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Auch wenn Rom ansonsten gewiss nicht arm an Sehenswürdigkeiten ist – an diesem hitzeflirrenden Sommertag heißt die Attraktion in den Straßen von Trastevere eindeutig: Oliver Masucci. Durch seine Rollen in den Netflix-Serien "Dark" und "Tribes of Europa" sowie seinen Part als Kunstprofessor im oscarnominierten Kinofilm "Werk ohne Autor" ist der deutsche Schauspieler mit den italienischen Wurzeln längst auch international bekannt. In den letzten Monaten reise er für Filmproduktionen in die USA und nach London, gerade ist er für Dreharbeiten an der TV-Fassung von Frank Schätzings "Der Schwarm" in Italien und hat an seinem freien Tag Zeit für Playboy und seine Fans: Die vielen Ist-das-nicht...?-Blicke und Selfie-Wünsche nimmt der 52-Jährige genauso gelassen wie unser Mode-Shooting mitten auf zentralen Plätzen und Brücken der Ewigen Stadt. Weiß dabei aber ziemlich genau, was er gerne trägt und was nicht ...
Herr Masucci, Sie sind in Deutschland aufgewachsen, haben aber italienische Wurzeln: Auf welche Seite schlägt Ihr Stil-Kompass aus?
Mein Stil ist schon relativ italienisch. Ich mag klassische Sachen, die nicht schlank geschnitten sind – ich bin kein Freund von diesem Slim-Zeug. Man braucht doch ein bisschen Platz. Hier in Rom laufe ich gerade wahnsinnig gerne in hellen Chino-Shorts herum, wobei ich abends im Restaurant natürlich eine lange Hose trage. Auch das ist sehr typisch: Italiener gehen nicht in kurzer Hose essen.
Welches ist das italienischste Kleidungsstück, das Sie besitzen?
Das authentischste ist ein schwarzer Schlips, den mein inzwischen verstorbener Onkel Athuro Masucci in Italien als junger Mann meinem Vater, also seinem kleinen Bruder, geklaut hat. Weil er ihn zum Kellnern gebraucht hat. 45 Jahre später hat mein Onkel ihn mir zurückgegeben und gesagt: „Den schulde ich noch deinem Papa.“ Dieser Schlips ist mittlerweile bestimmt 60 Jahre alt.
Und Sie tragen ihn noch?
Tatsächlich ab und zu. Auch weiße Turnschuhe sind für mich übrigens typisch italienisch. Die waren da schon in den 80ern in Mode, und seither habe ich sie konsequent weiter getragen, auch wenn mich die Leute gefragt haben, wie ich so was anziehen kann. Aber ich habe gesagt: Wartet mal ab. Und weiße Strümpfe finde ich gut! Also, natürlich keine Tennissocken, sondern feine Baumwolle, ganz glatt. Und dazu schwarze Schuhe und ein schwarzer Anzug. Schwarz-Weiß, das ist für mich italienisch! Die Farben einer meiner ganz frühen Kindheitserinnerungen.
Woran genau?
Mein Vater, der in vielen verschiedenen italienischen Restaurants gejobbt hatte, brauchte einen festen Job, als ich klein war, und wurde deshalb Oberkellner in der Kantine bei Hertie in Bonn. Sogar in dieser Kantine ist er immer mit einem gebügelten Hemd, einer schwarzen Krawatte, einem schwarzen Anzug und schwarzen Schuhen aufgetreten. Ich erinnere mich, wie meine Mutter seinen Anzug morgens gebügelt hat. Wir wohnten in diesen Reihenhäusern in Sankt Augustin bei Bonn, da lebten sehr viele Gastarbeiter. Und da hat meine Mutter morgens Hemd und Anzug gebügelt, zusammengefaltet, in Zeitungspapier eingeschlagen, und drum herum kam dann so eine Kordel. Mit diesem Paket auf seinem Mofa ist mein Vater relativ weit bis ins Zentrum gefahren, um in der Hertie-Kantine in seinem schwarzen Anzug zu bedienen. Das, finde ich, ist Stil.
Haben Sie denn auch irgendetwas typisch Deutsches in Ihrem Kleiderschrank?
Ich hab mir mal eine Lederhose gekauft, aber das war in Österreich. Weil ich das schön fand, wenn man sich darin selber auf den Arsch haut.
Im Ernst?
Ja, es gibt nichts, was besser knallt, als mit einer flachen Hand hinten auf eine Lederhose draufzuhauen. Bei anderen darf man das ja nicht, aber sich selbst, finde ich, kann man ruhig ordentlich auf den Hintern hauen. In diese Hose passe ich jetzt allerdings nicht mehr rein. Damals, als ich die gekauft hatte, habe ich gerade den Beuys gespielt und war rattenschlank. Ich habe für diese Rolle extra abgenommen, damit die Wangenknochen rauskommen.
Für andere Rollen haben Sie auch schon sehr viel zugenommen: als Fassbinder zum Beispiel, als Hitler oder auch für die frühe Phase des Josef Bartok, den Sie in der „Schachnovelle“ spielen. Haben Sie einen Trick gefunden, diese Extrakilos durch Kleidung gut zu kaschieren, wenn Sie nicht gerade drehen?
Der Trick ist: nichts kaschieren, keine Umstandsmode tragen, nicht dieses Wallezeug nehmen, sondern sich reinpressen mit seinem Fleisch, das man hat, und stolz drauf sein. Sich nicht verstecken und sagen: „Ich gehöre jetzt zu den Dicken“, sondern das Selbstbewusstsein haben, sich zu präsentieren. Ich finde dicke Männer auch überhaupt nicht unsexy. Wie viele Leute haben denn schon die perfekte Figur? Wenn das so antrainiert ist, wenn man die Arbeit sieht, dass jemand dafür dreimal die Woche den Bizeps pumpen geht, dann finde ich das nicht attraktiv. Sex hat doch viel mehr damit zu tun, dass man in sich ruht und sich selbst geil findet. Ein Anreiz abzunehmen ist für mich nur die Gesundheit, auf die muss man in jedem Fall aufpassen.
Sie haben lange Zeit fast ausschließlich Theater gespielt, bevor Sie in den letzten Jahren im Rekordtempo zu einem der bekanntesten deutschen Film- und Serienschauspieler wurden. Denken Sie sich manchmal, das hätte ich ja auch schon früher haben können?
Ich hätte das nicht haben können, weil die Angebote, die jetzt kommen, gar nicht da waren. Das hat damit zu tun, dass es die Streamer noch nicht gab und dass man damals sehr langweilige Sachen produziert hat, kein Genre. Solche Typen wie ich waren beim Film gar nicht gefragt. Ich bin zwar überhaupt erst zur Schauspielschule gegangen, weil ich auf die Leinwand wollte, bin dann aber am Theater hängengeblieben. Ich kannte das vorher nicht, ich bin kein bürgerlich erzogenes Kind gewesen und habe mir dort erst diese ganze Weltliteratur angelesen. Ich habe in dieser Zeit angefangen, mich wirklich für Kunst zu interessieren, und fand: Am Theater haben sie die besseren Texte. Als ich dann mit Mitte 40 zum Film gekommen bin und „Er ist wieder da“ in Deutschland ein Riesenhit wurde, war für mich die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Ich wollte nur das machen, was ich selbst gerne gucke: richtig gute Kinofilme, Hollywood, Cinecittà. Ich bin geprägt von Sergio Leone und den Spaghetti-Western, wie man sie früher nannte. Darf man das heute überhaupt noch sagen?
Ich habe bisher nicht mitbekommen, dass der Begriff zur Diskussion steht.
Ich, der mit rassistischen Beleidigungen groß geworden ist, kann es wahrscheinlich sagen. Ich habe so etwas als Kind jeden Tag gehört. Und zwar nicht ein- oder zweimal am Tag, sondern den ganzen Tag hindurch: Itaker, Spaghetti, Spaghettifresser, Pizzafresser ...
„Wenn du mit Ende 20 auf einmal richtig bekannt wirst – wo endet das dann? Ich weiß nicht, ob ich durchgedreht wäre“
Welche dieser Beschimpfungen hat Sie am meisten geschmerzt?
Itaker fand ich richtig schlimm und „dreckiger Italiener“. Auch, wenn man extra den Namen nicht richtig ausspricht und „Masucki“ statt „Masutschi“ sagt. Diesen Alltagsrassismus gab es nicht nur unter Kindern, sondern auch von Erwachsenen den Kindern gegenüber. Insofern finde ich das total gut, dass man im Moment gar nicht mehr weiß, was man sagen darf. Dass man darüber mal nachdenkt und dass das geächtet wird von einer Generation, die da einfach keinen Bock mehr drauf hat. Aber ich bin ausgeufert – was war zuvor die Frage?
Ob Sie es manchmal bereuen, den Schritt zum Film nicht früher gemacht zu haben.
Gar nicht. Ich wollte eine internationale Karriere und bis dahin lieber am Theater alles dafür lernen, anstatt mich darunter zu verkaufen. Ich wollte nicht in irgendeiner Vorabendserie landen, und das war’s, weil du dann gebrandet bist. Gerade komme ich aus den USA, wo ich mit Jamie Foxx und Snoop Dogg gedreht habe. Und ich bin bei einem der größten Franchises dabei, das es überhaupt gibt auf der Welt, der „Harry Potter“-Geschichte. Es ist total geil, dass ich das machen kann. Aber ich glaube eben, das wäre mir vorher nicht zuteil geworden. Es gab zwar ein, zwei Mal die Gelegenheit, in den Film einzusteigen, aber ich war nicht reif dafür. Wahrscheinlich würde ich jetzt gar nicht mehr leben, wenn ich das gemacht hätte.
Warum das?
Wenn du mit Ende 20 auf einmal richtig bekannt wirst, zu einer Zeit, in der du dich gerade um Kopf und Kragen feierst – wo endet das dann? Ich weiß nicht, ob ich dann einfach durchgedreht wäre und im Drogensumpf versackt. Ich glaube, für mich ist es schon gut, dass das erst passiert ist, nachdem ich Kinder bekommen habe. Keine Ahnung, ob ich sonst jemals welche bekommen hätte, ob ich das überhaupt noch zustande gebracht hätte. Insofern finde ich: Für mich ist das alles richtig, wie es ist.
Ob es nun Josef Bartok aus der „Schachnovelle“ ist, der Monate in der Isolationshaft der Gestapo verbringt, oder Fassbinder: Sie suchen sich oft Rollen aus, die physisch und psychisch extrem fordernd sind. Was reizt Sie trotzdem immer wieder daran?
Vielleicht werde ich danach gefragt, weil ich da etwas Bestimmtes kann. Wahrscheinlich hat es aber gar nicht mal mit dem Können zu tun, sondern mit dem Willen, das auch zu machen. Wenn ich eine Rolle spiele, möchte ich da rein, auch in die Zerstörung eines Charakters, in die psychischen Abgründe, in den Schmerz so einer Figur. Und Schmerz kannst du halt nicht glaubhaft spielen, wenn du ein Schönwetterschauspieler bist und einfach ein Gesicht auflegst. Diese Rollen erfordern, dass du etwas von deiner Seele zeigst – und das tut weh. Aber so habe ich meinen Beruf schon immer betrachtet, auch am Theater. Solche Menschen glaubhaft zu spielen kostet was. Das ist so. Du musst halt dosieren, wie oft du so etwas machst. Ich weiß noch, wie ich Philipp Stölzl, dem Regisseur der „Schachnovelle“, beim Casting gesagt habe: „Ich weiß nicht, ob ich das machen will, ob ich mich wirklich mit Schizophrenie beschäftigen möchte. Das geht mir ganz schön tief.“
Warum haben Sie es dann nicht sein lassen?
Ich habe Philipp gesagt: „Such doch noch weiter.“ Aber nach einem halben Jahr rief er wieder an und sagte: „Ich habe keinen gefunden.“ Da fühlte ich mich in meiner Eitelkeit geschmeichelt.
Wie haben Sie diese Figur mit ihrem Wahn dann während der Dreharbeiten ausgehalten?
Schwer. Das habe ich wirklich schwer ausgehalten. Ich war am Set immer schlecht gelaunt, denn das macht ja etwas mit dir. Das Filmteam erwartet natürlich, dass du der nette Schauspieler bist, aber das kann ich dann nicht, das lässt die Rolle gar nicht zu. Du kannst nicht mal eben acht Stunden durchgefoltert werden und dann sagen: „Herrlich, war wieder super heute mit euch, ich komme hier so gerne her.“ Ich war dauerschlechtgelaunt da am Set. Man konnte es mir nicht recht machen, obwohl sie alles versucht haben. Aber im Nachhinein gucke ich mir diesen Film an und denke: Dafür hat es sich gelohnt. Man sieht da was. Dieser Mann spielt mit den Nazis russisches Roulette um den Preis seines Verstandes. Aber im Endeffekt geht er als Gewinner.
Also ist der Wahnsinn, dem er verfällt, Freund und nicht Feind?
Der Wahnsinn ist sein Freund, na klar. Er ist die einzige Konsequenz, die bleibt, wenn du die Realität nicht mehr erträgst. Wenn die Wirklichkeit so grausam ist, fangen Menschen an, Alternativuniversen aufzubauen, die es ihnen möglich machen weiterzuexistieren.
Philipp Stölzl sagt, die Geschichte der „Schachnovelle“ führe uns vor Augen, wie dünn die Hautschicht der Zivilisation ist und wie unmittelbar darunter die Barbarei liegt.
Ja, das geht ganz schnell. Was wir uns erworben haben, ist ein schmaler Grat. Weshalb ich unsere Zeit gerade so gefährlich finde. Je mehr Einschränkungen und Verbote wir einführen, desto mehr Extreme haben wir, links genauso wie rechts. Die einen schreien, die schränken uns die Rechte ein, wir müssen dagegen auf die Straße gehen, und die anderen schreien, wir müssen mehr verbieten. Das führt ja zu nichts Gutem, ich mag Extreme nicht. Ich spiele sie zwar, aber ich finde sie scheiße.
Ihr eigener Platz ist also möglichst durchschnittlich genau in der Mitte?
(Lacht) Ich muss fast heulen, wenn ich das so höre. Aber ja, ich würde mich wahnsinnig gerne einfach in der Mitte aufhalten, mit allen drum herum, die dazugehören. Auch das ist übrigens sehr italienisch an mir: Ich habe gerne meine ganze große Familie um mich, die ich dann bekoche.
Herr Masucci, wir müssen Sie jetzt unbedingt noch ein bisschen fotografieren. Gibt es irgendetwas, das Sie zum Schluss unseres Interviews noch dringend loswerden möchten?
Leute, geht ins Kino, und schaut euch die „Schachnovelle“ an. Wir brauchen euch jetzt! Der Film ist gut und wäre ein würdiger deutscher Beitrag für den Oscar.
Der heute 52-Jährige spielte zunächst lange Zeit an verschiedenen Theatern, bevor er 2015 als Hitler im Kinofilm „Er ist wieder da“ seinen großen Leinwand-Durchbruch feierte. International bekannt wurde er durch seine Rollen in den Netflix-Serien „Dark“ und „Tribes of Europa“ sowie in den Kinofilmen „Enfant Terrible“ über das Leben Rainer Werner Fassbinders und dem oscarnominierten Drama „Werk ohne Autor“. Am 23. September startet die Filmadaption von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ im Kino, in der Masucci den Wiener Anwalt Dr. Josef Bartok spielt, der sich in das Strategiespiel flüchtet, um der Isolationshaft der Gestapo standzuhalten.
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