Mach dich auf eine unfassbare Durchzugskraft gefasst, dieser Motor hört einfach nicht auf zu beschleunigen“, begrüßt mich Bernd Schneider in der Boxengasse am Lausitzring, noch bevor ich auch nur Hallo sagen kann. Der fünffache DTM-Weltmeister ist für seine direkte Art bekannt. Bei unserer letzten Begegnung zeigte er mir auf dem Hockenheimring die Raffinessen des Mercedes-AMG GT R Pro, des damals schnellsten und aggressivsten Serien-Mercedes der Welt. Und heute, anderthalb Jahre und eine Fahrzeuggeneration später, soll er mir wieder einmal den schnellsten und aggressivsten Serien-Mercedes der Welt zeigen: den neuen Mercedes-AMG GT Black Series.
Um noch einmal eine deutliche Performance-Steigerung zu erzielen, ersetzten die Affalterbacher Ingenieure viele Bauteile, vom Kotflügel über die Motorhaube bis zu den Seitenschwellern, durch Carbon- und Leichtbauelemente und konnten so eine Gewichtsreduktion von 15 Kilo herausholen. Und das bei einer gleichzeitigen Leistungssteigerung von 145 PS! Denn mit 730 PS und einem maximalen Drehmoment von 800 Newtonmeter besitzt die neueste Rakete das schnellste V8-Aggregat in der Firmengeschichte von AMG. Und gilt damit offiziell als heißester Anwärter auf den Titel „schnellstes Serienfahrzeug der Welt“. So konnte Werksfahrer Maro Engel im November 2020 auf der Nordschleife eine Rekordrundenzeit von 6:48 Minuten einfahren. Seither führt der Rennbolide notariell beglaubigt die Liste der serienmäßigen, nicht nachträglich modifizierten Sportwagen an.
Was an dem Wagen als Erstes auffällt: Für ein Auto, das dem Namen nach zu einer „schwarzen Serie“ gehört, sieht er ganz schön orange aus. Die Nomenklatur „Black Series“ hat bei Mercedes eher eine historische als eine farbliche Bedeutung: Seit im Jahr 2006 das erste Modell dieser Serie herauskam, steht der Begriff synonym für besonders extreme, speziell für den Rennsport optimierte Straßenmodelle (siehe Kasten rechts). Beim Einsteigen in das Cockpit lassen Schalensitze, 4-Punkt-Sicherheitsgurte und ein Überrollkäfig aus Titan jedenfalls sofort Rennwagenstimmung aufkommen. Beeindruckender ist nur der tiefe satte Sound der 4-Liter-Maschine, der beim Drücken des Startknopfs dem Fahrer entgegenbrüllt.
Ich folge Schneider, der im Pace Car voranfährt, auf die Strecke, und nach einer Aufwärmrunde drehen wir die Motoren langsam in den roten Bereich. Die Bodenhaftung, mit der dieses Geschoss in engen Kurven und auch bei schnellen Richtungswechseln in der Schikane auf dem Asphalt klebt, fühlt sich fast wie ein Wunder an. Dann legt Schneider noch eine Schippe drauf und hängt mich in der letzten Runde deutlich ab. Trotzdem kratze ich in der Zielgeraden knapp an den 250 km/h. Als ich ihn über Funk darauf anspreche, meint er nur: „Der Trick ist, dass man aus der letzten Kurve richtig herauskommt. Aber mach dir nichts daraus, heute haben wir ein bisschen Gegenwind.“ Da geht noch mehr, denke ich mir. Allein die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In 3,2 Sekunden auf 100, in unter neun Sekunden auf 200 – bei einer Höchstgeschwindigkeit von 325 km/h.
Beim anschließenden Boxenstopp zeigt mir Schneider, wie man den Frontsplitter von der „Street“- in die „Race“-Position bringt. Dafür löst man zwei kleine Hebel am Spoiler, zieht das gesamte Carbon-Teil um mehrere Zentimeter nach vorn und fixiert es anschließend an dafür vorgesehenen Drahtseilen. Der Spoiler bildet dann unterhalb des Vorderwagens einen Frontdiffusor, der zusammen mit dem Unterboden und dem Heckflügelkonzept eine optimale Aerodynamik für die Rennstrecke erzeugt, womit in der Summe ein Abtrieb von deutlich über 400 Kilo (bei Tempo 250) möglich ist.
Rein theoretisch könnte man jetzt noch den besonders auffälligen, über zwei Etagen aufgebauten Heckspoiler nachjustieren. Denn abgesehen vom Flap in der Mitte, der – abhängig vom eingestellten Fahrprogramm und der Geschwindigkeit – automatisch von der Software des Wagens gesteuert wird, lassen sich der obere wie der untere Flügel manuell verstellen. Bei meinem Auto steht der obere auf einer flachen Position, während sich der untere im steilen Winkel nach unten neigt. „Ich habe gestern mit dieser Einstellung 271 km/h auf der Zielgeraden erreicht, das ist relativ schnell für den Lausitzring“, erklärt Schneider. „Auf der Nordschleife, auf der es viel öfter geradeaus geht, müsste man beide flacher einstellen, um mehr Top-Speed herauszuholen. Aber für diese Strecke hier ist die Einstellung perfekt.“ Ich höre und staune. Mithilfe des Gewindefahrwerks könnte ich das Auto außerdem bis zu zehn Millimeter tieferlegen, ferner ließen sich die Spur- und Sturzwerte des Wagens (die Positionen, in denen die Räder zueinander und zum Untergrund stehen) mit ein paar Handgriffen um mehrere Grad verstellen. „Das Spannende an dem Fahrzeug ist, das man relativ unkompliziert das gesamte Set-up an jede Rennstrecke anpassen kann“, schwärmt Schneider. Ich nicke.
Mit diesem Wagen lässt sich Rennwissenschaft betreiben. Ich aber würde lieber erst mal noch mehr Gefühl für diese Rakete bekommen. Kein Problem. Denn jetzt weiht mich Schneider in die Geheimnisse des gelben Drehreglers in der Mitte des Armaturenbretts ein: eine Funktion zum stufenweisen Abstellen der Traktionskontrolle.
Dazu muss man, so lerne ich, zunächst an einem Knopf an der Mittelkonsole das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) ausschalten. Danach lässt sich der Schlupf des Fahrzeugs mit einem elektronisch kontrollierten mechanischen Sperrdifferenzial in neun Stufen über den besagten gelben Schalter regeln. Eine eingebaute Drift-Kontrolle sozusagen. Schon auf der ersten Stufe merke ich kurz nach dem Losfahren einen deutlichen Unterschied: Beim Herausbeschleunigen aus der Kurve bricht das Heck leichter aus, man es muss durch Gegenlenken wieder einfangen.
Runde um Runde drehe ich nun den Regler weiter nach links, und mit jeder Stufe fällt es mir schwerer, die 730 PS auf der Straße zu halten. In der letzten Kurve vor der Zielgeraden – der Drehregler steht bereits auf der sechsten Stufe – komme ich mit zu viel Geschwindigkeit in die Kurve und knalle um ein Haar in die Wand vor der Zuschauertribüne. Nach diesem Adrenalinschock steuere ich schweißgebadet die Boxengasse an, die letzten drei Stufen überlasse ich lieber den Profis. Doch selbst die fahren, so höre ich, in der Regel nicht mit vollständig ausgeschaltetem System. Maro Engel zum Beispiel hatte während seiner Rekordfahrt auf der Nordschleife den Schalter auf Stufe sechs und sieben gestellt.
Als ich zum Abschied Bernd Schneider nach seiner Meinung über den Wagen frage, antwortet er: „Schlichtweg das beste Straßenauto, das ich jemals gefahren bin. Einfach geil.“ Das kann ich nur bestätigen. Schade eigentlich, dass Mercedes ihn – um eine Limitation zu erzielen – nur ein Jahr lang bauen wird.
BLACK SERIES
Geschwindigkeit
325 KM/H
Leistung
730 PS
Drehmoment
800 NM
0–100 km/h
3,2 SEKUNDEN
Hubraum
3982 CCM
Gewicht (DIN)
1540 KG
Preis
343.910 EURO
Im Jahr 2006 startete die Reihe mit dem SLK 55 AMG Black Series, von dem allerdings nur eine sehr geringe Stückzahl von unter 150 Exemplaren produziert wurde (die genaue Anzahl ist nicht belegt). Danach folgten Black-Series-Modelle auf Basis des CLK 63 AMG, des SL 65 AMG und des C 63 AMG. Das vorletzte (fünfte) Modell erschien 2013, basierend auf dem legendären SLS-AMG-Flügeltürer. Der Neupreis des Supersportwagens lag bei rund einer Viertelmillion Euro. Heute muss man für gut erhaltene Fahrzeuge dieses Typs allerdings knapp das Doppelte bezahlen. Auch wenn die Vorgängermodelle nicht ganz so hohe Wertsteigerungen erreichten, gelten sämtliche Black-Series-Fahrzeuge aufgrund der geringen Stückzahlen als heiß begehrte Sammlerobjekte. Trotz ihres Namens sieht man sie allerdings selten in Schwarz. Die meisten Fahrzeuge wurden in der klassischen Mercedes-Farbe Silber bestellt.
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