kino-Bond wurde
Die besten 007-Gadgets vom tödlichen Kugelschreiber bis zum handlichen Helikopter
Die coolsten Dienstwagen der Bond-Geschichte
Der Australier und warum sein gefühlvoller Bond heute als der modernste von anno dazumal gilt
Sein Whisky, sein Bier, sein Champagner – und wie man den Bond-Martini namens „Vesper“ zubereitet“
Lieber Worte als Waffen: Wie der Charmeur die Herzen der Bond-Fans eroberte und seinem 007 etwas die Gewalt nahm
Lieber Worte als Waffen: Wie der Charmeur die Herzen der Bond-Fans eroberte und seinem 007 etwas die Gewalt nahm
Die 25 schönsten Gespielinnen des Agenten
Mit 007-Stunt-Fahrer Mark Higgins unterwegs in Originalautos
Die letzte Zigarette und nur eine Freundin statt vieler Girls: Für Bond fingen mit dem Theaterschauspieler ernstere Zeiten an
007-Gegenspieler, die in Erinnerung bleiben
Sieben Bond-Film-Schauplätze, die einen Trip wert sind
Neue Frauenbilder, neue Feindbilder, neue Filmtechnik: Ein glatter Alleskönner musste ran. Zu glatt, fanden manche Fans
Sieben Sachen, die Sie vielleicht noch nicht über 007 wussten
Mit „Keine Zeit zu sterben“ endet der Dienst des erfolgreichsten 007-Darstellers. Er hat den Agenten menschlich gemacht
Die wichtigsten Publikumswünsche und Prognosen
James Bond ist ein Chamäleon, ein Held, dessen Abenteuer seit 58 Jahren mit der Zeit gehen, ohne sich jedoch dem Massengeschmack anzubiedern. Denn der Mann ist loyal. Nicht nur Königin und Vaterland gegenüber. Auch für die Fans gibt es im Angebot der Kino-Superhelden eine Nummer, auf die sie sich immer verlassen können: 007.
Mit „Keine Zeit zu sterben“ geht jetzt eine Ära zu Ende, die aus dem ebenso skrupellosen wie süffisanten, dandyhaften wie kernigen Geheimagenten des 20. Jahrhunderts dank Hauptdarsteller Daniel Craig einen Helden gemacht hat, zu dessen Ecken und Kanten auch Risse und Wunden gehören: In „Casino Royale“ wurde der einst Unverletzliche 2006 von seiner großen Liebe Vesper Lynd (Eva Green) hintergangen. In „Ein Quantum Trost“ verarbeitete er 2008 ihren Tod und jagte die Hintermänner des Verrats. In „Skyfall“ verlor er 2012 mit „M“ (Judi Dench) seine stärkste Verbündete und stellte sich im Anwesen seiner Eltern in den schottischen Highlands der traumatischen Kindheit. Ehe er 2015 in „Spectre“ seinen eigenen Ziehbruder aus Kindertagen, Franz Oberhauser alias Ernst Stavro Blofeld (Christoph Waltz), als Drahtzieher allen Übels entlarvte. Jetzt ist James Bond im Ruhestand angelangt: In „Keine Zeit zu sterben“ hat eine Frau seine Stelle mit der 007-Kennung übernommen. Beim MI6 ist sein Name nahezu vergessen. Ist er am Ende? Nein, aber in seiner bislang vielleicht schwierigsten Lage. Das verspricht größtes Bond-Kino.
James Bond: Nicht nur reines Kinophänomen, sondern immer auch ein Spiegel seiner Zeit
Wie kein Darsteller vor ihm hat Daniel Craig jene menschliche Seite des Doppelnull-Agenten ergründet, die bereits in den Büchern von Ian Fleming verankert war. Und die ihn heute deutlicher als je zuvor von anderen Actionhelden abgrenzt. Die kamen und gingen – harte Kerle, fixe Ideen – mit der Mode. Bond, der Wandelbare, aber blieb. Gerade seine Entwicklung machte ihn zur verlässlichen Konstante. Bis heute haben seine Missionen im Kino inflationsbereinigt mehr als 13 Milliarden Dollar eingespielt. Denn Bond war nie bloß ein reines Kinophänomen, sondern immer auch ein Spiegel seiner jeweiligen Zeit. Gesellschaftliche Entwicklungen reflektierte seine Figur ebenso wie politische Umwälzungen. Sein Stil: klassisch, aber stets auf dem neuesten Stand. Als Pop-Ikone bezauberte er mit seiner Aura Frauen und riss Männer zu Allmachtsfantasien hin – damals wie heute. Weil sein literarischer Schöpfer Ian Fleming den Agenten als militärisch gedrillten Helden, aber zugleich nach dem Vorbild der eigenen Persönlichkeit gezeichnet hatte: Als Genussmenschen und Kosmopoliten. Ein witziger Widerspruch, der immer nach neuen Auflösungen drängte.
Ob im mondänen Monaco, im imposanten New York oder im noblen Ski-Ort St. Moritz – 007 bewegt sich auf der Bühne der gut situierten Welt allzeit selbstsicher und galant. Jahre und Jahrzehnte vor der Globalisierung, als Fernreisen nur für Superreiche erschwinglich waren, beeindruckte dieses Auftreten zutiefst. Exotische Locations unterstrichen sein Image als schneidiger Global Player. Amerika, Skandinavien, Asien, Afrika, Südamerika: Die Welt war ihm stets gerade gut genug, ansonsten verabschiedete er sich für einen Kurztrip ins All („Moonraker“). Nur einen einzigen Kontinent hat Bond noch nie besucht: Australien. Na und? Heute ist das nicht mehr so wichtig. Denn mittlerweile geht Bonds Entwicklungsreise ins Innere – ans Eingemachte: Wer ist dieser Kerl, wie kann er so leben und weitermachen, ohne eines Tages beim Psychiater zu landen? Ein treuer MI6-Soldat, staatlich legitimierter Killer, gleichzeitig aber Lebemann mit bester Erziehung, die er auf dem Elite-Internat Eton genoss, genau wie sein Schöpfer Ian Fleming.
Bond weiß deshalb Dinge wie: Welcher Jahrgang eines Champagners der Marke Dom Pérignon ist der beste? Oder: Aus welchen Weißweinen wurde ein bestimmter Sherry hergestellt? Solches Weltwissen rettet ihm ein ums andere Mal das Leben. So enttarnt er zum Beispiel den „Sommelier“ Mr. Wint am Ende von „Diamantenfieber“ als S.P.E.C.T.R.E.-Killer, weil dieser nicht weiß, dass ein Château Mouton-Rothschild ein Claret (Bordeaux) ist. Für ein Publikum, das höchstens zwei Biersorten auseinanderhalten konnte, müssen solche Fachkenntnisse in den 1970ern wie Science-Fiction gewirkt haben. Ebenso wie die Kleidung des Commanders, der sowohl in Baumwollhemden als auch im maßgeschneiderten Anzug mit seinem bevorzugten Four-in-Hand-Krawattenknoten eine gute Figur machte. Bond solle wie ein Chamäleon wirken, das nicht aus seiner mondänen Umgebung heraussteche, sondern mit ihr verschmelze, erklärte Kostümdesignerin Linda Hemming einmal, die auch Pierce Brosnan und Daniel Craig bei ihren ersten Einsätzen den richtigen Look verpasste. Deshalb ist Bond, selbst wenn es im Feldeinsatz hart auf hart geht, immer gut gekleidet. In der Vortitelsequenz von „Goldfinger“ etwa trägt er unter seinem Neoprenanzug ein weißes Dinnerjacket samt schwarzem Querbinder.
James Bond: Jeder der bisherigen offiziellen Bond-Filme verströmte den Geist seiner Epoche
Am Anfang der Filmreihe musste der echte Mann Sean Connery in dieses Idealkorsett gezwungen werden. Heute muss Daniel Craig darin – beziehungsweise aus ihm heraus – den echten Menschen zeigen. Beides schwierig, aber in beiden Fällen glückte der Versuch dank einer gewissen Bescheidenheit und Disziplin der Darsteller, die als Kinder der Arbeiterklasse Beherrschung gewohnt waren: Sean Connery lief vor seinem Engagement als 007 am liebsten in Jeans und Bomberjacke durch die Gegend. Erst „Dr. No“-Regisseur Terence Young führte den Schotten, den Albert Broccoli und Harry Saltzman als ungeschliffenen Diamanten bezeichneten, der sich grazil wie eine Dschungelkatze bewege, in die Dandy-Welt ein. Connery musste vor dem Dreh in einem Anzug von Schneiderlegende Anthony Sinclair schlafen, um ein Gefühl für den Stoff zu bekommen. Für den Fernfahrersohn aus Edinburgh eine seltsame Erfahrung. Daniel Craig, Sohn eines Stahlarbeiters aus Chester, empfindet seine Bond-Rolle aus Gründen, die mit der Mode eng verwandt sind, als anstrengend: Er muss den knallharten Agenten in einer Ära neuer und flexibler Männerrollenbilder zeitgemäß weiterentwickeln.
Jeder der bisherigen 24 offiziellen Bond-Filme verströmte – exakt dosiert und zielsicher – den Geist seiner Epoche. Gesellschaftlich wie politisch. Ob Kubakrise („Dr. No“), das Gemini-Raumfahrtprogramm der NASA („Man lebt nur zweimal“), die Energiekrise in den 70er-Jahren („Der Mann mit dem goldenen Colt“) oder der Einmarsch der Russen in Afghanistan und die Aids-Gefahr (beides in „Der Hauch des Todes“): Trotz ihres Hangs zur hemmungslosen Übertreibung fußten selbst die futuristischsten Szenarien auf realen Ereignissen. Besonders augenscheinlich ist dies in der Verarbeitung des Kalten Krieges. Obwohl das Thema untrennbar mit der Bond-Geschichte verbunden ist, befassen sich nur wenige Abenteuer direkt damit. Die Konflikt- und Entspannungsphasen zwischen der Sowjetunion und den USA finden dennoch in der Mehrzahl der Filme bis 1987 subtilen Widerhall. Von da an wandten sich die Macher, sieht man einmal von „GoldenEye“ ab, neuen Feindbildern wie Drogenbossen („Lizenz zum Töten“), Medienmogulen („Der Morgen stirbt nie“) und nordkoreanischen Emporkömmlingen („Stirb an einem anderen Tag“) zu.
Der Bond, den Daniel Craig erstmals im Jahr 2006 darstellte, spiegelt eine Realität, die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 komplexer geworden ist. Es geht um globalen Terrorismus („Casino Royale“), Cyber-Attacken und Überwachung („Skyfall“), Ressourcenmangel („Ein Quantum Trost“) und die ins Wanken geratene Moral: Gibt es noch richtig und falsch, die gute und die schlechte Seite in Zeiten asymmetrischer und hochkomplexer Konflikte? Kurz: Kann einer, der mit staatlicher Lizenz tötet, Retter und Sympathieträger sein? Anstelle des unverwundbaren Alleskönners Bond, der einst im Kampf gegen das große Böse immer Zeit für kleine, flotte Sprüche hatte, ist der postheroische Craig-007 ein von Selbstzweifeln geplagter Killer, der mit persönlichen Motiven und seiner eigenen dunklen Vergangenheit ringt („Skyfall“ und „Spectre“). In keinem anderen Film ist die Figur des Superagenten so verletzlich wie in „Skyfall“, er leidet an übermäßigem Alkoholkonsum und an Verwundungen aus vergangenen Missionen. Er vergießt bittere Tränen, als seine Ersatzmutter „M“ in seinen Armen stirbt. In „Spectre“ bringt er schließlich den eigenen Ziehbruder zur Strecke.
James Bond: Geht er jetzt in Rente?
Und jetzt? Rente? No, Sir. Auch weitere fünf Bond-Lebensjahre nach den „Spectre“- Ereignissen findet der Held „Keine Zeit zu sterben“: Auf dem einstigen Gut seines Erfinders Ian Fleming, dem Anwesen „Goldeneye“ auf Jamaika, hätte er vielleicht seine Altersruhe agenten-like genießen können, und ein mythischer Kreis der 007-Legende wäre an diesem Drehort geschlossen worden. Stattdessen holt ihn auch im Finale der ersten 25-Bond-Filme-Reihe erneut die eigene Geschichte ein: Sein alter Freund, der CIA-Agent Felix Leiter, braucht Hilfe, um einen entführten Wissenschaftler zu retten – und bei der Suche wird Bond auf Bösewicht Safin (Rami Malek) aufmerksam. Ob sich hinter Rami Maleks Figur in Wahrheit Dr. No verbirgt, wie Gerüchte vor dem Filmstart besagten? Und ob Daniel Craigs Bond-Ära dadurch mit dem gleichen Bösewicht endet, mit der Sean Connerys Bond-Ära 1962 begann? Wir werden es sehen.
Vorläufiges Ende offen. Versprechen dürfen wir uns aber wieder einiges, das als Running Gag zum 007-Ereignis dazugehört: Agenten-Spielzeuge, die auf realen Erfindungen oder solchen von Produktionsdesignern wie Ken Adam basieren, der auch die bombastischen Sets für Klassiker wie „Goldfinger“ und „Man lebt nur zweimal“ konzipiert hat. Natürlich darf auch der obligatorische Aston Martin nicht fehlen. Aber nicht nur einer, sondern insgesamt vier Fahrzeuge der britischen Marke – vom absoluten Klassiker DB5, bekannt aus „Goldfinger“, bis zum 1000 PS starken Hypercar Valhalla – werden in dem Film zu sehen sein. Und einen jener poppig-lasziven Vorspänne, wie Maurice Binder sie einst mit nackten Damen kreierte, die sich zu den Melodien von John Barry und anderen um Pistolenläufe und weitere zweideutige Gegenstände schlängeln. Kurz: perfektes Entertainment, das den Zuschauer für mehrere Stunden in eine aufregende Parallelwelt katapultiert.
Oder wie sagte die britische Filmkritikerlegende Alex Walker einst? „Beim Ansehen der Bond-Filme tritt man in die Realität eines Albtraums ein und rettet sich zugleich in die beruhigende Sphäre der Fantasie.“ Kein Bond erfüllte diesen Anspruch wie Hauptdarsteller Daniel Craig, der so viel Lust darauf hat, es jetzt endlich zum perfekten letzten Mal zu tun.