„Top Gun“ (1986) ist so eine Sache. Einerseits wird der Actionfilm rund um eine Gruppe junger Navy-Piloten bis heute als Kultfilm gefeiert. Unter anderem, weil er für damalige Verhältnisse so einige beeindruckende Sequenzen zu bieten hatte. Doch wer kann heute (oder konnte jemals) das peinliche Macho-Getue, die erschreckend zweideutigen Sprüche oder den promilitärischen und superpatrotischen Geist des Streifens ertragen? Selbst Quentin Tarantino machte sich einst in einem Kurzauftritt in „Sleep with Me“ (1994) über „Top Gun“ (1986) lustig: Er sagte, der Actioner habe das beste Drehbuch aller Zeiten. Denn eigentlich gehe es darin nicht um die Piloten, sondern um einen Mann, der gegen seine Homosexualität ankämpft.
Warum bekommt also ein Film, der über 36 Jahre alt ist, bis heute polarisiert und thematisch echt überholt ist, eine Fortsetzung? Die Antwort: Tom Cruise. Man kann über ihn sagen, was man will – und da gibt es wirklich einiges zu kritisieren –, doch eines muss man ihm lassen: Kein anderer dreht so gute Actionfilme und legt sich mit seinen Stunts so ins Zeug wie er. Dafür muss man Tom Cruise einfach bewundern. Dass gute Mann mittlerweile 59 Jahre alt ist, vergisst man schnell, wenn man in in den letzten Jahren in den „Mission: Impossible“-Filmen an einem Flugzeug hat baumeln sehen, ihn beim Klettern am Burj Khalifa beobachtet hat oder bei der Helikopterverfolgungsjagd mitgeschwitzt hat.
Und wer nun glaubt, das alles wäre schon krass, wird bei „Top Gun: Maverick“ (2022) sein blaues Wunder erleben. Denn in der Fortsetzung, die am 26. Mai 2022 in den deutschen Kinos startet, liefert Tom Cruise am Steuer eines Kampfsets Szenen ab, die es so im Kino noch nicht zu sehen gab und über die noch in Jahrzehnten gesprochen werden wird.
Darum geht's in „Top Gun: Maverick“ mit Tom Cruise
Doch worum geht's in „Top Gun: Maverick“ eigentlich? Die Handlung setzt 36 Jahre nach den Ereignissen aus Teil eins ein. Captain Pete „Maverick“ Mitchell (Tom Cruise) hat sich willentlich gegen eine große Karriere in der Navy entschlossen und auf so manche Beförderung verzichtet, um weiterhin fliegen zu können. Lieber lotet er als Testpilot die Grenzen des Machbaren mit seinem Jet aus. Doch dann bekommt „Maverick“ von seinem Freund und alten Rivalen Tom „Iceman“ Kazansky (Val Kilmer), der mittlerweile als Admiral die US-Pazifikflotte kommandiert, einen Spezialauftrag: Er soll eine Gruppe frischer Absolventen der Elite-Jagdflugschule namens Top Gun für eine extrem gefährliche Mission ausbilden.
In einer Einrichtung mitten in einem Gebirge wird (von einem nicht genannten Feind) Uran aufbereitet, das gegen die USA eingesetzt werden soll. Der Auftrag von Maverick und den Jungpiloten lautet, in den gefährlichen Luftraum, der mit verwinkelten Schluchten und Luftabwehrraketen gespickt ist, vorzustoßen und den Zielort zu zerstören. Doch wie sich schnell herausstellt, hat nicht nur die Mission ein paar Herausforderungen für ihn in petto. So begegnen ihm seine Rekruten zunächst nicht mit sonderlich viel Respekt. Und dann befindet sich mit Lt. Bradley „Rooster“ Bradshaw (Miles Teller) auch noch ein Geist aus seiner Vergangenheit unter ihnen. Denn er ist der Sohn von Nick „Goose“ Bradshaw (Anthony Edwards), dem verstorbenen besten Freund von Maverick. Und er macht gerade ihn für den Tod seines Vaters verantwortlich.
Tom Cruise setzt in „Top Gun: Maverick“ neue Maßstäbe für das Action-Genre
„Top Gun: Maverick“ (2022) übertrumpft nicht nur das Original, sondern ist ohne Zweifel der beste Actionfilm seit „Mad Max: Fury Road“ (2015). Denn genau wie der setzt das Fliegerspektakel mehr auf handgemachte Action als auf Computeranimationen (CGI) und bietet den Zuschauern Szenen, die man so noch nie im Kino gesehen hat – und wahrscheinlich lange nicht mehr sehen wird. Tom Cruise und Co. sitzen wirklich in diesen Cockpits und fliegen wirklich diese haarsträubenden Manöver – oder zumindest einen Großteil davon. Und das zieht einen mehr in den Film hinein als das austauschbare CGI-Massaker anderer Actionfilme der letzten Jahre.
Die Flugsequenzen und vor allem das Finale sind schlicht atemberaubend. Wenn die Piloten im Film durch die Schwer- und Fliehkraft in ihre Sitze gepresst werden, wird man als Zuschauer vor lauter Spannung und Bewunderung in die Kinosessel gedrückt. Steigt in „Top Gun: Maverick“ (2022) jemand in einen Kampfjet, geht der Adrenalinspiegel nach oben. Was hier Regisseur Joseph Kosinski und Kameramann Claudio Miranda inszenatorisch abliefern, ist nicht von dieser Welt. Bei dutzenden Szenen fragt man sich mit großen Augen: „Wie haben die das nur gemacht?“
Schauspielerisch müssen vor allem Tom Cruise und Miles Teller hervorgehoben werden. Cruise hat seit mindestens zehn Jahren nicht mehr so gut gespielt. Man merkt ihm jede Sekunde die Leidenschaft für diese Rolle an. Neben im glänzt Teller. Dass der was kann, weiß man spätestens seit „Whiplash“ (2015). Die Nebenrollen sind zwar mit Hochkarätern wie Ed Harris, Jon Hamm und Jennifer Connelly besetzt und die machen ihre Sache auch gut, aber an Cruise und Teller reichen sie nicht heran. Der Grund dafür ist einfach und eine der tolerierbaren Schwächen von "Top Gun: Maverick" (2022). Denn obwohl die Figuren um einiges mehr Tiefe als die in Teil eins haben, Männer auch mal weinen dürfen und das Macho-Getue ordentlich nach unten geschraubt wird, kommen die meisten Charaktere doch etwas blass daher. Ähnlich austauschbar und vorhersehbar ist die Geschichte. Das gilt auch für die Liebelei zwischen der Figur von Tom Cruise und der von Jennifer Connelly.
Doch so wirklich schadet das dem Film nicht. Denn „Top Gun: Maverick“ (2022) ist ein Actionfilm – und da muss am ehesten die Action stimmen. Und die stimmt hier nur nicht, die setzt schlicht neue Maßstäbe fürs Kino. Über diesen Film wird sich in 36 Jahren keiner lustig machen – nicht einmal Quentin Tarantino.
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