Laut Lust-Expertin: Warum wir endlich über Pornos reden müssen

Laut Expertin: Darum sollten wir endlich über Pornos reden
Credit: Imago
Magazin
Playboy 2022/02

Inhalt

AKTION

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REPORTAGE

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MOTOR & TECHNIK

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EROTIK

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TITELSTRECKE

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MENSCHEN 2022

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STREITSCHRIFT

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STIL

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LUST & LEBENSART

Porno-Talk: Frauenfeindlich? Suchtgefährdend? Die Wissenschaftlerin Madita Oeming widerspricht Vorurteilen gegen die Sexfilm-Branche

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KULTUR

Helge Timmerberg: Der Kultautor schreibt uns zu seinem 70. Geburtstag eine altersweise Betrachtung – „Traue keinem unter 30“

Literatur, Musik & Film: Das Beste des Monats

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Die Wissenschaftlerin Madita Oeming fordert eine öffentliche Debatte ohne Klischees: Macht Pornografie Frauen weniger Spaß als Männern? Ist sie frauenfeindlich? Oder gefährlich für Jugendliche? Alles Vorurteile, sagt die Expertin.

Frau Oeming, warum gucken mehr Männer als Frauen Pornos? Weil sie leichter optisch stimuliert werden?

Nein, die Annahme, dass Frauen die weniger visuellen Menschen seien, wurde mittlerweile widerlegt. Biologie ist hier nicht der entscheidende Faktor, sondern Kultur. Genauer gesagt Geschlechterrollen. Viele Frauen erlauben sich gar nicht erst, Pornos zu gucken oder gar zu mögen, weil sie nie gelernt haben, freie sexuelle Wesen sein zu dürfen. Masturbation an sich ist bei ihnen ja auch noch ein größeres Tabu. Und bei Pornos denken sie oft schon im Vorhinein, die seien einfach nicht für sie gemacht. Stimmt ja auch oft. Die meisten Pornos werden für eine hetero-männliche Zielgruppe produziert und vermarktet und bilden deren Bedürfnisse ab.

Und was schreckt Frauen daran ab?

Grundsätzlich ist das natürlich total individuell, und wir sollten hier auch nicht in „Männer wollen dies und Frauen jenes“-Gender-Klischees verfallen. Aber Pornos wurden über Jahrzehnte vom männlichen Blick geprägt. Blowjobs bekommen zum Beispiel meist mehr Screen-Time als Clitjobs. Ich denke, es geht aber um das, was fehlt. Es zeigt sich immer wieder, dass viele heterosexuelle Frauen gerne Schwulenpornos sehen. Weil dort der männliche Körper ganz anders gezeigt wird. Und viel mehr davon zu sehen ist als immer nur der Penis, auf den Männer im Mainstream-Hetero-Porno ja doch oft reduziert werden.

“Mittlerweile haben deutlich mehr Menschen mitbekommen, dass Frauen Pornos gucken und auch machen können“

Wie kann sich das ändern: durch mehr von Frauen für Frauen produzierte Pornos? Dieser Wandel findet in der Porno-Industrie doch gerade statt ...

Ja, man kann sagen, dass in den letzten Jahren sogenannte feministische Pornos sichtbarer geworden sind. Mittlerweile haben deutlich mehr Menschen mitbekommen, dass Frauen Pornos gucken und auch machen können. Aber bei vielen ist es noch immer nicht angekommen. Der Wandel muss im Größeren passieren. Wir müssen endlich von dieser Idee loslassen, dass Sex etwas sei, was Männer wollen und Frauen ihnen geben. Das stimmt nicht. Frauen haben sexuelle Lust und sexuelle Fantasien. Und im Übrigen ist feministischer Porno natürlich nicht nur für Frauen, sondern für alle.

Wenn Sie sagen „feministische Pornos“, bedeutet das: Die meist fürs männliche Publikum gemachten Mainstream-Filme sind frauenfeindlich?

Nicht unbedingt. Der Mainstream-Markt ist riesig, und es gibt große Unterschiede. Natürlich finden wir dort Sexismus. Wie in allen Medien. Sie sind ja in einer sexistischen Gesellschaft entstanden. Und sie stellen eben männliche Lust in den Mittelpunkt. Es ist kein Zufall, dass Pornos in der Regel mit einem ejakulierenden Penis enden. Ziel erreicht,  sozusagen. Aber auch im Mainstream-Porno kann ich Feminismus und Empowerment finden. Es befreit mich, ungezügelte weibliche Lust auf dem Bildschirm zu sehen. Zum Teil ist es aber auch unser eigener Sexismus, den wir hinein übertragen.

„Es ist kein Zufall, dass Pornos in der Regel mit einem ejakulierenden Penis enden“

Wie meinen Sie das?

Vielen Menschen fällt es schwer, Porno-Szenen anzugucken, ohne sofort zu denken, dass die Darstellerin benutzt und ausgenutzt wird. Porno-Performerinnen werden in Interviews ständig gefragt, was ihnen passiert sei, dass sie dort gelandet sind, wer sie dazu zwinge, welches Trauma es in ihrer Kindheit gegeben habe. Männliche Darsteller werden das nie gefragt – dort geht man davon aus, dass es eben ein Traumjob für ja eh dauergeile Männer sei, für Sex auch noch bezahlt zu werden. Das sind Gender-Stereotype in unseren Köpfen, die uns das so unterschiedlich bewerten lassen.

Wissenschaftlerin Madita Oeming fordert einen offenen Umgang mit Pornos. Nur so, glaubt sie, lässt sich ein reflektierter Umgang damit schaffen.
Credit: Thorge Beilfuss

Viele Feministinnen, zum Beispiel Alice Schwarzer, die einst die PorNO-Kampagne gestartet hat, sehen das anders.

Ja, Pornografie und Sexarbeit sind schon lange eine hitzige innerfeministische Debatte. In der generellen Kritik sind wir uns eigentlich einig: Die Porno-Industrie war viel zu lange viel zu männlich dominiert. Aber die eine Gruppe, für die Schwarzer steht, verteufelt Pornos an sich und will sie mit staatlicher Kontrolle am liebsten vollständig verbannen. Die andere Gruppe, zu der ich mich zählen würde, glaubt an die Möglichkeit, die Darstellung von explizitem Sex besser und gleichberechtigt zu gestalten. Porno und Feminismus schließen sich in unseren Augen nicht gegenseitig aus.

„Was manchmal aussieht und aussehen soll, als wäre es gegen den Willen einer Person passiert, ist es häufig nicht“

Was wäre für Sie also ein guter Porno?

Ein guter Porno ist für mich schlicht ein Porno, der mich erregt. Das ist natürlich komplett subjektiv. Objektiv ist ein Porno für mich gut, wenn er ethisch produziert wurde. Also Wert auf Consent und Sicherheit gelegt wurde. Alle gut behandelt und fair bezahlt wurden. Das kann man im fertigen Bild allerdings nicht immer sehen. Es gibt große Studios, in denen super professionell gearbeitet wird, aber das Endprodukt so aussieht, als wäre es total spontan entstanden. Absprachen über Grenzen sehen wir zum Beispiel meist nicht, obwohl sie stattgefunden haben. Was manchmal aussieht und aussehen soll, als wäre es gegen den Willen einer Person passiert, ist es häufig nicht. Deshalb sollten wir nicht vorschnell urteilen.

Wie würden Sie Ihre eigene wichtigste Lehrbotschaft über Pornos in einem Satz zusammenfassen?

Meine wichtigste Botschaft ist: Schluss mit Scham! Damit ist niemandem geholfen. Wir müssen über Pornos reden, das ist der Anfang. Wir haben eine Leerstelle in unserer Kultur geschaffen und ein Ungleichgewicht: Millionen Menschen gucken jeden Tag Pornos, aber tauschen sich nicht darüber aus und haben keinen reflektierten Umgang damit. Wir wissen viel zu wenig über dieses Medium und seine Rolle in unser aller Leben. Und das ist der perfekte Nährboden für alle möglichen Vorurteile und Projektionen.

„Wir müssen über Pornos reden. Wir wissen viel zu wenig über dieses Medium und seine Rolle in unser aller Leben“

Welche Vorurteile gegenüber Pornos würden Sie gerne entkräften?

Diese Idee vom Porno-Film als Gefahr: Er sei grundsätzlich frauenverachtend, gefährlich für Jugendliche, seit einigen Jahren soll er auch noch süchtig machen und zu Impotenz führen. Es schwirren so viele unbelegte Pseudo-Fakten über Pornos im öffentlichen Raum herum. Ich sehe darin eine Panikmache, die Menschen eher verunsichert, anstatt sie zum Nachdenken anzuregen. Mich stören vor allem die Verallgemeinerungen und die grundsätzliche Abwertung des Mediums. Wir brauchen einen differenzierteren Blick auf Pornos. Ich würde mir wünschen, dass wir kritisch bleiben, aber uns auch ein bisschen entspannen. Und dass wir anfangen, endlich wieder für unsere Pornos zu bezahlen. Nur so kann die Industrie besser werden.

FRAU DOKTOR PORNO

Madita Oeming, geboren 1986, lehrte bis vor Kurzem als kulturwissenschaftliche Dozentin an der Uni Paderborn und an der FU Berlin. Ihre Seminare über Pornografie erregten Aufsehen auch in nicht akademischen Kreisen. Zurzeit schreibt sie ihre Doktorarbeit über das Thema Pornosucht als Moralpanik.