Brad Pitt wird 60: Was wir vom Meister der Sinnsuchenden lernen können

Lernen von Brad Pitt: Jetzt in unserer neuen Sonderausgabe „How to be a Man 2023“
Credit: picture alliance / Captital Pictures / Jeff Lipsky
Lernen von Brad Pitt: Jetzt in unserer neuen Sonderausgabe „How to be a Man 2023“
Magazin
How to be a Man 2023 – Der Playboy Gentlemen's Guide

Inhalt

Auftakt

Zehn prominente Stimmen über die Zukunft: Wer ans Morgen denkt, lässt tief blicken – in seine Wünsche, Ziele, Ängste und in seine Persönlichkeit

Können

Lernen von Brad Pitt: Der Hollywood-Star stellt sich regelmäßig den großen Fragen des Lebens. Ein paar Antworten hat er bereits gefunden. Fünf Lektionen in der Kunst, Erfüllung zu finden

Drink-Klassiker mixen: Um jeden bekannten Cocktail ranken sich Mythen. Wir kredenzen fünf Rezepte und ihre Bar-Geschichte  

Neues wagen mit Whisky: Vor rund 70 Jahren wurde der Bourbon bei Maker’s Mark neu erfunden. Jetzt kommt der erste „Cellar Aged“ auf den Markt 

Vollgas geben: Simon Billy ist der schnellste Skifahrer der Welt. Uns verrät er im Interview, was man aus Crashs übers Rasen lernen kann

Eigene Schwächen austricksen: Der Alltag steckt voller Herausforderungen. Der Psychologe Rolf Schmiel hat sieben Tipps, wie man sie bewältigen kann 

Auto-Leidenschaften pflegen: Der Motorsport-Fotograf Rainer Schlegelmilch wurde am Rand der Strecken selbst zur Rennlegende. Zum 75. Jubiläum widmet er Porsche jetzt ein Buch voller Highlights

Perfekte Papierflieger falten: Der deutsche Champion Alexander Schwarz erklärt, wie es geht

Machen

Eisbaden: Moritz Ross hilft Männern und Frauen, im kalten Wasser ihre Willens- und Widerstandskräfte zu trainieren

Wieder aufstehen: Hotelmanager Olaf Beck war ein Shooting-Star seiner Branche – und alkoholkrank. Ein Gespräch über den Weg aus der Sucht  

Leckere Pasta-Gerichte: Die Betreiber der Berliner Manufaktur Mani in Pasta stellen sieben einfache Nudelrezepte zum Selberkochen vor

Gute Bücher lesen: Zehn große Autorinnen und Schriftsteller der Gegenwart, die Sie unbedingt kennen sollten

Besser aussehen: Fünf Pflegetipps, mit denen Männer ihrem Auftreten den letzten Schliff verpassen

Haben

Einen Lauf wie Tom Wlaschiha: Mit Kultserien wie „Game of Thrones“ oder „Stranger Things“ wurde der deutsche Schauspieler zum Star. Ein Interview über Hollywood-Mythen und seinen Glauben an sich selbst

Ein Hobby wie Golf: Unser Autor macht die Platzfreife auf Madeira – und uns große Lust aufs Spielen an den ansehnlichsten Orten der Welt

Eine schöne Wohnung: Die Interior-Expertin Arina Ageeva gibt Tipps für ein stilsicher eingerichtetes Zuhause

Sinn für Kunst: Als Maler, Designer und DJ hat Noah Becker sich fest etabliert. Im Interview spricht er über Kreativität als Ventil 

Männer-Uhren: Damit Sie bei den vielen Typen, Materialien und Farben nicht den Überblick verlieren: Unsere 27 Top-Favoriten des Jahres

Einen besonderen Duft: Sechs Nischenparfüms, die den Charakter betonen  

Wissen

Wann Wein richtig Spaß macht: Der Sommelier Willi Schlögl und der Rapper Curly über geistige Hochgenüsse ohne Fachgeschwurbel

Welche Outfits überall gut aussehen: Acht lässige Winter-Looks für jede Gelegenheit – in der Stadt und in der Natur

Wie Mode-Star Philipp Plein tickt: Der deutsche „King of Bling“ im Interview über seine Erfolgsgeschichte, wilde Achterbahnfahrten und Narzissmus

Alles übers beste Stück des Mannes: Wichtige und skurrile Penis-Fakten von Autor Oliver Stöwing

Wie Sex das Internet prägte: ... und umgekehrt: Samantha Cole hat das Verhältnis von technologischem und sexuellem Fortschritt erforscht 

Wie man sich selbst ein Auto baut: Norbert Tannebaum und sein wahr gewordener Traum

Wo gute Zigarren herkommen: Tabak-Experte Stefan Gerkens erklärt den Weg von der Pflanzenaufzucht bis zum handgerollten Rauchkunstwerk  

Standards
  • Editorial

  • Impressum

  • Auftakt

  • Bezugsquellen

  • Stichwortsuche

  • Ausstieg

Unzufriedenheit ist für den gerade 60 gewordenen Hollywood-Star der ideale Grundzustand. Deshalb wird er nicht müde, sich die großen Fragen des Lebens zu stellen. Dabei ist der Titelheld unserer aktuellen „How to be a Man“-Ausagbe Brad Pitt den Antworten schon verdammt nah gekommen: fünf Lektionen in der Kunst, Erfüllung zu finden – auch wenn der Weg dorthin manchmal schmerzt

Vor 25 Jahren stand Brad Pitt am Fenster eines New Yorker Luxus­hotels und blickte hinab auf die Menschenmassen, die am Central Park entlang Marathon liefen. „Sollten wir nicht lieber dort unten sein“, seufzte er, als er sich endlich zu seiner Besucherin umdrehte, „statt in diesem Hotelzimmer zu sitzen?“

Die Besucherin war anderer Ansicht, doch der Eindruck von Brad Pitt als Mann, der Antworten auf die großen Fragen des Lebens sucht, sollte sich einprägen. Beinahe empfand sie ein wenig Mitleid, dass er für den Film „Rendezvous mit Joe Black“ werben musste, statt im New York Marathon seine körperlichen Grenzen zu testen. Melancholie kroch unter der Tür durch.

Zwei Scheidungen, sechs Kinder und zwei Oscars später ist er immer noch auf der Suche. Aber anders als damals scheint sie ihn nicht zu frustrieren, sondern zu bereichern. Mit 60 ist er dem maskulinen Ideal näher als als junges Sixpack – und neugieriger denn je.

1. Lektion, die wir von Brad Pitt lernen können: Schönheit kommt von innen

Pitt ging nie mit seinem Aussehen hausieren. Außer im PR-Auftrag für „Fight Club“, für den er sich blutig boxte in der heimischen Garage, hat er einen nie mit seiner Fitness-Routine belästigt. Keine Ahnung, wie viele Sit-ups es braucht, um mit Mitte 50 noch so ein Waschbrett zu zeitigen, wie Pitt es zuletzt ausführlich in „Once Upon A Time … In Hollywood“ präsentierte. Keine Smoothie-Rezepte oder Diäten sind im Umlauf, im Gegenteil. Essen und Essenszubereitung seien ihm eine Last, sagte er einmal, reine Zeitverschwendung, und er wünschte, man könne seinen Körper einfach mit einer Pille vollmachen wie ein Auto an der Tankstelle.

Als ihn US-Talkshow-Königin Oprah Winfrey einst fragte, wie es sei, als so schöner Mann unterwegs zu sein, guckte er sie an, als hätte sie ihm einen Hundehaufen in den Schoß geworfen. „Im Ernst?“, stöhnte er. Und sagte dann, sein Aussehen habe Vor- und Nachteile. Nachteil: Vieles würde ihm zu leicht gemacht. Das störe ihn. Er sei im Grunde nur zufrieden, wenn er unzufrieden sei. 

Das war, lange bevor sein achtköpfiges Familienglück 2016 in tausend hässliche Schlagzeilen zersprang. 

2. Lektion, die wir von Brad Pitt lernen können: Akzeptiere deine Schwächen

Über die seit nunmehr sieben Jahre andauernde Scheidungsschlacht zwischen Angelina und Brad muss nichts mehr gesagt werden. In kurz: Auf dem Rückflug von Nizza nach Los Angeles brach an Bord des Privatflugzeugs Streit zwischen den Eheleuten aus, Wein wurde verschüttet, es kam zu Handgreiflichkeiten mit ei­nem der älteren Jungs, fünf Tage später reichte Angelina die Scheidung ein. Seitdem ficht das Paar um Sorgerecht und die Anteile des französischen Weinguts Miraval, die Angelina frech an einen russischen Oligarchen verkloppte, statt sie, wie wohl vereinbart, ihrem Ex-Mann zu verkaufen.

Während sich die bunten Blättchen am Untergang des Hauses Jolie-Pitt weideten, stellte sich Brad seinen Dämonen. „Ich habe mein Privileg zu trinken verspielt“, erkannte er nach anderthalb Jahren bei den Anonymen Alkoholikern. Es ist bestimmt nicht leicht als trockener Alkoholiker mit einem Weingut in der Provence. Miraval, jenes 60-Millionen-Anwesen, das Brangelina zum Familienwohnsitz auserkoren hatte, wo die Kinder ungestört in den Parkanlagen spielen konnten, Angelina UN-Geschäfte aus ihrem von Pitt dekorierten Büro lenkte, während er glücklich durch die Reben stiefelte und den Weinbauern bei der Arbeit half. Hier unterschrieb er nach fünf Flaschen Rosé bei Quentin Tarantino; hier sollte er fortan nur noch Cran­berry Juice mit Sprudel zu sich nehmen dürfen?

„Ich kann mich an keinen Tag seit dem College erinnern, an dem ich nicht getrunken oder Pot geraucht habe“, gestand er, frisch geläutert, der „New York Times“. Statt sich seinen Gefühlen zu stellen, habe er sich berauscht. „Ich glaube“, sagte er, „das ist Teil der menschlichen Herausforderung: Entweder rennst du vor deinen Gefühlen davon, oder du lässt sie zu und wächst daran.“

Seine Erkenntnisse nach Jahren der Psychotherapie: Meine Fehler gehören zu mir. Wer Schmerz aus dem Weg geht, verpasst das Leben. Was wehtut, macht am Ende einen besseren Menschen aus uns. Und: Verlust gehört zur Liebe.

Selbst seine Tattoos sind irgendwie tiefsinnig. Einen Ötzi hat er auf dem linken Unterarm: weil ihn die Gestalt an Gemälde seines Lieblingsmalers Egon Schiele erinnerte. Und ein Zitat des persischen Dichters Rumi: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort, dort treffen wir uns.“ Dazu die Initialen seiner Kinder. Und ein Schutzgebet in Sanskrit.

Brad Pitt wirkt entspannt wie ein Mann, der weiß, dass ihm nichts mehr passieren kann

Eine neue Brangelina-Situation wird es vermutlich nie mehr geben. Zu anstrengend. Ihre zwölfjährige Beziehung war – selbst gemessen an Hollywood-Standards – der blanke Irrsinn, die vielen Kinder, das große Glück, die kaum aushaltbare Kombination aus Wohltätigkeit und Sex, Globetrotting und Glamour.

So was braucht kein Mensch noch mal. Seit dem bitteren Ende sah man wechselnde Brünette an seiner Seite, eine Kunstprofessorin war darunter und „Borchardt“-Wirt Roland Marys offene Ehefrau Nicole Poturalski. Aktuell soll Ines de Ramon seine feste Freundin sein, eine 32-jährige Schweizerin aus der Schmuckbranche, die mit einem Schauspieler aus der Serie „Vampire Diaries“ verheiratet war. Mit Ines urlaubt Brad auch mal in Cabo am Pool, statt wie mit Angelina von einem Krisengebiet zum nächsten zu hetzen. Brad Pitt wirkt entspannt wie ein Mann, der weiß, dass ihm nichts mehr passieren kann. Denn er hat vorgesorgt.

3. Lektion, die wir von Brad Pitt lernen können: Finde deinen Clan

Nichts ist wichtiger für ein langes, glückliches Leben, haben zahllose Studien bewiesen, als ein gesundes soziales Netzwerk. Egal, ob aus Freunden, Nachbarn oder Kollegen. Pitt hat bekanntlich viele Freunde unter seinesgleichen: Tarantino, Fincher, Clooney & Co.

Doch seine engsten Vertrauten fand er hinter den Kulissen. Von der 27 Jahre währenden Arbeitsbeziehung und Freundschaft zu seiner Maskenbildnerin Jean Black etwa erfuhr die Welt erst, als Pitt Anfang 2023 eine genderneutrale Hautpflegeserie aus Trauben auf den Markt brachte. „Le Domaine“, das Serum zu 385 Dollar, Flaschendesign by Brad Pitt. Bei der Lancierung musste er erklären, woher auf einmal sein Interesse an Kosmetik käme. Seine Make-up-Artistin hätte ihn darauf gebracht, erzählte er. Jean hätte dem mit Jugendakne Geplagten über die Jahre immer wieder Mittelchen empfohlen und ihn zur Gesichtspflege ermahnt. Jean war es auch, bei der er sich nach der Trennung versteckte – sie wohnt in einem unauffälligen Bungalow in Santa Monica. Die mütterlich wirkende Maskenbildnerin weiß nur Gutes über ihren Star zu sagen: „Brads Loyalität ist sehr selten in unserer Branche. Sein Manager ist sogar noch länger mit ihm zusammen als ich. Er ist einfach ein fantastischer Mensch.“

Letztes Jahr überraschte Pitt sie mit dem Umbau ihrer Garage zu einem schicken Gästehaus („Das Ding hat mich schon lange genervt“) unter der Aufsicht der TV-Show-Renovierungszwillinge „Property Brothers“. Es wurden auf beiden Seiten Tränen vergossen.

Große und kleine Gesten der Güte poppen immer wieder in Pitts zwischenmenschlichen Begegnungen auf. Wie er einem 94-Jährigen gratis Wohnrecht auf Lebenszeit gab, nachdem er mit steigender Kinderzahl alle angrenzenden Nachbargrundstücke zum Jolie-Pitt-Hauptwohnsitz in Los Feliz östlich von Los Angeles aufgekauft hatte. Der Alte lebte mietfrei in seinem Häuschen neben der Familienresidenz bis zu seinem Tod im Alter von 105 Jahren. Oder wie Pitt seinem alten Stunt-Double (aus „Fight Club“, „Troy“ und „Mr und Mrs Smith“) David Leitch seine Star-Power lieh, als der ins Regiefach wechselte: Obwohl er nur noch selten Popcornkino macht, tat Pitt seinem Kumpel Leitch den Gefallen, die Rolle des ausgelaugten Auftragskillers in „Bullet Train“ zu übernehmen. 

Oder die Nacht, als er für seinen ersten Oscar als Producer nominiert war. Und lieber die Einladung zum Spaghetti-Essen bei seinem langjährigen Freund James Gray annahm. James Gray nennt Pitt einen Freund, seit der Hollywood-Star vor Jahrzehnten sein Erstlingswerk „Little Odessa“ gelobt hatte und die beiden beschlossen, irgendwann einmal was zusammen zu machen. Daraus wurde 2019 „Ad Astra“. Grays Frau, die als Einzige die Verleihung im Nebenraum verfolgte, sah, dass „12 Years A Slave“, produziert von Pitts Produktionsgesellschaft Plan B, den Oscar als Bester Film gewann. Der prestigeträchtigste Oscar, den es gibt für einen Produzenten. Wozu Pitt nur gesagt haben soll: „Oh, cool.“ 

In den bald 40 Jahren seines Schaffens als Schauspieler und später Produzent versuchte sich Brad Pitt nebenher als Schmuckdesigener, Architekt, er entwarf Möbel, lernte beim britischen Bildhauer Thomas Houseago, Skulpturen zu formen (gut genug, um 2023 im Sara Hildén Art Museum in Tampere, Finnland, ausgestellt zu werden), und hat jetzt auch noch eine Kaschmirkollektion herausgebracht. Darunter Holzfällerhemden mit Knöpfen aus Heilsteinen. Kostenpunkt: um die 2000 Dollar. Sie waren sofort ausverkauft.

Hollywood-Star Brad Pitt: „Am Ende geht es nur um Gemeinschaft. Um Austausch. Geben und Nehmen“

Man muss diesen kreativen Ausdrucksdrang bewundern. Kunst kann auch berauschen. Brad Pitt scherzt gerne, dass ihn die Schauspielerei langsam langweile und ihn bestimmt bald keiner mehr sehen wolle. So oder so darf er dem Alter entspannt entgegensehen. Sein Leben ist erfüllt. 

Letzten Sommer beherbergte Pitt ein halbes Dutzend Freunde auf Schloss Miraval, und alle gingen ihren jeweiligen Talenten nach. Musik (im Studio Miraval haben schon Pink Floyd 1979 „The Wall“ aufgenommen), Malen, Bildhauerei, Mode. Abends hätten sich alle zum Essen und zu Gesprächen getroffen. Es war das Paradies. „Ich habe immer von einer Künstlerkolonie fantasiert“, sagt Brad Pitt, und man ahnt, dass der Scheidungsstreit um Miraval auch deshalb so erbittert ist, weil es nicht nur um Wein und Champagner geht, sondern um einen Lebenstraum. 

„Wie verbringen wir unsere Zeit, wofür mühen wir uns so ab, was wollen wir vom Leben?“, sind die Fragen, die ihn immer drängender umtreiben. Seine Erkenntnis: „Am Ende geht es nur um Gemeinschaft. Um Austausch. Geben und Nehmen.“

4. Lektion, die wir von Brad Pitt lernen können: Danke deinem Glück

Viele Kollegen von Pitt behaupten, allein ihr Wille und „harte Arbeit“ haben zu ihrem Ruhm und Reichtum geführt. Andere glauben gar, sie seien „blessed“, gesegnet, von Gott auserwählt. Nur Pitt, der aus einer erzfrommen Familie in Missouri kommt, gibt zu, dass seine Karriere reines Glück war. Ein Lottogewinn.

Schaut man sich seine jüngeren Geschwister an, Doug und Julie, muss man ihm zustimmen. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar, beide haben die volle Unterlippe ihres berühmten Bruders und die verschmitzten Augen, aber bei der Verteilung der Wangen- und Kinnpartie hat Gott gegeizt. Die beiden sehen aus wie die braven Kirchgänger, die sie sind. Bemerkenswert, dass sie nie aus Missouri herausgekommen sind. Noch bemerkenswerter, dass keiner von beiden je versuchte, sich im Glanz des großen Bruders zu sonnen. 

Keanu Reeves’ Schwester arbeitet als dessen Asssistentin, Tom Cruise ließ sich von seiner Schwester managen, Johnny Depps Schwester verwaltet die Finanzen, Leo­nardo DiCaprio fragt immer noch Mama um Rat. Dagegen hat man Pitts Schwester Julie noch nie bei einem Event gesehen und seinen Bruder Doug nur selten. Nicht weil die Familie zerstritten wäre, davon zeugen Bilder von Familienfesten auf Julies Instagram-Account, die eindeutig im Garten der Pitt’schen Strandvilla bei Santa Barbara aufgenommen sind – nur der Hausherr ist nie im Bild. Weil Brad Pitt, der Hollywood-Star, so fehl am Platz wäre in Julies Fotogalerie wie sie auf dem roten Teppich.

Es kann nicht einfach gewesen sein, aus einem konservativen Baptistenhaushalt nach Hollywood auszubrechen. Und es erklärt vielleicht, warum der aus der Art geschlagene Sohn so unermüdlich ist. Eine Art „survivor’s guilt“. Warum ich? Er war nur ein paar hundert Chromosomen und eine kantige Kinnpartie von einem beschaulichen Leben in Springfield/Missouri entfernt.

Im Rückblick ist es bloß eine amüsante Anekdote, wie er mit 22 in seinem alten Datsun mit 325 Dollar in der Tasche in L. A. aufschlug. Den Eltern hatte er erzählt, er wolle Art Director bei einem Magazin werden. Glaubhaft. Immerhin hatte er ein paar Semester Journalistik studiert. Einfach kann es nicht gewesen sein.

Jahre vergingen, in denen er seine Schauspielstunden finanzierte, indem er Stripperinnen durch die Stadt chauffierte und, als Huhn kostümiert, für Chicken Nuggets Werbung machte. Die fromme Familie ahnte nichts.

Der Höhepunkt seiner frühen Karriere war ein Auftritt in der Fernsehserie „Dallas“, wo er, wortarm, doch lecker anzusehen, im Heu herumtollte. Das Vorspiel zu „Thelma & Louise“.

5. Lektion, die wir von Brad Pitt lernen können: Lass dein inneres Mädchen zu

Regisseur Ridley Scott findet, der Moment, in dem Pitt mit dem Föhn auf Geena Davis zielt, sei das Ende von William Bradley Pitt aus Missouri gewesen und die Geburt von BRAD PITT. Der Kultfilm von 1991 markierte aber noch etwas Wichtigeres. 

Die Szene, für alle, die „Thelma & Louise“ nicht vor Augen haben, ist in der Mitte des Films, als J.D. (Brad Pitt) unter dem lüsternen Blick von Geena Davis einen Reiseföhn aus seinem Hosenbund zieht und damit he­rumwedelt wie mit einer Knarre. Die gegensätzliche Botschaft dieser Geste – der feminin besetzte Haartrockner gegen die phallische Pistolensymbolik – ist entscheidend für das Image, das Brad Pitt verkörpern sollte. Die Rollen waren vertauscht. Seine Bereitschaft, sich zum Objekt zu machen, gefiel Frauen und beunruhigte Männer, besonders die mächtigen Männer in Hollywood, die ihn als Schauspieler nicht ernst nahmen. Er musste sich erst über sich lustig machen (wie in „Snatch“), bevor sie über seinen Sex-Appeal hinwegkamen. Bis heute hat Pitt keinen Oscar für die beste männliche Hauptrolle gewonnen. Eddie Redmayne dagegen schon. Just sayin’. 

Brad Pitt ließ sich nicht nur im Film auf die weibliche Rolle ein, auch privat hatte er offenbar kein Problem damit, sich seinen jeweiligen Partnerinnen anzupassen. Er frisierte sich wie Gwyneth Paltrow, trug Partnerlook mit Jennifer Aniston, folgte Angelina nach Afrika. Seiner Männlichkeit tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil. In den frühen 90ern, als Harvey Weinsteins Macht als Oscar-Macher so groß war, dass sich keiner was gegen seine Übergriffe zu sagen traute, war Brad Pitt einer der wenigen, die es mit ihm aufnahmen. Ihm gar Prügel androhte, wenn er nicht die Finger von seiner Freundin Gwyneth ließe, die angewidert, doch abhängig war (Weinstein produzierte zwei Filme, in denen Paltrow die Hauptrolle spielen sollte).

Brad Pitt war schon authentisch, bevor das zum Modeattribut verkam

„Och, ich war nur ein Junge aus den Ozarks“ (dem Hinterwald von Missouri), sagte Pitt, als ihn die „New York Times“-Reporterinnen, die den Weinstein-Skandal aufgedeckt hatten, lobend erwähnten. „Prügeln auf dem Spielplatz war halt die einzige Art von Konfrontation, die ich kannte.“ Pitt war schon authentisch, bevor das zum Modeattribut verkam.

„Mein Vater ist bettelarm aufgewachsen“, sinnierte Pitt in einem seiner letzten Fernsehinterviews, bevor der Schauspielerstreik alles lahmlegte in Hollywood. „Was ihn antrieb, war, dass wir es einmal besser haben. Ich frage mich, was ich tun kann, damit meine Kinder es besser haben.“ Die Frage ist längst beantwortet. Mach’s wie Daddy.