Lassen Sie uns diesen Disput mit einem feinen Tropfen beginnen, ich beim Schreiben, Sie beim Lesen. Sie wissen ja, legendäre Nächte starten harmlos. Setzen Sie sich, schenken Sie sich ein Glas ein, wohl bekomm’s! Schmecken Sie die Aromen, die zarten Noten? Lassen Sie sich Zeit.
Ich erzähle Ihnen inzwischen was: Mit 16 haben wir uns „zum Saufen“ getroffen, ein bisschen vulgär mit Trinkspielen und „alles auf ex!“. Wirkungsvoll, aber nur halb so schön, wie jeder weiß, der die Adoleszenz überlebt hat. Denn die prächtigsten Räusche passieren natürlich beiläufig.
Der Wein zum Essen und das erste Bier an der Bar sind die kleinen Türöffner in eine dionysische Parallelwelt, die ihrer eigenen Logik folgt.
Im Alkoholrausch entlädt sich das Anarchische
Warum mit einem Glas, das mundet, enden? Auf einem Bein steht sich schlecht, und aller Dinge sind rasch drei. Alkohol trinken, ohne sich gelegentlich zu betrinken, ergibt keinen Sinn. Und ist das alkoholische Endorphine-Feuerwerk erst gezündet, verliert die Zahl der Gläser ihre Bedeutung, die Zeit den linearen Zwang und man selbst aufs Schönste die Kontrolle.
Wir sollten diesen Kontrollverlust nicht täglich provozieren, dafür aber ohne Aufsichtspersonal: ohne Pflichtgefühl, Verabredung und Ziel. Völliges Loslassen ist das Wesen des Rausches. Eine Entladung des Anarchischen, das jeder in sich trägt. Sie versöhnt uns mit allem, um dessentwillen wir uns im Alltag dauernd beherrschen. Sie macht aus Bekannten Freunde oder Feinde.
Und ist, so gesehen, auch gut für die Selbstwahrnehmung. Das kann schmerzhaft sein wie der verkaterte Blick in den Spiegel am nächsten Morgen. Aber aus Fehlern, die so einen Spaß machen wie der Rausch, lernt man natürlich viel lieber fürs Leben. Stoßen Sie darauf mit mir an?
Playboy-Textchef Philip Wolff ist da übrigens völlig anderer Meinung: "Wer dem Co-Piloten Ethanol das Kommando übergibt, ist leider gerade in der Pubertät", sagt er. Lesen Sie hier seinen Gegenkommentar.