Sie kennen Max Frischs berühmte Geschichte sicher noch aus der Schule: Die Biedermanns, ein gut situiertes Spießerpaar, bekommen unerwünschten Besuch von zwei mutmaßlichen Brandstiftern, die die ganze Stadt in Atem halten. Statt sich gegen die ungebetenen Gäste zu wenden und die Behörden oder Nachbarn zu alarmieren, versuchen sich Herr und Frau Biedermann mit den beiden gut zu stellen. In der Hoffnung, dadurch von ihnen verschont zu werden. Aber mit dem Resultat, dass nicht nur ihr eigenes Haus, sondern letztendlich die ganze Stadt in die Luft fliegt.
Und die Moral aus der Geschichte? Die verklemmte Lebensart der Biedermanns ist es, die letztlich den Untergang aller besiegelt. Leider ist sie brandaktuell.
In den vergangenen Jahren hat ein Konservatismus den Weg in die breite Debatten-Öffentlichkeit gefunden, der als politische und gesellschaftliche Strömung lange in der Versenkung verschwunden war – und der nun erneut die Türen für Brandstifter jeder Art öffnet. Hätte sich noch vor 15 Jahren niemand als konservativ oder bieder bezeichnen lassen, wurde es in jüngster Zeit wieder chic, sich das Etikett „neokonservativ“ umzuhängen – und im Schlepptau eine Sexualmoral zu führen, die wir zusammen mit dem Keuschheitsgürtel längst überwunden zu haben glaubten.
Eine konservative Gegenbewegung zur digitalen und globalen Auflösung tradierter Sitten – besonders aber auch zur zeitgemäßen Auflösung historischer Geschlechterrollen. Einer ihrer ärgsten Feinde: der moderne Feminismus, der den Frauenkörper längst bis in die Pornografie hinein zu befreien sucht von der Regie des ewig schamvoll verklemmten, biederen Spanners.
Der Körper der Frau ist den Biedermännern suspekt
Egal, ob es sich heute um „importierte Frauenbilder aus dem Nahen Osten“ oder um die Fantasien hiesiger Spießer handelt: Kennzeichen aller Konservativen war es seit jeher, dass sie Frauen zu verfügbaren Objekten abwerten. Die einen, indem sie Frauenkörper am liebsten verhüllen. Die anderen, indem sie den enthüllten Frauenkörper als heiße Ware unterm Ladentisch ihrer „guten Sitten“ handeln.
Die 50er-Jahre lassen nun wieder grüßen – in sozialen Medien wie auf dem Basar oder an der Supermarktkasse. Es ist der Körper der Frau, der den Biedermännern hier wie da suspekt erscheint. Sie lieben zwar die Vorstellung von ihm, sein Mysterium. Aber sie dürfen und wollen es niemals entschlüsseln. Denn dann könnten sie Unliebsames entdecken. Zum Beispiel wie eine Vulva tatsächlich funktioniert: mit Haaren und Flüssigkeiten und Formen des Fleisches, von denen sie nicht fantasieren mögen. Die Realität halten sie sich mit Macht vom Leib.
Mit Macht? Ja, leider haben die Biedermänner noch immer ein recht angesehenes Zuhause in der Mitte unserer Gesellschaft. Erst diesen Sommer erging der Auftrag an den Deutschen Bundestag: Er solle sich mit einer angemessenen Besteuerung von Tampons und Binden befassen, weil diese – welch Überraschung! – zum menschlichen Grundbedarf zählen.
Wie gerne hätte man die simple Wahrheit weiter verdrängt, dass Frauen im gebärfähigen Alter einen Monatszyklus haben. Zwar kann man mittlerweile überall Geschlechtsteile aus allen Perspektiven sehen, aber viele Biederfrauen schämen sich noch heute dafür, einen Tampon in der Öffentlichkeit zu zücken. Warum?
Weil die Biedermänner so etwas nicht sehen wollen. Doch was würde geschehen, wenn wir unsere Geschlechtsorgane weniger mystifizierten? Wäre dann wirklich alle sexuelle Anziehungskraft zwischen Mann und Frau beim Teufel?
Was ist falsch an gewöhnlichem Bumsen?
Überraschenderweise outete sich vor Kurzem auch der Philosoph Slavoj Žižek als besorgter Biedermann:
„Man stelle sich vor, dass man, von der erotischen Leidenschaft getrieben, einen genauen Blick auf die Vagina der geliebten Frau wirft, zitternd, weil das Vergnügen, wie erwartet, gleich eintrifft. Aber dann passiert etwas: Als ob man den Kontakt zu ihr verloren hätte, fällt man aus der erotischen Lust heraus, und das Fleisch vor den Augen erscheint plötzlich in seiner ganzen vulgären Realität, mit dem Geruch von Urin und Schweiß (…). Die Vagina hört auf, ein Objekt zu sein, das zur Würde des Dings erhoben wurde, und wird wieder Teil der gewöhnlichen Realität.“
Ja und dann? Oh Schreck – würde die Szene zu nichts als „vulgärem Kopulieren“ führen.
Irgendwie erinnert Žižeks aktuelles Libido-Lamento stark an die intellektuellen Ergüsse des frühmittelalterlichen Kirchenvaters Augustinus, der fast zwanghaft darunter litt, dass wir „zwischen Kot und Urin geboren“ werden. Augenscheinlich ist es schwer, etwas an diesem Vorgang zu verschönern. Aber dass zu viel Aufklärung und Emanzipation der „Würde“ weiblicher und männlicher Geschlechtsorgane schaden würden, klingt dann doch irgendwie lächerlich. Und was hat Žižek eigentlich gegen gewöhnliches Bumsen?
Die Angst vor dem Verlust der Lust sitzt den Biedermännern seit Langem in den Knochen. Während sie sich in den 60er-Jahren darüber sorgten, dass die Spannung zwischen den Geschlechtern flöten gehe, wenn nicht der Mann der Alleinernährer und die Frau zu Hause am Herd bleibe, fürchten sie sich jetzt vor der selbstbestimmten Demonstration von Busen und Vulven. Irgendwie scheint die Realität der Biedermänner mit ihren Fantasien nicht mithalten zu können. Aus diesem Grund versuchen sie, ihre heile Welt vor allen bedrohlichen Einflüssen zu schützen.
Besonders haben sie Angst davor, dass der moderne Feminismus ihren Sex zerstört, indem er die Geschlechter endgültig gleichmacht. Dabei wissen wir seit Simone de Beauvoir: „Es wäre absurd zu behaupten, dass es keine Ekstase, keine Leidenschaft mehr geben würde, nur weil Mann und Frau einander konkret gleichgestellt würden.“
Gleichheit ist ein moralisches Prinzip, keine Tatsachenbeschreibung. Jeder emanzipierte Mensch tritt dafür ein, dass, einen Penis zu haben, nicht dazu führen darf, seine Interessen den ihren vorzuziehen – egal, ob im Bett oder im Büro. Es bedeutet lediglich, dass ihre Interessen im gleichen Maß wie die seinen berücksichtigt werden müssen.
Emanzipierter Sex bringt auch einen Lustgewinn für die Männer
Nur folgerichtig sind die Zeiten des Slogans „Alles, was Männern Spaß macht“ auch im Playboy vorbei. „Was Männer lieben“ verspricht und verlangt heute mehr. Zum Beispiel Partnerschaften, in denen auch für Frauen der Sex besser ist als früher, als sie noch Panik vor ungewollten Schwangerschaften hatten, Vergewaltigung in der Ehe erlaubt war und der weibliche Orgasmus ignoriert wurde. Dass emanzipierte Frauen Sex heute anders einfordern als verklemmte Biederfrauen, bringt auch einen Lustgewinn für die Männer.
Zweifellos gibt es genug Dinge, vor denen wir uns zurzeit fürchten müssen. Die Angst, dass Feminismus uns den Sex verdirbt, gehört nicht dazu. Auch wenn einige Feministinnen einer Selbstinszenierung mit Hasenohren und den Playmates als Gefährtinnen gleichberechtigter Männer misstrauen, halten sie Playboy doch weniger für eine unmoralische Obszönität als vielmehr für einen Spiegel (bisweilen klischeehafter) männlicher Sehnsüchte.
In diesem Sinne zeigt der Playboy seine Utopie einer Sexualität ohne Tabus. Und auf seine Weise auch, wie weit wir – dank der vielen alten und neuen Biedermanns – noch davon entfernt sind. Unsere Utopien sind einander ähnlich. Unsere Wege liegen in Rufweite. Lasst uns reden!
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