"Kind“, sagte Mutti damals immer, „geh nicht so nahe an den Fernseher, sonst werden deine Augen schlecht, und du musst eine Brille tragen.“ Wenn Mutti wüsste. Heute setzen wir uns das Display direkt auf die Nase. Als Brille. Und das mit gutem Grund: Virtual-Reality-Headsets sind regelrechte Entertainment-Maschinen. Sie versetzen dich in einen anderen Raum, und das Bild folgt der Kopfbewegung. Irre! Die 360-Grad-Rundumsicht erzeugt die Illusion einer virtuellen Realität. Alle springen auf den Zug auf. Vorreiter ist – wie so oft bei neuen Technologien – die Porno-Branche. Anstatt den Protagonisten nur beim Sex zuzusehen, ist man plötzlich mitten im Geschehen. Zahlreiche Erotik-Portale bieten bereits entsprechende Videos an.
Die Idee der Virtual Reality ist rund 30 Jahre alt. Nur konnte die Hardware lange Zeit nicht das bieten, was sich Technik-Nerds und Science-Fiction-Autoren ausmalten. Erst 2012 wurde die Vision allmählich Wirklichkeit: als der damals 19-jährige Kalifornier Palmer Luckey das Unternehmen Oculus VR gründete. Er hatte zuvor an der Uni und in der elterlichen Garage an ersten Prototypen gearbeitet. Nun startete er eine Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter, um an das Startkapital zu gelangen, das seinen Traum von der perfekten Brille Wirklichkeit werden lassen könnte. Sein angestrebtes Ziel: 250.000 Dollar. Die Summe hatte er innerhalb von vier Stunden zusammen. Am Ende der Aktion waren es sagenhafte 2,5 Millionen. 2014 übernahm Mark Zuckerberg das Start-up für stolze zwei Milliarden Dollar. Facebook führte daraufhin 360-Grad-Optionen für Videos und Fotos ein, und auch YouTube zog nach. Die Rundum-Bilder können mit entsprechenden Apps auf allen gängigen Brillen betrachtet werden. So kann man sich den Traumstrand schon vor dem Urlaub von zu Hause aus ansehen.
Anfang 2016 startete schließlich der Verkauf der „Oculus Rift“ für Endverbraucher. Der Andrang ist seither so enorm, dass der Hersteller kaum mit der Produktion nachkommt. Zwar ist die Rift eine der teuersten VR-Brillen auf dem Markt, sie bietet allerdings auch mit Abstand die beste Grafik. Voraussetzung ist ein leistungsstarker Computer. Ein Sensor, der im Raum platziert wird, leitet die Bewegungen des Kopfs dann an den PC weiter und ermöglicht ein nie dagewesenes Erlebnis. Egal, ob man sich im Kletterspiel „The Climb“ an einer steilen Felswand entlanghangelt oder eine Kamera-Drohne nur durch die Bewegung des Kopfs steuert, die Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Zusammen mit einem 3-D-Surround-Kopfhörer (Tipp: Sennheiser HD 630VB, ca. 500 Euro) wird das Erlebnis noch beeindruckender.
Besitzer einer PlayStation 4 freuen sich auf den Oktober. Dann steigt auch Sony in den VR-Markt ein. Die PS4-Variante hat jedoch in Sachen Grafik das Nachsehen. Im Gegensatz zur Rift, die für jedes Auge ein Panel hat (je 1080 × 1200 Pixel pro Auge), bietet PlayStation VR nur eines mit 1920 x 1080 Pixel für beide Augen. Trotzdem bekommt man für rund 400 Euro beste Unterhaltung geboten. Denn die Kombination mit der Spielkonsole hat es in sich. Etwa im Grusel-Shooter „Until Dawn: Rush of Blood“. Mutti würde sagen, das sei wie eine Geisterbahn auf der Kirmes. Wir sagen, dass sie hier aber alles abknallen darf, was ihr Angst macht – einfach mit dem „Move“-Controller.
Wem auch die Sony-Brille noch zu teuer ist, der findet sein Glück in der „Gear VR“. Mit diesem Headset bietet Samsung die Möglichkeit, Smartphones wie das Galaxy S7 oder Note 5 zur VR-Brille umzufunktionieren. Sie werden einfach in den Plastikkasten gesteckt – eine preiswerte Option. Die Gear VR sorgte bei unserem Test in der Redaktion erst für verwunderte Blicke, dann für Angst- und Freudenschreie.
Da Samsung mit Oculus VR kooperiert, werden viele der Oculus-Apps auch von der Gear VR unterstützt. Generell ist die Installation von VR-Apps auf allen Systemen kinderleicht.
Doch in der schönen virtuellen Welt ist nicht alles „eitel Sonnenschein“ (wie Mutti zu sagen pflegte). Manchem Nutzer wird beim Tragen einer VR-Brille flau im Magen. Übelkeit und Schwindelanfälle machen den Film- oder Spielspaß zunichte. Viele gewöhnen sich schnell an die neue Erfahrung, manche nie. Vor dem Kauf daher unbedingt alles mehrere Minuten lang ausprobieren. Nicht dass am Ende die Augen okay sind, aber der Magen im Eimer. . .
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