Die Einweisung für uns Fahrer vor Werk 1 in Stuttgart dauert ungewöhnlich lange. Das liegt nicht an Erklärungen über die Knöpfe und Schalter im neuesten Porsche 911 – die unterscheiden sich nicht von denen in anderen 911ern. Nein, es liegt am Dach. Ist der heutige Cabriolet-Fahrer es gewohnt, dass sich das Softtop komplett elektrisch öffnet und schließt, muss er beim brandneuen Porsche 911 Speedster selbst Hand anlegen. So will es die Speedster- Tradition. Und im Namen dieser Tradition sind wir heute unterwegs und brechen in Stuttgart mit dem neuesten Modell auf Richtung Gotthardpass, um seine Vorfahrenmodelle bis zum Ur-Speedster von 1952 bei einem Familiengipfel zu treffen.
Zur Vorbereitung ein kurzer Blick ins Stammbuch: Wer sind sie eigentlich, diese Speedster? Angefangen hat die Saga in den USA. Dort kam im Jahr 1952 der Urvater dieser Karosserievariante heraus, ein 356 America Roadster. Das US-Sondermodell wog dank Alu- Karosserie 160 Kilo weniger als Porsches Ursportler, der normale 356, es hatte 70 PS unter der Haube und erreichte 180 km/h – war zunächst aber so teuer, dass nur 16 Stück verkauft wurden.
Doch Max Hoffmann, Porsches Verkaufsgenie in den USA, erkannte das Absatzpotenzial, das eine preisgünstigere Variante haben würde. Also baute man ab 1954 eine vereinfachte Form aus Stahlblech für 2995 Dollar. Das Notverdeck – nur ein besserer Regenschirm für die ganz nassen Gelegenheiten – störte besonders in Kalifornien niemanden, die flache Frontscheibe galt als sportlich, die karge Ausstattung wurde schnell Kult. Sein Name: „Speedster“.
Besser konnte man das Thema Geschwindigkeit kaum verpacken. Die erste Speedster-Welle gipfelte im Jahr 1957 im 356 A 1500 GS Carrera GT Speedster, der dank 110 PS der erste Porsche war, der die 200-km/h-Grenze knackte. Insgesamt 4822 Stück des 356 Speedster wurden gebaut – so viele hat Porsche von einer Generation später nie wieder aufgelegt. Heute werden sie kaum noch gehandelt – und wenn, müssen nahezu astronomische Beträge hingeblättert werden.
Auch der neue Speedster ist mit einem Kaufpreis von 269.274 Euro alles andere als ein Schnäppchen. Das liegt vor allem daran, dass in Erinnerung an das Geburtsjahr von Porsche nur 1948 Stück gebaut werden sollen. Ein absolutes Sammlerstück also. Kein Wunder, dass der neue Speedster schon lange vor Produktionsstart ausverkauft war. Und insofern eine besondere Ehre, dass wir zu den wenigen Auserwählten zählen, die überhaupt damit fahren dürfen.
Entsprechend euphorisch fühlt sich das erste Gasgeben auf der A 81 an. Die Lenkung ist so kalibriert, wie der Sportwagenfahrer das gern mag – fast mühelos lassen sich die knapp 1,5 Tonnen wenige Stunden später zielgenau durch die Bergkurven steuern. Beim Gangwechsel glaubt man, eine einrastende Mechanik zu spüren, der Motor übersetzt sofort jedes leichte Zucken des Gasfußes als Befehl zur Tempoänderung.
Das alles geschieht so unaufgeregt wie nachdrücklich, so eindrucksvoll wie perfekt. Zu perfekt? Ansichtssache. Dank der modernen Plattform besitzt das Auto eine hohe Steifigkeit – trotz fehlenden Dachs wohlgemerkt – und hält damit stets den Kontakt zur Straße. So muss der Pilot nicht kämpfen, sondern kann jede Spritztour genießen – egal, bei welchem Tempo. Eine weitere Besonderheit des brandneuen Speedster: Erstmals seit den 50er-Jahren basiert er wieder auf einem GT-Modell, in diesem Fall stand zu großen Teilen der 911 Carrera GT3 (Typ 991) Pate.
Nach den 50er-Jahren war erst mal Schluss mit dem Speedster. Die zweite Generation auf Basis des G-Modells folgte erst im Jahr 1988: eine Neuentwicklung, die erstmals mit einer Heckklappe die später so legendären zwei Buckel andeutete, die den Look aller folgenden Speedster-Modelle dominieren sollten. Immerhin war das Verdeck der rund 2100 gebauten Sportwagen jetzt wasserdicht.
Die ersten Exemplare mit 231 PS, damals noch ohne Kat, lagen bei einem Preis von 110.000 Mark. Die dritte Generation folgte sechs Jahre später und kostete schon 131.500 Mark. Mehr als 900 Stück des 250-PS-starken Frischluft-Porsche entstanden damals. Beim Komfort mussten die Eigner jedoch noch deutliche Abstriche machen: Klimaanlage, elektrische Fensterheber und anfangs sogar Airbags waren auch gegen Aufpreis nicht zu haben. Solche Features verwässerten erst später die ursprünglich puristische Speedster-Idee.
Kurz vor dem Schweizer Gotthardpass klart das bis dahin eher feuchte Wetter auf, und das Dach kann runter. Gut, dass man bei den hohen Kurvengeschwindigkeiten, die der Speedster gestattet, tief im Auto sitzt. Auch wenn man bei komplett geöffneten Fenstern dem Fahrtwind nicht unbedingt stärker ausgesetzt ist als im normalen 911 Cabrio. Nur deutlich stilvoller. Fotograf Stephan Bogner, mit dem wir hier oben auf rund 2000 Meter Höhe verabredet sind, weil er den Speedster für sein neues Buch fotografieren will, hat fürs Shooting alle Speedster-Generationen anrollen lassen, die je gebaut worden sind.
Beziehungsweise fast alle. Denn die vierte Auflage auf Basis des Porsche 993 fehlt leider, von ihr existieren nur zwei Exemplare: Ein grünes mit Tiptronic und 17-Zoll-Rädern hat Porsches Exclusive-Abteilung 1995 für Ferdinand Alexander Porsche höchstpersönlich konstruiert, und das zweite – ein silbernes, basierend auf dem turbobreiten 4S-Modell mit 18-Zoll-Felgen und manueller Schaltung – ging an US-Comedian und Porsche-Enthusiast Jerry Seinfeld.
Dafür ist die ebenfalls seltene fünfte Generation aus dem Jahr 2010 auf Basis des Typs 997 mit dabei. Sie war streng limitiert auf 356 Stück. Entsprechend hoch war die Nachfrage nach dem luftigen Sportler. Er besaß eine 60 Millimeter niedrigere und deutlich geneigtere Frontscheibe, ein ausgeprägtes Doppelhutzenheck und 408 PS – bei einem Preis von 201.682 Euro aufwärts.
Der sechste und neueste Speedster auf Basis des Typs 991, mit dem wir aus Stuttgart kommen, ist allerdings der technisch hochwertigste, schnellste und teuerste aller Zeiten. Nicht nur Porsche-Kenner schauen uns hinterher – zumal Bogners Modell obendrein mit dem 21.634 Euro teuren Heritage-Paket ausgestattet ist: zweifarbiges Leder innen, goldfarbene „Speedster“- Schriftzüge wie beim Ur-Speedster und auf Tür und Haube die Startnummer 48 (wählbar von 01 bis 99) – passend zum Porsche-Geburtsjahr 1948.
Von Hinterachslenkung über dynamische Motorlager und Active Suspension Management bis hin zum Stabilisierungssystem PSM und Torque-Vectoring: Die Zuffenhausener Ingenieure haben ihn mit allen elektronischen Feinheiten ausgestattet, die Porsche zu bieten hat. In den 20-Zöllern arbeiten Keramikbremsen, die Insassen bequemen sich auf Carbon-Sitzen. Das Sahnehäubchen aber sitzt ganz hinten: der 4-Liter- Saugmotor mit 510 PS.
Passiert der Motor erst einmal die 4000 Touren, kann man ein Dauergrinsen nur noch schwer vermeiden, noch heftiger wird es ab 6250 Touren, wenn der Wagen sein maximales Drehmoment von 470 Newtonmetern erreicht. Schluss ist erst bei fantastischen 9000 Umdrehungen.
Das macht übrigens keinen Lärm, sondern Spaß – die akustische Begleitung ist (zumindest für alle verbliebenen Fans von Verbrennern) gigantisch, der Sprint in lächerlichen vier Sekunden von 0 auf 100 km/h auch. Erst bei 310 km/h hört der Vorwärtsdrang auf. Eine Spur von Purismus findet sich allerdings noch im Getriebe – das Auto gibt es nur mit handgeschalteter 6-Gang-Box.
Dafür kann man aber eine Funktion zuschalten, die beim Gangwechsel dank elektronischem Zwischengasstoß den Drehzahlabfall verhindert. Das brauchen wir aber nicht, da wir den restlichen Tag brav in Kolonne rollen und für Stephan Bogners Foto-Shooting posieren. Die einzige schwere Prüfung wartet am Ende dieses Tages auf uns: Wir müssen den Speedster wieder vor Werk 1 abgeben. Einmal den Höhenflug zu genießen und dann wieder zurück zu müssen fühlt sich an wie eine Strafe. Ja, auch wir Auserwählten haben es nicht leicht ...
Unser Autor testete den Wagen auf Einladung des Herstellers.
Geschwindigkeit
310 km/h
Leistung
510 PS
Drehmoment
470 NM
0–100 km/h
4,0 Sekunden
Hubraum
3996 ccm
Gewicht (DIN)
1465 kg
Preis
269.274 Euro
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