text MAXIMILIAN REICH UND FRANZISKA STORM
Arthur Schnitzler ist ein Volldepp. In seinem Roman „Traumnovelle“ tragen die Gäste einer frivolen Sex-Party Masken. Seitdem soll man sich auf jeder anständigen Swinger-Orgie maskieren. Dabei ist das periphäre Sehvermögen total eingeschränkt. Und wenn es eine Situation im Leben gibt, in der ich sehen möchte, was um mich herum passiert – dann ja wohl in einem Raum, wo überall fremde Schniedel frei schwingen. Aber es hilft nichts. Ich muss heute Abend trotzdem eine Maske tragen. Denn ich bin im Selbstversuch für Sie, liebe Playboy-Leser, unterwegs. Darf ich mich kurz vorstellen? Gestatten: Max mein Name.
MAX Also, ich gehe heute zur „Nacht der Masken“, einem rauschenden Sex-Fest mit leckerem Essen und edlem Wein, bei dem die gut betuchte Oberschicht das gute Tuch ablegt und übereinander herfällt. Eine Karte kostet 275 Euro. Man braucht allerdings zwei davon, denn ohne Begleitung kommt man nicht rein. Da unterscheidet sich die Swinger-Party nicht vom Schulfest: Jeder muss was mitbringen. Und weil die Frauen in meinem Freundeskreis alle kleine Kinder ha- ben, gehe ich mit Franzi. Darf ich auch Franzi kurz vorstellen? Sie ist Studentin, 26 Jahre alt, und wir ha- ben uns noch nie gesehen. Sie ist die Bekannte eines Kollegen – aufgeschlossen, abenteuerlustig, eine Frau von Welt. Sagt er. Ich habe ihr eine Einladung geschickt, und sie hat angenommen.
FRANZI Eine Einladung zur „Nacht der Masken“, super! Ich war zwar schon auf ein paar Sexpositiv-Partys in Berlin, aber noch nie auf einer Masken-Sex-Party. Dabei reizen mich solche Events, seit ich den Film „Eyes Wide Shut“ gesehen haben. Das Versteckspiel, der Flirt mit dem mysteriösen Unbekannten – das wird bestimmt spannend! Ich freu mich drauf!
MAX Wo die Party stattfindet, darf ich hier leider nicht verraten. Die Gastgeber bitten um Verschwiegenheit. Daher nennen wir den Ort einfach Bums- hausen: eine kleine Gemeinde in Hessen mit Gassen und Fachwerkhäuschen um den Marktplatz. Hier wirft man sich nur in Schale, wenn der Opa zu Grabe getragen wird. In einem so biederen Kaff spricht sich ein elitäres Sex-Fest unter den Bewohnern schnell he- rum, der Kleidersack über meiner Schulter verrät mich also als Swinger. Mit gesenktem Kopf schreite ich zügig die Bahnhofstraße entlang zu meinem Hotel.
FRANZI Als ich am Nachmittag in dem kleinen Städtchen ankomme, deutet nichts darauf hin, dass hier heute Abend eine aufregende Party stattfindet. In den Gärten der Einfamilienhäuser rotieren bunte Windräder. In Berlin kann ich in Reizwäsche mit der U-Bahn zu solchen Events fahren. Aber hier?
MAX Als ich am Abend meine Begleitung in ihrem Hotel abhole, zieht sich mein Magen zusammen. Wir kennen uns ja nicht. Was, wenn sie unsympathisch ist? Oder stottert? Die Tür geht auf, und vor mir steht eine junge Frau in einem tief ausgeschnittenen Abendkleid, das sich an ihre schmalen Hüften schmiegt wie ein rat- tiger Rentner beim Tanztee. G...g...geil!
FRANZI 18.30 Uhr. Ich stecke gerade noch ein paar Kondome in meine Handtasche, als es an meine Zimmertür klopft. Bin ich verrückt, dass ich mich auf ein Blind Date für eine Sex-Party eingelassen habe? Vielleicht. Aber es macht mich auch unheimlich an, nicht zu wissen, wer da auf mich zukommt. Ich öffne die Tür, und da steht er nun: ein schlanker Mann im schwarzen Smoking. Warum wir- ken Männer im Anzug bloß so unwiderstehlich?
MAX Das Schloss liegt mitten im Ort, neben einer Apotheke und einer Metzgerei. Passanten kommen mir mit ihren Einkaufstüten entgegen, während Franzi und ich auf die Bums-Burg zulaufen. Na super. Franzi scheint das nicht zu stören. Als wir vor dem Tor stehen, lächelt sie mich an. Offenbar freut sie sich schon darauf, über mich herzufallen. Im Eingangsbereich des Schlosses sit- zen zwei Damen mit prallen Dekolletés an einem Tisch und kontrollieren unsere Ausweise und die Eintrittskar- ten. Dann wird es Zeit, unsere Masken aufzusetzen.
FRANZI Ich bin total aufgeregt. Was für Menschen werden wir treffen? Wie wird die Stimmung sein? Max atmet tief durch. Ich lächle ihm zu, um ihm Mut zu machen.
MAX Wir werden in einen Raum geführt mit einer Bar. Ein paar Gäste unterhalten sich, während ein Pianist am Flügel spielt. Wie man wohl auf einer Swinger-Party Small Talk betreibt? „Herrliches Wetter heute zum Gruppenbumsen, nicht wahr?“ Ich hole zwei Gläser Wein und beobachte mit Franzi die anderen. Es müssen etwa 100 Gäste hier sein, die meisten um die 50 Jahre, und ich frage mich, wie ich wohl charmant aus der Nummer rauskomme, wenn mich eine der reiferen Da- men angräbt. Mir hat’s ja schon gegraust, wenn mir Freundinnen meiner Oma früher mit Spucke auf dem Daumen Krümel von der Backe gewischt haben. Mit ihnen schlafen? Ich exe meinen Wein.
FRANZI An der Bar gibt es einen Willkommensdrink. Auf der Einladung wurde um elegante Abendkleidung gebeten oder erotische Kostüme. Die Mehrheit hat sich für den feinen Zwirn entschieden. Leider sind die meisten Gäste deutlich älter. Eine Mischung aus Tante Trudis 60. Geburtstag und Maskenball. Am Tresen erspähe ich aber einen Mann in unserer Altersklasse. Groß gewachsen, bestimmt an die zwei Meter, mit sportlicher Figur. Vielleicht wird der Abend ja doch ganz nett ...
MAX Abendessen gibt’s um acht. Typisch deutsch. Die Kellner servieren Fleisch mit Kartoffelgratin und Trüffelsauce. Zwei Tische weiter küsst ein älterer Mann seine rüstige Begleitung. „Bäh“, denke ich und verziehe das Gesicht, „Trüffel!“
FRANZI Wann geht es wohl zur Sache? Beim Abendessen sitzen alle gesittet an ihren Tafeln und löffeln ihre Suppen, als wären wir in einem Sterne-Restaurant. Wie langwei- lig. Etwas Cunnilingus unterm Tisch zum Hauptgang ist doch wohl nicht zu viel verlangt.
MAX Nach und nach erheben sich die Gäste von ihren Plätzen, und auch wir machen uns auf, das Schloss zu inspizieren. Ich hatte mir ein mittelalterliches Anwesen ausgemalt: unverputzter Stein und brennende Fackeln an den Wänden, zwischen denen nackte Menschen kichernd über die Flure toben. Aber hier sieht es aus wie in einem katholischen Internat, hübsch renoviert, mit hell gestrichenen Wänden. Ein Flur führt zu einer Reihe von Sexzimmern. In dem ersten liegt eine Dame auf einer Schaukel und wird von ihrem Mann mit einem Dildo penetriert. Auf einem knien zwei Männer nebeneinander und lassen sich von zwei Damen oral befriedigen. Eigentlich ganz heiß, trotzdem fühle ich mich unwohl, so neben Franzi an der Türschwelle zu stehen und der Dame vor mir zwischen die Beine zu glotzen. Also tue ich so, als würde mich das gar nicht richtig interessieren und frage stattdessen: „Glaubst du, man muss die Matratzen danach frisch be ziehen?“ Auweia, bestimmt fragt sie sich jetzt, welchen Verwandtschaftsgrad meine Eltern haben.
FRANZI Wo ist eigentlich der attraktive Mann von vorhin? Aus jeder Ecke höre ich das Stöhnen von Frauen und das Aneinanderklatschen von Fleisch. Und ganz ehrlich: Es macht mich extrem scharf. Es gibt nichts Heißeres, als eine Frau zu beobachten, wie sie von ihrer sexuellen Lust über- mannt wird. Ich würde gern mitmachen. Aber die Paare wirken so auf sich fokussiert, dass ich bloß das Gefühl hätte zu stören. Max offenbar auch. Er versucht, etwas Lustiges zu sagen. Wir gucken lieber weiter. Eine Wendeltreppe führt zu mehreren Etagen mit weiteren Spielzimmern.
MAX Es ist verboten, die Türen zu schließen. Die Gäste sollen zuschauen können. Trotzdem sehe ich zu- nächst nicht viel, als wir durch den zweiten Stock schlendern. Das Licht ist gedimmt, und ich muss mich mit zusammengekniffenen Augen ein Stück nach vorn beugen, um zu erkennen, wer da stöhnt. Ein junger Mann nimmt auf dem Bett seine Partnerin von hinten, die kurz vor dem Höhepunkt ist. Es sieht sehr sexy aus. Die Szene erregt mich. Gleichzeitig schäme ich mich aber auch. Ich fühle mich wie ein Schuljunge, der durch ein Loch in die Damen-Umkleide lurt.
MAX Ich habe jetzt große Lust. Und das nächste Zimmer ist noch frei. Ob Franzi wohl das gleiche denkt wie ich? Sie: „Wollen wir runter in den SM-Keller schauen?“ Nee, denkt sie nicht. Also steigen wir runter ins Kellergewölbe, wobei mir wieder ein bisschen mulmig wird. Ich bin kein Fan von SM-Spielen. An Wäscheklammern gehören für mich frisch gewaschene Socken und keine Brustwarzen.
FRANZI Im BDSM-Keller bleibt mein Blick als Erstes an einer Art Hundekäfig kleben. Vor ein paar Jahren hatte ich mal eine kurze Beziehung mit einem Dom, der mich in die SM-Welt eingeweiht hat. Beim Sex kann das durchaus aufregend sein, den Kopf auszuschalten und bloß zu gehorchen. Aber mich wie ein Tier einsperren lassen? Nein, danke. Ein paar Schritte weiter hat sich eine Traube von Zuschauern gebildet. Vor ihnen ist eine Frau mit ausgestreckten Armen über ihrem Kopf an ein Gerüst gefesselt. Ihr Partner streichelt zunächst mit seiner Hand über ihren Hintern und schlägt im nächsten Moment mit einem Paddel auf die Stelle. Klatsch! Zurück bleibt ein roter Fleck auf ihrer Pobacke. Eigentlich ganz sexy, aber die beiden könnten meine Großeltern sein.
MAX In der Mitte des Raumes versohlt gerade ein rüstiger Herr seiner reifen Gespielin den Hintern. Anschließend legt er das Paddel beiseite und schiebt seine Finger zwischen ihre runzeligen Schamlippen. Super. Ich habe 275 Euro gezahlt, um zu sehen wie Opa Heinz Oma Inge fingert. Das ist wirklich masochistisch. Auch Franzi rollt lächelnd mit den Augen. Verdammt, ist die Frau süß! Ob es merkwürdig wäre, sie jetzt zwischen den Folterinstrumenten zu küssen? Ja, vermutlich ...
FRANZI Wir gehen wieder Richtung Treppe, als mich ein Mann am Arm festhält und fragt, ob wir uns seiner Entourage anschließen. Er deutet zu einem Sofa an der Wand, auf dem zwei Männer und drei Frauen sitzen. Alle Ende dreißig und äußerst attraktiv. Er erzählt, dass er und seine Frau aus München kommen und Anwälte sind, der typische Small Talk. Bis er mich plötzlich fragt: „Darf ich dich küssen?“ Ich bin total perplex und werfe Max einen fragenden Blick zu, aber der wirkt auch etwas überfordert. Also lächle ich bloß, und der Fremde zieht meinen Kopf sanft zu sich heran. Er ist charmant, und der Kuss schmeckt gut, also lasse ihn gewähren. Als sich unsere Lippen wieder lösen, steht eine der Frauen auf und zieht mich aufs Sofa. Sie stellt mir ihre Freunde vor und lädt mich ein, mit ihnen zu feiern. „Und meine Begleitung?“ – „Dem wird schon nicht langweilig“, sagt die Fremde und streicht über meinen Arm. Ich stehe auf Männer und auf Frauen, unter anderen Umständen hätte ich vielleicht zugestimmt. Aber ich bin mit Max gekommen, und es erscheint mir nicht richtig, ihn stehen zu lassen. Daher lehne ich dankend ab.
MAX Swingen ist scheiße. Mir gefiel die Idee von einer Party, auf der ich mit jeder Dame vögeln kann. Aber nun mache ich Bekanntschaft mit der Schattenseite. Die Schattenseite hat nach hinten gegelte schwarze Haare und küsst plötzlich meine Begleitung. Meine! Wir wollten gerade nach oben gehen, da fragt er Franzi ganz direkt: „Darf ich dich küssen?“ Und ich? Steh bloß dümmlich daneben. Was ’n Arsch! Merkt wohl auch Franzi, die sich kurz darauf von ihm löst und sich bei mir einhakt. Ha! Wir setzen uns in eines der Spielzimmer und gucken stumm dabei zu, wie sich zwei Gäste oral befriedigen. Ich fühle mich wie beim ersten Date im Porno-Kino und spiele gerade mit dem Gedanken kurz zu gähnen und meinen Arm um Franzis Schulter zu legen, da legt die ihre Füße auf meine Knie.
FRANZI In einem der Spielzimmer stehen zwei freie Stühle an der Wand. Gott sei Dank. Meine Füße bringen mich um. Ich streife die High Heels ab und lege meine Beine auf Max’ Schoß, während sich ein Pärchen vor uns auf einer Matratze in der 69er-Stellung amüsiert. Plötzlich spüre ich Max’ Hand auf meinem Bein. Hoppla!
MAX Auf einmal steht das Sex-Paar auf und geht, wir sind allein im Zimmer. Nur im Türrahmen stehen noch drei Gäste und warten wohl darauf, dass hier gleich was passiert. Ehrlich gesagt, fühle ich mich etwas unter Druck gesetzt. Andererseits will ich mein Publikum auch nicht enttäuschen. Also flehe ich Gott an, dass sie mir vor den Fremden jetzt bitte keinen Korb gibt – und küsse Franzi.
FRANZI Max küsst gut, aber noch mehr erregen mich die Zuschauer. Der Gedanke macht mich an, vor diesen Fremden gleich Sex zu haben. Ich setze mich auf seine Knie und öffne den Gürtel, während Max etwas unbeholfen am Reißverschluss meines Kleides herumfriemelt. Irgendwas klemmt. Der Reißverschluss? Oder der Max? Ist er so erregt oder so unsicher? Ich versuche, ihm zu helfen und mein Kleid selbst zu öffnen, doch plötzlich greift er nach meinen Händen und hält mich zurück.
MAX Nein, ich kann das nicht. Es geht einfach nicht. Ich krieg die Zuschauer nicht aus meinem Kopf, die immer noch im Türrah- men stehen und glotzen. In meinem Kopf höre ich sie tuscheln: „Wie lange braucht der denn bitte, um einen BH zu öffnen?“ „Igitt, der Kerl küsst ja wie ein Karpfen.“ Swingen ist nichts für mich, das weiß ich jetzt. Also flüstere ich Franzi ins Ohr: „Wollen wir nicht lieber zurück ins Hotel gehen?“ Ja, das wollen wir. Und tun es. Aber was dort geschieht, geht niemanden etwas an. Ihr Spanner ...
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