Auf den Kurven von Silverstone bricht der über 55 Jahre alte Aston Martin genauso leicht aus wie James Bond aus der Gefängniszelle eines Superschurken. Der Asphalt ist noch etwas nass vom Regen der vergangenen Nacht, sowohl die Kupplung als auch der 286 PS starke Reihensechszylinder reagieren sensibel auf die Pedale. Ganz abgesehen davon, dass ich es nicht gewohnt bin, rechts zu sitzen und mit links zu schalten. Nur mühsam schaffe ich es, dem anderen DB5 vor mir zu folgen. Obwohl das genau genommen gar kein DB5 ist, sondern eine von insgesamt acht Stunt-Replikas, die Aston Martin speziell für den neuen James-Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ angefertigt hat. Am Steuer: Mark Higgins. Ursprünglich Rallye-Fahrer, zählt er heute zu Hollywoods gefragtesten Stunt-Drivern.
Seit „Ein Quantum Trost“ war er am Set jedes Bond-Films, und seit „Spectre“ vertritt er sogar Daniel Craig persönlich vor der Kamera. Beim nächsten Boxenstopp nutze ich meine Chance und schnappe ihn mir für ein kurzes Gespräch:
Mr Higgins, was ist der Unterschied zwischen diesem Original-DB5 hier und dem Stunt-Car, das Sie gerade gefahren sind?
Von außen sind beide völlig identisch, aber das Stunt-Car besitzt eine professionelle Rallye-Federung und Bremsen, eine moderne Servolenkung und eine hydraulische Handbremse. Außerdem wurde auf alles verzichtet, was irgendwie Gewicht verursacht. Die Karosserie besteht vollständig aus Carbon, das ganze Fahrzeug wiegt nur 1000 Kilo. Zusammen mit dem über 300 PS starken Motor konnten wir dadurch Dinge mit dem Wagen anstellen, die mit dem Original niemals möglich gewesen wären.
Wie die fantastische Verfolgungsjagd, die man im „Keine Zeit zu sterben“-Trailer sieht?
Für die wenigen Minuten im Film haben wir rund sieben Wochen in Italien gedreht, in einem kleinen Ort namens Matera. Die Bedingungen waren ziemlich schwierig. Das Kopfsteinpflaster dort war so glatt, vom Grip-Level vergleichbar mit Eis. Wir konnten das Problem nur lösen, indem wir Coca-Cola auf die Straße gesprüht haben.
Coca-Cola?
Ja, das Zeug ist sehr klebrig. Wir ließen die Cola circa 20 Minuten in der heißen Sonne auf den Boden einwirken, danach hatten die Reifen fast doppelt so viel Bodenhaftung wie vorher. Kommen Sie, steigen Sie ein, ich demonstriere Ihnen das mal.
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Während ich soeben am Steuer in jeder Kurve versucht hatte zu vermeiden, dass das Heck ausbricht, lässt Higgins den Wagen absichtlich driften. Notfalls hilft er mit der riesigen hydraulischen Handbremse nach, die sich links neben dem Lenkrad befindet. Im Gegensatz zu den aufwendigen Armaturen im Originalwagen gibt es im Inneren des Stunt-Car nur das Allernötigste. Ich blicke nach unten in Richtung Mittelkonsole. Doch vergeblich suche ich die Knöpfe und Kippschalter aus dem Film, mit denen Bond die Maschinengewehre hinter den Blinkern bedient hat.
Und wo kann ich jetzt die Gatling-Kanonen aktivieren?
Das geht in diesem Stunt-Car nicht. Von den acht Replikas wurden nur zwei mit Gatling-Kanonen hinter den Scheinwerfern ausgestattet.
Ach, die Kanonen waren echt? Ich dachte, das wird alles am Computer generiert …
Nein, fast alles, was man im Film sieht, wurde auch so am Set gedreht. Da ist alles echt. Ich war es sogar selbst, der den Knopf für die Gatlings gedrückt hat. Genau wie in „Spectre“, da habe ich im DB10 auch den Flammenwerfer aktiviert. Das hat sich schon sehr nach James Bond angefühlt.
Das klingt in der Tat nach einem Traumberuf. Wie wird man professioneller Stunt-Driver?
Also eigentlich komme ich aus dem Rallye-Sport. Mit zwölf Jahren fing ich an mit Kart-Rennen. Dann, nach der Schulzeit, arbeitete ich zunächst drei Jahre als Versicherungsmakler. Praktischer-
weise lag das Büro eines Rallye-Veranstalters direkt über meinem. Alle wichtigen Leute gingen da ein und aus, und darüber lernte ich dann eher zufällig jemanden kennen, der mir meinen ersten Sponsorenvertrag anbot.
Wie kamen Sie dann vom RallyeFahren nach Hollywood?
Ich fahre immer noch Rallyes, das ist nach wie vor meine Leidenschaft. Aber meine Karriere als Stuntman begann mit dem Film „Ein Quantum Trost“. Ein Freund und Kollege von mir, Ben Collins, fragte mich damals, ob ich Zeit und Lust hätte. Denn bei der Einstiegsszene des Films gab es diese Verfolgungsjagd durch einen Steinbruch, und da ein Großteil der Strecke auf kiesigem Boden war, suchten sie jemanden mit Rallye- und Drift-Erfahrung.
Wie ging es dann weiter?
In „Skyfall“ steuerte ich den Land Rover, den im Film Naomie Harris alias Miss Moneypenny fährt. Das war eine extrem lange Verfolgungsjagd, wobei der Land Rover erst einem Motorrad und dann
einem Zug folgen muss. Ich kann mich noch erinnern, an einer Stelle fallen aus dem Zug mehrere VW Beatle heraus, und ich musste den Autos innerhalb von Sekunden ausweichen. Das war gar nicht so einfach, wie es im Film aussah.
Doch der Höhepunkt Ihrer Karriere war vermutlich, als Sie in die Rolle von Bond selbst schlüpften?
Ja, das ist richtig. In „Spectre“ doubelte ich Daniel zum ersten Mal, da gab es zum Beispiel eine Verfolgungsjagd durch die engen Straßen Roms. Irgendwo in der Mitte der Szene driftete ich seitwärts mit knapp 140 km/h am Vatikan vorbei, nur ein paar Hundert Meter vom Papst entfernt. Dafür haben wir gefühlt halb Rom abgesperrt. Aber auch in „Keine Zeit zu Sterben“ wird es sehr viele spektakuläre Stunts geben.
Wie um seine Aussage zu unterstreichen, legt Higgins noch einmal eine Schippe aufs Gaspedal drauf und grinst verschmitzt. Als wir auf der Zielgeraden knapp 240 km/h erreichen, bete ich, dass in diesem Schalthebel kein versteckter Knopf für den Schleudersitz verbaut wurde.
Haben Sie beim Drehen eigentlich manchmal Angst, so ein teures Auto zu Schrott zu fahren?
Während eines Stunts hat man keine Zeit zu denken. Man sieht das Auto als Filmrequisit. Wenn man die ganze Zeit über den Wert des Wagens nachdenkt, kommt dabei eine sehr langweilige Verfolgungsjagd heraus.
Was war Ihr persönliches Highlight im neuen James-Bond-Film?
Also die Verfolgungsjagd in Schottland war sehr spektakulär, aber am coolsten waren definitiv die Szenen in Italien mit dem alten DB5. Ich meine: ein Aston Martin – mehr James Bond geht nicht.
Ich wusste gar nicht, dass der Film auch in Schottland spielt.
Also im Film wird das auch Norwegen sein, aber gedreht haben wir in Schottland.
Welche Autos außer dem DB5 haben Sie noch im neuen Film gefahren?
Eine kleine Strecke bin ich auch mit diesem Hypercar (Aston Martin Valhalla, d. Red.) gefahren, ich bin mir aber nicht sicher, ob das im Film vorkommen wird. Außerdem bin ich den alten V8 Vantage für einen Tag in London gefahren. Und dann gab es da eben noch diese riesige Verfolgungsjagd in Norwegen, also Schottland: Bond wird da von einer ganzen Horde Land Rover Defender gejagt, die nur so um mich herumfliegen.
Also immer wenn man Craig fahren sieht, sind das eigentlich Sie?
Wenn Daniel losfährt oder noch ein paar Sätze spricht, ist es natürlich er selbst. Aber während der Stunts fahre ich. Und manchmal filmen wir ihn in einem Pod-Car.
Was ist ein Pod-Car?
An einem Set gibt es mehrere Fahrzeugtypen: Mit den Hero- Cars werden die statischen Close-up-Szenen der Schauspieler gemacht. Dann gibt es Stunt-Cars wie dieses hier, damit werden die Sprünge und Drifts gemacht. Und die letzte Kategorie sind die Pod-Cars. Das sind umgebaute Autos, bei denen der Schauspieler in der Fahrerkabine sitzt und so tut, als würde er lenken. In Wirklichkeit wird das Fahrzeug aber von einem Stunt-Driver gesteuert, der oben auf dem Dach sitzt.
Mit diesen Worten lenkt Higgins den Wagen wieder in die Boxengasse. Etwas verschwitzt und schwerfällig krabble ich aus den ultraleichten Carbon-Sitzen und dem Überrollkäfig nach draußen.
Vielen Dank für die Ausfahrt. Eine letzte Frage: Was steht als Nächstes bei Ihnen an?
Ich muss tatsächlich gleich los, man erwartet mich bereits heute Nachmittag zum neuen Batman-Film. Mehr darf ich dazu leider nicht sagen.
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Unser Autor testete den Wagen auf Einladung des Herstellers
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