Heiner Geißler freut sich: Zum 80. Geburtstag hat er sich eben einen Steinway spendiert, den 911er unter den Klavieren. Er hat einen Satz Noten in der Hand, gerade gekauft, Mozart, die Klaviersonaten. Denn bis die nächste Bergtour ansteht, muss Geißler erst mal die Nachwirkungen seines letzten Gleitschirmunfalls auskurieren. Während des Gesprächs will laufend sein iPhone etwas von ihm: Dieser erwartet einen Rückruf, jener will eine Meinung von ihm. Und Meinung, davon hat Geißler genug auf Lager. Und zwar stapelweise:
Playboy: Herr Geißler, wie geht es unserem Land?
Geißler: Auf die Gegenwart bezogen, noch gut. Aber wir können auch in die falsche Richtung laufen, politisch gesehen.
Playboy: Tun wir das gerade?
Geißler: Ja, aber wir müssen ein paar Bedingungen erfüllen, damit es nicht so weitergeht.
Playboy: Nämlich?
Geißler: Das Hauptproblem für Deutschland und damit auch für Europa ist die humane Gestaltung der Globalisierung. Es kommt jetzt darauf an, dass das Wirtschaftssystem des Kapitalismus ersetzt wird durch eine internationale ökosoziale Marktwirtschaft, verbunden mit einem globalen Marshallplan und einer umfassenden Finanzreform. Es ist aber unsicher, ob die deutsche Regierung, die das will, und die anderen europäischen Regierungen, die das auch wollen, sich durchsetzen können.
Playboy: Sind Sie zuversichtlich?
Geißler: Ich bin ein anthropologischer Optimist. Wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet, kann man feststel- len, dass sich das Bessere immer durchgesetzt hat. Ideologien, die die Menschheit ins Unglück gestürzt haben, wurden überwunden – der Feudalismus ist weg, der Nationalsozialismus ist besiegt, der Kommunismus weitgehend verschwunden. Die neuen Ideologien heißen Fundamentalismus und Kapitalismus. Und ich bin überzeugt, dass wir in der Lage sind, auch diese Ideologien zu überwinden.
Playboy: Das Sparpaket der Koalition – ein Schritt in die richtige Richtung?
Geißler: Zunächst muss man dazu etwas Positives sagen. Das Paket ist aus drei Gründen notwendig: Es bremst die Staatsverschuldung, das ist auch für die junge Generation von entscheidender Bedeutung. Zweitens wird damit unsere Währung, der Euro, stabilisiert. Der dritte Punkt ist die Bekämpfung der Inflation. Diese drei Ziele sind richtig und notwendig. Ob das Paket sozial ausgewogen ist, ist natürlich die Streitfrage.
Playboy: Was sagen Sie zu dieser Frage? Ist dieses Programm gerecht?
Geißler: Gerade in Zeiten knapper Kassen muss sich die Gerechtigkeit bewähren. Wenn ich etwa an meine Arbeitsloseninitiative in Landau denke – der Vorsitzende dieser Gruppe hat zwei Kinder und verliert jetzt 300 Euro im Monat –, und wenn der mich fragt: „Was trägst du mit deinem hohen Einkommen zur Sanierung der Staatsfinanzen bei?”, dann muss ich mich schämen. Nicht persönlich, aber für die Politik. Es ist nicht konsensfähig, dass Leute, die über 100.000 Euro verdienen, überhaupt nichts bezahlen müssen. Die Menschen müssen in einem zivilisierten Land das Gefühl haben, dass die wirtschaftlich Starken kontrolliert und die Schwachen geschützt werden, dass es gerecht zugeht.
Playboy: Ist das hier der Fall?
Geißler: Nein, bei diesem Sparpaket nicht.
Playboy: Wäre das Sparpaket mit Ihnen als Generalsekretär machbar gewesen?
Geißler: Wenn die Katze ein Pferd wäre, könnte man die Bäume hochreiten. Es sind auch in meiner Zeit Beschlüsse gefasst worden, die ich nicht für richtig gehalten habe. Zum Beispiel ging es einmal um ei- ne Absenkung des Spitzensteuersatzes, ich habe das damals als obszön empfunden - aber dann musste eben ein Kompromiss eingegangen werden. Und so ist es auch jetzt: Wenn das Sparpaket von der CDU allein gemacht worden wäre, dann würde es natürlich anders aussehen.
Playboy: Haben wir die falsche Koalition?
Geißler: Dieses Sparpaket regt mich innerlich auf, es macht mich traurig. Vor allem, wenn ich sehe, dass meine Partei hier Opfer des Koalitionspartners war. Wir stehen mit einem Bein, mit dem FDP-Bein, immer in der Vergangenheit, in der Zeit vor der Finanzkrise. Diese Koalition passt nicht in die heutige Zeit. Aber wir haben noch drei Jahre Zeit, damit sich die Liberalen nicht auf diese absolut unsinnigen Mantras, diese „Essentials“, weiter versteifen. Aber das Sparpaket kann nicht so bleiben. Wegen solcher Kompromisse haben wir schon mal eine Bundestagswahl verloren.
Playboy: Herr Geißler, wann darf ein Politiker eigentlich zurücktreten?
Geißler: Immer.
Playboy: Welche Begründungen sind akzeptabel – für Sie und für das Volk?
Geißler: Normalerweise sind die Leute er- freut, wenn jemand mal nicht an seinem Sessel klebt und bereit ist, Platz zu machen.
Playboy: Trifft das auch auf den Bundespräsidenten zu?
Geißler: Eine gewisse Verantwortung gegenüber dem eigenen Laden muss man schon haben. Das galt für Oskar Lafontaine, und das gilt auch für den Rücktritt von Horst Köhler. Die Begründung, die er gegeben hat, finde ich nicht okay.
Playboy: Ist das der totale Sieg der 68er: dass man heute einfach zurücktritt, wenn man sich ein bisschen zu sehr angegriffen fühlt?
Geißler: Die 68er, die ins Establishment aufgestiegen waren, haben ja alle Versuche unternommen, in Amt und Würden zu bleiben. Ich erinnere an Gerhard Schröder oder Joschka Fischer, die sich ja beinahe umgebracht haben, weil sie sich als gefühlte Sieger dem Votum des Volkes nicht beugen wollten.
Playboy: Woran ist Köhler gescheitert?
Geißler: Ich glaube, an sich selbst. Er ist empfindlich gewesen. In der Demokratie gehört der Streit dazu, es geht um das Schicksal von Millionen Menschen. Niemand muss sich dieser Aufgabe stellen. Aber wenn es einer macht, dann muss er die Widrigkeiten und Verletzungen akzeptieren, die das mit sich bringt. Andererseits begrüßen es sicher viele, dass mal einer wie ein normaler Mensch reagiert hat.
„Leichtathletik ist Maloche, Tennis ist Handwerk – Bergsteigen ist Kultur“
Playboy: Demnach müssten Sie Christian Wulff für den idealen Bundespräsidenten halten. Der hat zeitlebens nichts anderes gemacht, als mit den Verletzungen eines Politikerlebens umgehen zu lernen . . .
Geißler: Wenn der SPD-Vorsitzende sagt, der Unterschied zwischen Gauck und Wulff sei, dass der eine ein menschliches Leben vorzuweisen habe und der andere eine politische Karriere – das ist schlechtes Feuilleton. Das war ja Köhlers Problem, dass er zur Politik kein Verhältnis hatte.
Playboy: Für welchen Kandidaten waren Sie?
Geißler: Ich hätte natürlich Wulff gewählt. Beide sind gleich gut. Gauck ist ein sehr guter Mann. Aber so viel Solidarität mit dem eigenen Verein muss man schon haben, dass man den wählt, der von den eigenen Freunden vorgeschlagen wurde.
Playboy: Sie haben einmal gesagt, Sie hätten es sich zugetraut, Kanzler zu werden. Hätten Sie auch Bundespräsident gekonnt?
Geißler: Ich glaube, das hätte ich gekonnt.
Playboy: Warum wurden Sie es nie?
Geißler: Da gibt es viele andere, die das auch von sich sagen könnten. So ein Amt kann man nicht anstreben.
Playboy: Wurden Sie jemals gefragt?
Geißler: Im politischen Establishment hat sich niemand an mich gewandt. Aber aus der Bevölkerung habe ich viele E-Mails bekommen von Leuten, die gesagt haben: „Warum machst du es nicht?“ Das war ganz witzig . . .
Playboy: Wenn Sie an Ihre Karriere zurück- denken: Worauf sind Sie stolz?
Geißler: Stolz ist eine der sieben Hauptsünden, die ich nicht gern begehe. Aber ich bin froh, dass ich ein paar Sachen gut gemacht habe.
Playboy: Zum Beispiel?
Geißler: In meinen zwölf Jahren als Generalsekretär der CDU wurden wir eine Programmpartei. Ich habe in der CDU und dann auch als Regierungsmitglied die Gleichberechtigung der Frau erheblich weitergebracht durch die Anerkennung der Erziehungsjahre in der Rentenversicherung. Ich habe die Verankerung unseres Landes im freien Westen, in der Nato zu einer meiner Hauptaufgaben gemacht. Und ich kann, ohne überheblich zu sein, sagen, dass ich der Gründer der Sozialstationen bin. Diese Konzeption hat sich im ganzen deutschsprachigen Raum durchgesetzt!
Playboy: Was waren andererseits Ihre größten Irrtümer?
Geißler: Ich hätte mehr Streit anfangen müssen, zum Beispiel wegen der Wirt- schaftspolitik in den neuen Bundesländern. Die hat zu Deregulierung, Privatisierung geführt, mit der Folge hoher Arbeitslosigkeit. Nur ein Beispiel, wo ich hätte viel entschiedener widersprechen müssen.
Playboy: Sie haben auch stets das Wort als ein scharfes Schwert geführt. Unter den vielen Ihrer markigen Sprüche, gibt es da einen, den Sie besonders bedauern?
Geißler: Nein.
Playboy: Vielleicht, dass „Helmut Schmidt ein politischer Rentenbetrüger“ war . . .
Geißler: Gut, das ist ein Satz, den ich be- dauere. Der einzige Satz, der mir leidtut.
Playboy: Herbert Marcuse, ein „Sympathisant des Terrors“?
Geißler: Jetzt bringen Sie Zitate, die nicht von mir stammen . . .
Playboy: ... die Sie aber politisch zu verantworten hatten!
Geißler: Das stand in einer Dokumentation, die ohne mein Wissen an die Presse gegeben worden ist. Damit identifiziere ich mich nicht, habe ich auch nie getan.
Playboy: Auf der anderen Seite hat Willy Brandt Sie einmal den „schlimmsten Hetzer seit Goebbels“ genannt. Hat Sie das verletzt?
Geißler: Wenn Dummheit verletzen könnte, hätte es mich verletzt. Aber so etwas kann man nicht ernst nehmen. Falls es einen Himmel gibt und er drin ist, dann tut es ihm wahrscheinlich inzwischen leid.
Playboy: Max Weber hat geschrieben: „Wer Politik betreibt, erstrebt Macht.“ Hat er Recht?
Geißler: Nee, das ist so eine Soziologenweisheit.
Playboy: Hatten Sie in Ihrem politischen Leben nie das Gefühl, Macht zu haben?
Geißler: Doch. Ich wollte ja gestalten, verändern, besser machen. Aber nicht Macht ausüben um der Macht willen. Aber weil ich halt so war, war ich für Leute, bei denen Machtausübung im Vordergrund stand, oft ein Störfaktor.
Playboy: Ist es nicht Koketterie, wenn Politiker sagen, sie wollen nur Veränderungen für das Gemeinwesen herbeiführen, aber Macht interessiere sie nicht?
Geißler: Sie können nicht dauernd rumlaufen und sagen: „Ich will Macht.“ Aber Sie brauchen natürlich Macht, um etwas verändern zu können. Ich war schon daran interessiert, Minister zu werden – weil ich da was tun konnte. Oder auch als Generalsekretär der CDU. Aber ich bin nicht im Bett aufgestanden wie Erich Mende, von dem erzählt wird, dass er jeden Morgen zu seiner Frau gesagt hat: „Marliese, ich will Kanzler werden . . .“ Es gibt solche Typen.
„Diese Koalition passt nicht in die heutige Zeit“
Playboy: Zu Ihrer Zeit tummelten sich noch Intellektuelle in der Politik. Die, die mit Ihnen in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei arbeiteten etwa, die würden doch heute alle zu McKinsey gehen und nicht mehr nach Mainz. Woran liegt das?
Geißler: In der CDU sind heute Leute in der Verantwortung, die unter Kohl un- terdrückt worden wären. Der hatte ja ein geistiges Sultanat errichtet, wo kaum noch Bewegung möglich war – deswegen hat die CDU auch die Wahl 1998 verloren.
Playboy: Aber war Politik früher intellektueller?
Geißler: Es gab mehr gebündelte Intelli-enz, nicht nur ökonomische Intelligenz, sondern auch kreative, soziale, metaphysische, ethische Intelligenz. Das hängt auch damit zusammen, dass sich der Nachwuchs der politischen Parteien verändert hat. Einer wie Philipp Missfelder, der wäre früher als Vorsitzender der Jungen Union undenkbar gewesen! Wir haben heute zu viele betriebswirtschaftlich desorientierte Yuppies in den Jugendorganisationen. Politik ist eben keine Mathematik, da ist zwei mal zwei nicht immer vier, sondern manchmal auch fünf. Die Rettung von Opel durch den Staat zum Beispiel wäre nach den wirtschaftstheoretischen Grundsätzen von Milton Friedman ein absoluter Fehler. Aber die Wirtschaftswissenschaften sind keine exakten Wissenschaften.
Playboy: Die Kanzlerin aber folgt dem Wirtschaftsminister und sagt, dass zwei mal zwei nicht fünf sei, sondern vier . . .
Geißler: Die Politik kennt nicht nur ja und nein oder Schwarz und Weiß – sondern da gibt es eben auch Gelb und Blau und Grün und alle möglichen Schattierungen. Es gibt in der Politik keine absoluten Wahrheiten, auch im Fall Opel nicht. Wenn ich sage, Opel darf auf gar keinen Fall staatliche Hilfen bekommen, dann sind wir bei den ökonomischen Fundamentalisten. Und der Fundamentalismus hat in der Politik nichts verloren. Klar, es gibt Werte, die nicht angetastet werden dürfen: dass niemand diskriminiert werden darf wegen seiner Hautfarbe oder seines Geschlechts oder seines Alters. Aber oberhalb dieses ethischen Fundaments ist die Politik frei und kann sich für Blau entscheiden oder für Schwarz oder für was weiß ich was.
Playboy: Sie waren auf einem Jesuiten-Internat, sind dort geprägt worden. Und eine christliche Begründung von Politik war Ihnen immer wichtig. Haben Sie auch Versöhnung in der Politik kennen gelernt?
Geißler: Christliche Politik gibt es nicht. Aber natürlich gehört die Versöhnung zur Politik. Ich bin keiner, der, wenn es mal Streit gegeben hat, auch richtigen Streit, das länger aushält als zwei Stunden. Dann versuche ich zu reparieren. Aber es gibt Situationen, da kann man nichts reparieren.
Playboy: Haben Sie sich mit Helmut Kohl je versöhnt?
Geißler: Nein. Der Bruch ging ja von ihm aus und hatte seine Begründung in der Angst um seine Machtposition, die er durch mich gefährdet sah – was genauso unsinnig war wie das, was Willy Brandt gesagt hat.
Playboy: Als er 80 geworden ist... haben Sie sich zum Geburtstag gratuliert?
Geißler: Wissen Sie, Heuchelei ist nicht meine Sache. Ich bin kein Heuchler.
Playboy: Herr Geißler, Sie waren von Jugend an auch immer ein respektabler Alpinist. Welche Gemeinsamkeiten gab es zwischen Ihrem politischen Alltag und Ihrer Bezwingung der Bergwelt?
Geißler: Gar keine. Vor allem, weil ich nie der Auffassung war, dass man die Natur bezwingt. Das wäre eine Anmaßung. Der Berg ist ein Partner, der einem hilft, etwas Schönes zu erleben. Ich hatte immer Ehrfurcht vor dem Berg, der ist nicht nur totes Gestein. Leichtathletik ist Maloche, Fußballspielen und Tennis sind Handwerk. Bergsteigen und Fliegen, das ist Kultur – so habe ich es immer gesehen.
Playboy: Wenn man politisch denkt, ist der Einsatz für ein Gemeinwesen notwendig. Warum ist es nötig, auf Berge zu steigen?
Geißler: Die Frage können Sie nicht beantworten. Warum malt man Bilder? Ich habe mich oft genug in Talkshows dazu befragen lassen, warum man in diesen unwirtlichen Gefilden herumsteigt. In diesen Sendungen ist immer der Psychiatrieprofessor mit dabei, der dann sagt, die Leute gehören nicht auf die Berge, sondern auf die Couch, bei denen ist eine Schraube locker . . .
Playboy: Ist bei Ihnen eine Schraube locker?
Geißler: Ja natürlich, gemessen am normalen Menschen. Manche Schrauben wiederum sind fester als bei anderen. Man geht in die Berge, weil das schön ist und spannend. Weil es sogar wunderbar schön ist, bezaubernd, hinreißend schön. Und es ist wahnsinnig interessant. Sie schlagen eben nicht einen Ball über das Netz, sondern Sie müssen die Technik beherrschen, die Natur beobachten, das Wetter einschätzen und mit Kompass und Höhenmesser umgehen können. Sie müssen wissen, wie die Sterne stehen, der Mond, Sie müssen das Seil beherrschen. Sie brauchen auch charakterliche Eigenschaften, der ganze Mensch wird gefordert.
Playboy: Dann muss man sich doch Heiner Geißler als zutiefst unglücklichen Menschen vorstellen in diesem flachen Bonn und in diesem noch flacheren Berlin!
Geißler: Sie müssen ja auch noch Geld verdienen. Aber es ist mir schon oft sehr schwergefallen, nach dem Skifahren, womöglich bei schönstem Wetter, wegfahren zu müssen. Da bekommt man Heimweh.
"Ich möchte nicht unbedingt noch einmal abstürzen"
Playboy: Sie waren viel mit Ihren Söhnen in den Bergen. Wie ist das, wenn die eigenen Söhne, die man eben noch gewickelt und das Laufen gelehrt hat, plötzlich schwierigere Routen klettern als man selbst. Ist man da nicht ein bisschen neidisch?
Geißler: Nein, das war ich nie. Ich war heilfroh, dass sie immer ein bisschen besser klettern konnten. So konnten wir ganz andere Touren machen. Der Beste hatte immer mich am Seil, und so konnte ich Touren machen, bei denen ich alleine in größte Schwierigkeiten gekommen wäre.
Playboy: Wären Sie denn auch damit klargekommen, wenn Ihre Söhne oder einer Ihrer Söhne immer nur auf der Couch gesessen und ferngesehen hätte?
Geißler: Das ist undenkbar, das hätten wir auch nie zugelassen! Wir hatten immer zwei Gebiete, für die wir uns gemeinsam interessierten: die Musik – die zwei Ältesten waren auch Preisträger von Jugend musiziert – und das Bergsteigen. Während andere in den Discos waren, saßen wir zusammen und machten Pläne.
Playboy: Hatten Sie je Angst am Berg?
Geißler: Nicht um mich – manchmal um die Kinder. Aber unsere Methode war es immer, nie an die Grenze zu gehen, immer noch eine Reserve zu haben. Damit man, auch wenn es mal schwierig wird, noch selber rauskommt. Wir haben uns auch nie retten lassen, mit einer Ausnahme, da zwang uns die Polizei zum Ausstieg. Sonst haben wir immer alles selbst geschafft.
Playboy: Marcel Reich-Ranicki, zehn Jahre älter, hat vor Kurzem gesagt, es gebe nichts Positives am Älterwerden. Hat er Recht?
Geißler: Ja, ziemlich. Ich weiß nicht, was daran vorteilhaft sein soll. Wirklich nicht. Das Alter schönzureden ist offizielle Heuchelei. Es gibt viel Altersarmut.
Playboy: Man könnte ja sagen: „Ich werde weiser“ oder: „Ich muss dieses oder jenes nicht mehr machen“ . . .
Geißler: Alles Gerede. Das Gegenteil wäre richtig: mental und körperlich aktiv bleiben. Schreiben, reden, Sport treiben, sonst beginnt der Zerfall der Persönlichkeit. Ich kann wenige Glücksmomente für den älter werdenden Menschen erkennen.
Playboy: Die Frage ist durchaus persönlich gemeint . . .
Geißler: Ich merke das Alter nicht wirklich. Aber ich will nicht überheblich sein. Das kann ja noch kommen.
Playboy: Gibt es etwas, das Ihnen Angst macht vor dem Alter?
Geißler: Ja, ich möchte nicht unbedingt noch einmal abstürzen.
Playboy: Haben Sie Angst vor dem Tod?
Geißler: Ich hätte Angst, wenn ich damit rechnen müsste, ein Siechtum zu bekommen, ich möchte nicht demenzkrank werden. Das wäre eine Katastrophe. Aber ich kann da keine Anzeichen erkennen.
Playboy: Wir auch nicht.
Geißler: Danke, damit würde ich mich aber auch nicht abfinden. Ich habe mir schon überlegt, wenn ich das feststellen würde, und es wäre unabwendbar, dann . . .
Playboy: . . . dann?
Geißler: Dann würde ich mit einer Schachtel Rohypnol auf den Gletscher gehen, mich warm anziehen, das Zeug schlucken und mich dann in eine Gletscherspalte runterlassen. Dann bin ich zunächst einmal da, wo ich hingehöre.
Playboy: Da gehören Sie hin?
Geißler: Ja. So habe ich mir das zumindest überlegt. Aber wahrscheinlich ist das Quatsch, und ich würde es dann doch nicht tun. Und ob es hinterher weiter- geht, weiß noch nicht einmal der Papst. Wer dran glauben kann, ist gut dran.
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