Von Krisha Kops
Frauen kommen vom Planeten Venus. Männer vom Mars. Auf dem Mars sind die Flüsse aus Bier, gelegentlich auch aus Whisky – Single Malt, versteht sich. Die Berge sind aus zartem Steak. Ansonsten ist hier alles selbst gebaut, gemeißelt, gedachdeckert. Bartwuchs ist obligatorisch. Die Venus hingegen ist ein rosa Planet, auf dem Flüsse aus Rosé mäandern und Berge aus Schokolade wachsen. Der größte Unterschied aber besteht darin, dass auf der Venus gelesen wird. Gedichte, Belletristik, Biografien, Zeitschriften. Oder John Grays Buch „Men Are from Mars, Women Are from Venus“, dessen Titel zum geflügelten Wort aufstieg, während die Geschlechterunterschiede zu Klischees verkamen.
Alles Unsinn also? Nein, nur fast. Denn Männer lesen tatsächlich – mal abgesehen von Gebrauchsanweisungen, Fußballergebnissen und Nachrichten – so gut wie gar nicht. Um genau zu sein: 0,6 Bücher pro Jahr. Null Komma sechs! Praktisch keins. Das ist nicht gut. Wir sollten uns ein Beispiel nehmen an den Frauen.
Warum? Als Leser dieser Zeilen dürften Sie zu jenem erlesenen Kreis von Männern zählen, der die Antwort erahnt und mindestens zeitweise, jedenfalls jetzt gerade, das Smartphone, Twitter, Börsenkurse & Co. links liegen lässt, weil Lesen für Sie mehr ist als blanke Informationsaufnahme. Wir wetten, Sie wissen um die Welten, die zwischen Nachricht und Gedicht, Meinung und Roman liegen und welche der genannten Lektüre- und Lesarten vom Aussterben bedroht ist. Vielleicht haben Sie sogar eine eigene Rettungsstation – eine Büchersammlung? Falls nicht, hier ein paar gute Gründe, sich eine zuzulegen.
Eine Bibliothek sieht gut aus. Und es soll auch schon das eine oder andere Mal vorgekommen sein, dass sich eine Herzensdame beim spontanen nächtlichen Besuch nach den Büchern des Hausherrn umgeschaut hat, um auf das Einfühlungsvermögen der potenziellen Übernachtungsmöglichkeit zu schließen. Und dass sie – wenn sie keine Bücher oder lediglich den Pick-up-Artist-Guide entdeckte – schlagartig die Flucht ergriff.
Unbelesenheit macht unsexy
Belesenheit auf der anderen Seite ist der Waschbrettbauch unter den Persönlichkeitsmerkmalen. Das wissen auch die iranischen Kollegen, die noch heute das andere Geschlecht mit Gedichten von Hafis und Konsorten umwerben. Oder warum nicht, wenn sich denn die Gelegenheit bietet, ein Gedicht von E. E. Cummings zitieren? „Lady, I will touch you with my mind.“ (Lady, ich wer- de Sie mit meinem Geist berühren.) Oder Sie brillieren mit dem Wissen aus dem Sachbuch „Klick! Mich! An! Der große Online-Sex-Report“ über das Sexualverhalten geschlechtsreifer Großstädter, wo es heißt, die weibliche Sexualität würde vor allem durch Narrative angeregt. Ob damit die Narrative eines Romans oder die Ihrer Begegnung gemeint ist, sei Ihnen überlassen.
Wer nicht zu erzählen versteht, bleibt als Person unsichtbar. „Sprich, damit ich dich sehe“, sagte Sokrates einst zu einem angehenden Schüler. Und wer sich nichts erzählen lässt, mutiert mit der Zeit zum Diktator der eigenen Ansichten. Gefangen von der übermächtigen Relevanz seiner Alltagsbedürfnisse.
Ein Buchhalter statt ein Homme de lettres. Spielt das Schicksal so einem Kerl dann doch mal erhellendes Schriftgut in die Hand, kann sich eine geradezu kopernikanische Wende vollziehen: Plötzlich erkennt er, dass es auch andere Weltsichten gibt, andere Wahrheiten als die eigenen und er selbst mit seinen Überzeugungen so wenig der Mittelpunkt des Universums ist wie sein Wohnort, die Erde.
Was wir von Sokrates und Co noch lernen können
Durchs Lesen kann man beispielsweise erfahren, dass es die Aufklärung ohne den Islam und muslimische Philosophen wie Ibn Ruschd, auch Averroës genannt, wahrscheinlich nicht gegeben hätte. Dass Goethe seine Gedichtsammlung „Westöstlicher Divan“ inspiriert durch den bereits genannten persischen Dichter Hafis verfasste. Oder dass man die Gabel schon lange im vorderasiatischen Raum benutzte, bevor sie in die Hände der „kultivierten“ Europäer gelangte. Schon ist es um einiges schwieriger, ein ignoranter, chauvinistischer oder rassistischer Idiot zu sein.
Gerade in Zeiten des Internets, in denen Copy- and-Paste-Meinungen allgegenwärtig sind, ist literarisches Lesen vonnöten, damit wir den Parolen der Trumps dieser Welt nicht anheimfallen, sondern sie beim Wort zu nehmen verstehen. Lesen macht uns nun einmal intelligenter, was uns wiederum zu interessanteren, fähigeren, umsichtigeren, weniger leichtgläubigen, toleranteren und besseren Chefs, Vätern, Mitbürgern oder einfach nur Menschen macht. Meistens zumindest.
Belesenheit ist der Waschbrettbauch unter den Persönlichkeitsmerkmalen
Der Experimentalpsychologe Steven Pinker argumentiert in seinem Buch „Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit“, dass wir durch die Gutenberg’sche Revolution, also die Erfindung des Buchdrucks, zunehmend in der Lage waren, uns in andere Menschen hineinzuversetzen. Dadurch sei wiederum die Gewaltbereitschaft gesunken. Wenn wir lesen, erhöhen wir also die Wahrscheinlichkeit, die cholerischen Anfälle unseres Vorgesetzten zu verstehen, ohne ihm gleich die Krawatte drei Nummern enger ziehen zu wollen.
Und es hilft sicherlich auch in Beziehungen, wenn wir die Capricen unserer Liebsten besser nachvollziehen können. Selbst wenn man sich dazu manchmal erst durch „Madame Bovary“, „Effi Briest“ und die gesammelten Werke von Jane Austen gelesen haben muss. Vielleicht entdeckt man dabei sogar in sich selbst eine sentimentale Seite, die großen Gefühle, die unter all den Splatter-Action- Horror-Filmen in Vergessenheit geraten sind. Aber halten Sie sich bitte später nicht vor lauter Leidenschaft à la Werther die Pistole an die Schläfe.
Nein, das tun Sie sicherlich nicht. Bereits Aristoteles meinte, dass man besonders durch das Erleben von Jammer und Rührung, Schrecken und Schauder in der Tragödie eine Katharsis erfahre – eine innere Reinigung, durch die wir unsere Gefühle besser verstehen und handhaben lernen. Anstatt übersentimental zu werden, verfeinern wir unser Empfinden und werden bewusstere Genießer.
Lesen macht also nicht nur die Wohnung schöner und einen One-Night-Stand wahrscheinlicher. Nein, es macht Männer auch intelligenter, interessanter, selbstreflektierter, einfühlsamer, empathischer und lässt sie weniger wahrscheinlich zu einem Mini-Stalin mutieren. Hoffen wir also, dass es auf Planet Mars bald mehr als ein halbes Buch gibt. Und klar: Das Playboy-Abo sollte auch nicht fehlen.
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