Es war der zweifellos größte Skandal der letzten Jahrzehnte im deutschen Journalismus: Reporter Claas Relotius schrieb jahrelang phänomenal gute Reportagen für das Nachrichtenmagazin Spiegel, für die er mit Lob und Preisen überhäuft wurde. Doch dann deckte im Herbst 2018 sein Kollege Juan Moreno das Unglaubliche auf: Nach einer monatelangen Recherche fand er heraus, dass Relotius für die meisten seiner Reportagen schlichtweg Geschichten erfunden hat.
Nach anfänglichen Zweifeln gegenüber Moreno geht der Spiegel im Dezember damit an die Öffentlichkeit. An dem Skandal entzündet sich eine Debatte, die Deutschland monatelang beschäftigt und den deutschen Journalismus in seinen Grundfesten erschüttert. Juan Moreno selbst wurde in dieser Zeit von einer Talkshow in die nächste gezerrt, gab unzählige Interviews, wurde vom Medium Magazin gar mit dem Titel „Journalist des Jahres“ ausgezeichnet und schrieb dann auch noch ein famoses Buch über den Fall Claas Relotius. „Tausend Zeilen Lügen“ heißt das neue Werk, das an manchen Enden fast wie ein Krimi anmutet, so unglaublich und spannend ist die Geschichte hinter dem Skandal.
Bei dieser unglaublichen Geschichte war es gefühlt nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand des Stoffes annimmt und einen Film daraus macht. Auf dem Regiestuhl nimmt dabei ein eher überraschender Charakter Platz: Regisseur, Schauspieler und Komiker Michael „Bully“ Herbig, der früher harmlosem Klamauk wie „Der Schuh des Manitu“ Riesenerfolge in Deutschland feierte, sich seit dem gelungenen Drama „Ballon“ aber auch an ernsteren Stoffen versucht. Mit der Buchverfilmung „Tausend Zeilen“ schlägt Herbig nun in eine ähnliche Kerbe – bleibt aber auch seinen komödiantischen Wurzeln treu.
Darum geht's in „Tausend Zeilen“ von Michael „Bully“ Herbig
Reporter Juan Romero (Elyas M'Barek) ist gerade in Mexiko, wo er für eine Reportage über Flüchtlinge recherchiert, als er einen Anruf von seinem Ressortleiter beim renommierten Nachrichtenmagazin Die Chronik bekommt. Der will, dass er zusammen mit Lars Borgenius (Jonas Nay) die nächste Titelstory macht. Romero hat allerdings wenig Lust darauf, denn er ist ziemlich neidisch auf seinen Reporterkollegen, der immer die besten, emotionalsten, fesselndsten Geschichten abliefert. Trotzdem willigt er ein.
Doch schon nach kurzer Zeit keimen bei Romero Zweifel anderer Art auf: Immer häufiger entdeckt er bei der Arbeit von Borgenius Unstimmigkeiten und teils verdrehte Tatsachen. Schnell vermutet Romero, dass sein Kollege die Reportagen schlichtweg erfindet. Doch leider will ihm bei Die Chronik keiner glauben. Und so recherchiert Romero auf eigene Faust und eigene Kosten seinem Widersacher hinterher. Doch der weiß seine Beliebtheit gut zu nutzen ...
„Tausend Zeilen“: Intelligente Komödie mit guten Schauspielern
Die große Stärke von „Tausend Zeilen“ wird schnell klar: die Schauspieler. Romcom-Experte Elyas M'Barek liefert in der Rolle des wahrheitssuchenden Reporters eine seiner besten Schauspielleistungen ab. Ob ernst oder lustig: In „Tausend Zeilen“ sitzt sein Schauspiel an jeder Stelle. Zudem ist seine Chemie mit dem Eberhoferkrimi-Star Michael Ostrowski zum Schießen. Jonas Nay weiß als cleverer Lügenbaron ebenfalls zu überzeugen. Allerdings bleibt seine Figur im Vergleich zu M'Barek etwas blass, was schade ist. Da hätte Herbig gerne den Fokus öfter von Romero herunternehmen und auf Borgenius richten sollen. Auch herrlich: Jörg Hartmann und Michael Maerten als arrogante und ignorante Chefredakteure. Wobei sich spätestens bei diesen beiden ein kleines Problem auftut.
Denn während die Buchvorlage einem spannenden Krimi gleichkommt, ist „Tausend Zeilen“ eine Komödie – im besten Fall eine Satire. Und das zeckt schon an der ein oder anderen Stelle. Denn Herbig wirft in „Tausend Zeilen“ vor allem gegenüber den Journalisten mit überdrehten Klischees um sich, die schon auch Spaß machen (vor allem wenn man in der Branche arbeitet). Aber leider untergraben diese und andere klamaukige Szenen an manchen Stellen den Ernst der Geschichte. Weiß man das vorab – speziell wenn man das Buch gelesen und sich mit der Tragweite des Skandals auseinandergesetzt hat –, dann kann man durchaus Spaß haben.
Am Ende ist „Tausend Zeilen“ schlicht eine nette satirische Komödie, die sich und den deutschen Journalismus nicht (zu) ernst nimmt, aber in Summe genug Respekt aufbringt. Vielleicht ist diese leichtfüßige Herangehensweise auch die richtige – vor allem für Menschen, die mit Journalismus nichts am Hut haben. Schließlich ist der Fall Relotius nicht selten trocken und bierernst. Da erscheint es durchaus smart, sich dem Thema auf eine unterhaltsame und ironische Weise zu nähern.
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