Der Vergelter der Meere

Credit: Playboy Deutschland

Geiseln und gekaperte Schiffe befreien – das ist sein Geschäft. Doch eines Tages sieht Security-Experte Karsten von Hoesslin ein Mordvideo, für dessen Opfer auf hoher See sich niemand interessiert. Kein Staat als Kläger, kein Ermittler. Da startet er ohne Auftrag eine private Mission: Einen Job für die Gerechtigkeit. Eine fesselnde Reportage von Playboy-Reporter Michael Kneissler

Es gibt Filme, deren Bilder so schrecklich sind, dass sie sich für immer ins Gedächtnis einbrennen. Dieses Video ist so einer: Es zeigt sechs Minuten und 58 Sekunden lang die Exekution von vier Männern. Sie schwimmen im Meer neben einem gekenterten Holzboot. Das Wasser ist blau, die See ruhig, die Sonne scheint. Gefilmt wird von Deck eines großen Schiffes aus, manchmal fahren andere Schiffe ins Bild.

Plötzlich erschallt eine Stimme über die Bordlautsprecher: „Shoot, shoot, shoot!“ Über 40 Schüsse sind zu hören. Wenn die Kugeln im Wasser einschlagen, spritzen Fontänen hoch, und das Wasser färbt sich weiß. Wenn die Kugeln in die Körper der Männer einschlagen, spritzt Blut, und das Wasser färbt sich rot.

Als alle vier tot im Wasser treiben, versammeln sich die Schützen an Deck und machen Selfies – lachend, feixend, keine Spur von Angst, durch die Aufnahmen überführt zu werden. Die Gesichter: dunkel im Gegenlicht. Der Tatort: unbekannt. Irgendwo auf hoher See.

Beginn einer beispiellosen Verbrecherjagd

Im August 2014 findet ein Mann namens Karsten von Hoesslin das Video in seinem Posteingang. Ein 38-jähriger Deutschkanadier mit außergewöhnlichem Lebensweg – und außergewöhnlichen Fähigkeiten. Seine Firma Remote Operations Agency in Huntingdon nördlich von London ist auf Rettungsoperationen in Kriegsgebieten und Geiselbefreiungen spezialisiert, er gilt als erfolgreicher Piratenjäger im Auftrag von Reedereien, staatlichen Ermittlern und internationalen Organisationen.

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Die norwegische Stiftung TMT gegen illegale Fischerei hat Hoesslin das Video zugespielt. Wohl in der Hoffnung, dass er der Richtige sei, das abscheuliche Verbrechen aufzuklären. Und tatsächlich: Der Moment, in dem Hoesslin das Video sieht, ist der Beginn einer beinahe so hoffnungs- wie beispiellosen Verbrecherjagd durch die Weltmeere. Erst zweieinhalb Jahre später, im Frühjahr 2017, soll sie zu Ende gehen.

Der Piratenjäger aus uraltem Adel

Hoesslin, den sie den „Jäger“ nennen, ist nicht etwa der Typus muskelbepackter Haudegen. Er wirkt vielmehr wie ein freundlicher Aristokrat: perfekte Manieren, höfliche Distanz, gut aussehend. Mit Freundin (einer Ärztin) und Hund lebt er außerhalb Londons. Häufig ist er im Allgäu unterwegs, wo seine Familie herkommt. Er entstammt einem uralten bayerischen Adelsgeschlecht.

In Kanada hat Hoesslin Politikwissenschaften und Geschichte studiert, zurzeit bereitet er sich auf seine Promotion in „International Security and Intelligence“ vor – eine Art Agenten-Doktortitel. Außerdem ist er Rettungstaucher, Notfallsanitäter, Lawinenretter und hat eine SWAT-Ausbildung in den USA hinter sich. Die Abkürzung steht für „Special Weapons and Tactics“, SWAT-Teams entsprechen den deutschen Sondereinsatzkommandos.

In den USA ist Hoesslin zudem berühmt aus der TV-Doku-Serie „Lawless Oceans“ (gesetzlose Ozeane), in der auch seine Jagd auf die Täter aus dem Mordvideo nachgezeichnet wurde. Allerdings nicht bis zum Ende. Denn das stand bis Pfingsten 2017 noch aus. Internationale Bekanntheit erlangte Hoesslin, als er 2013 den griechischen Supertanker „Smyrni“ mit 26 Mann Besatzung und 135.000 Tonnen Öl an Bord gegen 14,5 Millionen Dollar Lösegeld aus der Gewalt somalischer Piraten befreite.

"Die Bilder haben mich nicht mehr losgelassen"

Als Hoesslin das Mordvideo sieht, weiß er, dass er den Fall übernehmen wird. Obwohl sonst niemand, kein Staat, keine internationale Organisation, daran interessiert ist, die Täter zu fassen. „Die Bilder haben mich nicht mehr losgelassen“, sagt er.

Geld lässt sich damit also nicht verdienen. Was ihn antreibt? „Ich musste es tun. Es war mein fucking Sinn für Gerechtigkeit.“

Keine Anzeige, keine Vermissten - keine Ermittlungen

Zuerst verfolgt Hoesslin den Weg des Videos. Der Absender TMT in Norwegen hatte es im Internet entdeckt, bevor YouTube es wegen des brutalen Inhalts löschte. Hochgeladen, so findet Hoesslin heraus, wurde es auf den Fidschi-Inseln. Dort stehen Snuff-Videos hoch im Kurs: blutrünstige Filme, die Morde und Massaker zeigen. Meist handelt es sich um verwackelte Smartphone-Videos von Fidschi-Soldaten, mehr als 600 von ihnen sind als UN-Blauhelme weltweit in Kriegsgebieten unterwegs.

Mit furchterregenden Bildern von ihren Einsatzorten wollen die Fidschi-Soldaten den Angehörigen daheim im Südseeparadies Nervenkitzel bereiten. Dort werden die Killer-Videos vor allem per Bluetooth verbreitet. „Aber bei diesem war es anders“, sagt Hoesslin, „es befand sich auf einem Handy, das ein Typ 2013 von einem taiwanischen Schiff im Fidschi-Hafen Suva geklaut hatte.

Die Polizei schnappte ihn, beschlagnahmte das Handy, entdeckte den Film – sah aber keinen Grund, Ermittlungen aufzunehmen. Denn niemand hatte Anzeige erstattet, und kein Insulaner wurde vermisst. Ein Mord im rechtsfreien Raum.“ Vermutlich die Freundin eines Polizisten stellte das Video 2014 ins Internet.

Spurensuche im Wasser

Hoesslin versucht, Tatort und -zeit einzugrenzen. Sonnenposition und Strömung verraten ihm, dass der Film nicht vor den Fidschi-Inseln in der Südsee entstanden sein kann. Dort gibt es den sogenannten Äquatorialen Gegenstrom nicht, der das Wasser zwischen Mai und Oktober Richtung Osten drückt.

Dieses Phänomen erkennt Hoesslin auf dem Video. Es existiert nur auf der Nordhalbkugel. Alles spricht dafür, dass der Mord im Indischen Ozean stattgefunden hat. Vermutlich zwischen Somalia und den Malediven.

Der größte Coup

In dieser Meeresregion kennt Hoesslin sich aus. Hier landete er am 10. März 2013 einen seiner größten Coups: die Befreiung der „Smyrni“, des besagten griechischen Megatankers, 275 Meter lang, 48 Meter breit, die meisten der 26 Besatzungsmitglieder an Bord aus Indien. Ein knappes Jahr zuvor war die „Smyrni“ von somalischen Gangstern geentert worden und dümpelte seitdem vor der Piratenküste in Sichtweite des Landes.

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Wochenlang verhandelte Hoesslin mit den Piraten, und als die Lösegeldsumme für beide Seiten stimmte, heuerte er in Mombasa einen knallrot lackierten Hochseeschlepper mit Besatzung an, die „Condor“, beschaffte Waffen, Schutzkleidung, Elektronik, ein Speedboot und ein mobiles Hospital für die Geiseln an Bord – sowie einen einbruchsicheren Stahlcontainer für das Geld. „Bei 14,5 Millionen kannst du niemandem trauen“, sagt er, „nicht mal deinen eigenen Leuten.“

Seine Aufgabe: den eigenen Leuten Angst einjagen

Dann dampfte die „Condor“ los, an Mogadischu vorbei Richtung Norden. Noch war das Geld nicht an Bord. Viel zu riskant. Es sollte erst vor dem Horn von Afrika aus einem Flugzeug abgeworfen werden: unregistrierte Dollar-Noten aus Hongkong, auf Malta in knallgelbe wasserfeste und schwimmfähige Behälter verpackt und mit einer russischen Antonow zur Drop-Zone geflogen.

Hoesslins Aufgabe war es, den Antonow-Piloten so viel Angst einzujagen, dass sie keinen Diebstahl wagten. Und er musste dafür sorgen, dass er die Geldbomben aus dem Wasser fischen konnte, bevor dies irgendwelche Piraten taten, von denen es genug in dieser Meeresregion gibt. Keine ganz einfache Aufgabe. Aber es klappte.

Einen Tag später übergab er die Millionen an einen Trupp schwerbewaffneter Piraten, die sich Hario, Abdul, Master, Star, Charmer und Chief-Chief nannten und mit einem Schnellboot davonbrausten. Danach ging Hoesslin mit seinem Team an Bord der „Smyrni“, befreite die Geiseln, untersuchte sie medizinisch, kleidete sie neu ein und ließ die Maschinen des Tankers anwerfen.

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Ein spanisches Kriegsschiff begleitete die „Smyrni“ nach Salalah im Oman und meldete den Erfolg in der internationalen Presse. Hoesslin verdrückte sich mit der „Condor“ unauffällig wieder Richtung Kenia. In seinem Job geht es normalerweise nicht um Ruhm und Heldentum. Normalerweise.

Hinrichtung vor der somalischen Küste

Doch was Hoesslin zum damaligen Zeitpunkt nicht weiß: Während er vor der somalischen Küste um die „Smyrni“ kämpft, bahnt sich etwa hundert Meilen weiter draußen in der Arabischen See ein anderes Drama an. Eines, das in jenem Hinrichtungsvideo gipfeln soll, das Hoesslin die Geschäfte vergessen und auf Gerechtigkeit sinnen lässt.

Ein Konvoi von vier Longlinern aus Taiwan durchpflügt das Meer auf der Suche nach wertvollem Thunfisch. Sie haben eine Fischerei-lizenz der Seychellen, fischen aber illegal in den piratenverseuchten Gewässern Somalias – mit bis zu 130 Kilometer langen Leinen, daran bis zu 20.000 handtellergroße Haken.

Jeder Haken wird mit einer Makrele oder einem Tintenfisch bestückt, während er an der Leine von einer riesigen Trommel ins Wasser gleitet. Wird die Leine wieder eingeholt, reißt die Mannschaft den Fang vom Haken. Sofern nicht andere schneller sind.

Denn ebenfalls in diesen Gewässern, wo kein funktionsfähiger Staat mehr für Recht und Ordnung sorgen kann, sind Hunderte kleiner Holzboote unterwegs, genannt Dhau, bis zu 15 Meter lang. Die Dhau-Besatzungen transportieren Waren, schmuggeln Menschen, Waffen, Munition oder Drogen. Und wenn sie die Chance haben, eine Thunfischleine zu plündern, dann tun sie das.

Die Rache der Kapitäne

Die chinesischen Kapitäne sind dagegen gerüstet. Sie haben bewaffnete pakistanische Security an Bord gegen Diebe, Piraten, aber auch gegen die eigene Besatzung. Die Seeleute an Bord der taiwanischen Longliner – Männer aus Vietnam, Indonesien und von den Philippinen – sind schlecht bezahlt, werden misshandelt, wenn sie nicht genug Leistung bringen.

Hoesslin weiß das alles. Er verfolgt die Machenschaften der illegalen Fangflotten seit Jahren. „Die bleiben oft monatelang draußen“, sagt er, „versorgt von Frachtern und kleineren Tankern, die im Südchinesischen Meerentführt werden. Wahrscheinlich fahren auf unseren Ozeanen Hunderte von Schiffen, die umgespritzt und umbenannt wurden. Das ist eine mafiaähnliche Organisation.“

Als Hoesslin beginnt, das Mordvideo auszuwerten und Recherchen anzustellen, erkennt er diesen Zusammenhang: Eines der Stahlschiffe in dem Film kann Hoesslin anhand der Funkrufnummer auf der Bordwand (BI2353) als taiwanischen Trawler „Chun I No. 217“ identifizieren. Es ist ein rostiger, 55 Meter langer Longliner. Die Behörden der Seychellen bestätigen ihm, dass die „Chun I No. 217“ seit Jahren im Indischen Ozean kreuze.

Und das gesunkene Holzboot im Wasser scheint von der Form her eine Dhau aus dem Jemen oder Iran zu sein. „Wahrscheinlich haben die Taiwaner die Dhau-Leute dabei erwischt, wie sie die Fangleinen plünderten“, sagt Hoesslin. „Dann gilt auf See das Gesetz des Stärkeren.“ Wie es aussieht, rammten und versenkten sie das Holzboot mit ihrem Stahlschiff und knallten die Überlebenden im Wasser einfach ab. Die Indizien, sein Instinkt und die Erfahrung sagen Hoesslin, dass es so war.

Das Phantom-Schiff

Jetzt geht es darum, die Tat zu beweisen. Schreibtischarbeit. Analysen. Von dem Schiff, auf dem sich der Mordschütze befand, gibt es keine Videobilder, man sieht nur Teile des Bugs und der Aufbauten. Hoesslin vergleicht über 3000 Fotos von 300 verdächtigen Schiffen. Dann hat er eine Vermutung: Die Schüsse könnten vom Schwesterschiff der „Chun I No. 217“ abgefeuert worden sein, der gut 20 Jahre alten „Ping Shin No. 101“.

Hoesslin arbeitet sich durch Besatzungslisten, Fischereiprotokolle und Schiffstagebücher, dann ist er sich sicher, dass er den Auftraggeber der Morde hat: Die „shoot, shoot, shoot!“ fordernde Stimme aus dem Bordlautsprecher gehört einem Kapitän vom chinesischen Festland: Feng Yu Wang alias Captain Hoodlum.

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Diesen Mann will Hoesslin haben. Und sein Schiff. Das Problem: Angeblich ist die „Ping Shin No. 101“ am 7. Juli 2014 nach einem Wassereinbruch im Maschinenraum mitten im Pazifischen Ozean gesunken – an einer Stelle, so weit entfernt vom Land wie keine andere. Die Besatzung: angeblich dem Tod entronnen auf Rettungsinseln. Der Tatort mit Fingerabdrücken, Schmauchspuren und anderen forensischen Hinweisen: weg.

Hoesslin ahnt, dass der Verlust des Schiffes nur inszeniert ist und der Trawler schon längst wieder Thunfische jagt, allerdings frisch lackiert und unter neuem Namen. Die dafür notwendigen gefälschten Papiere gibt es für 2000 Dollar. Krimineller Alltag in der Seefahrt.

Die Falle mit der chinesischen Hure

Hoesslin muss den Fall anders lösen. Er stellt Captain Hoodlum eine Falle. In der ersten Februarwoche 2017 schnappt sie zu. Da läuft Hoodlums neues Schiff nach Monaten auf See zum ersten Mal wieder einen Hafen an: Colombo auf Sri Lanka. Als Hoodlum das Beiboot besteigt, um ins „Juliana“-Hotel zu fahren, wohin er sich eine chinesische Hure bestellt hat, ist Hoesslin schon da.

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Über Seefunk hat er Kontakt mit dem chinesischen Trawler-Kapitän aufgenommen. Hoesslins Legende, möglichst nah an der Wahrheit, wie alle guten Fakes: Er sei Besitzer einer Offshore-Security-Firma, die den Auftrag habe, Schiffe sicher durch den Indischen Ozean zu eskortieren. Dafür brauche er Leute mit Erfahrung in High-Risk-Gebieten, die nicht zögern zu schießen, wenn es darauf ankomme. Natürlich ist der Job außergewöhnlich gut bezahlt.

Hoodlum beißt an. Er will sich mit Hoesslin treffen. In einem Hotelzimmer. Hoesslin trägt ein Mikrofon und hat eine Minikamera dabei, er zeichne das angebliche Vorstellungsgespräch für seine Partner auf, sagt er. Hoodlum ist misstrauisch, wittert aber das große Geld, das macht ihn nachlässig. „So läuft das oft“, sagt Hoesslin, „die Gier korrumpiert den Verstand.“

"Klar, das waren wir"

Der Kapitän ist 38 Jahre alt wie Hoesslin, aber viel kleiner, höchstens 1,50 Meter. Dennoch hält er sich für einen großen Gangster. Er trägt zum modischen T-Shirt coole Jeans und setzt die Sonnenbrille nur ungern ab. Nicht einmal als Hoesslin ihm das Killervideo zeigt: „Ich glaube, dass Sie diese Szene kennen“, sagt Hoesslin. „Es wäre ein schöner Beweis dafür, dass Sie der Typ sind, den wir brauchen. Ein Mann, der nicht zögert, gerade wenn eine harte Entscheidung gefällt werden muss.“

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Der Mann mit der dunklen Brille ist nicht besonders helle: „Klar“, sagt er, „das waren wir. Ich hab geschossen.“ Kleine Pause, kleines Grinsen. „Und ich hab getroffen!“

Hoesslin hat alles auf Band. Trotzdem kann er nichts unternehmen. Es fehlt eine sogenannte Red Notice von Interpol, ein weltweiter Haftbefehl.

Die internationale Polizeibehörde kennt zwar den Fall, Hoesslin arbeitet eng mit ihr zusammen, aber solange kein Staat einen offiziellen Strafantrag stellt, gibt es keine Möglichkeit, Hoodlum festzunehmen. „Das ist ärgerlich“, sagt Hoesslin, „aber leider nicht ungewöhnlich. Niemand vermisst die armen Schlucker, die da abgeknallt wurden. Niemand möchte ihretwegen Aufwand betreiben.“

Deal mit der Todesschwadrone

Der kleine Mann verschwindet mit dem Mädchen auf sein Zimmer. Hoesslin fliegt nach Manila, die Hauptstadt der Philippinen, wo zurzeit Todesschwadrone der Polizei Jagd auf Drogendealer und Junkies machen. Ein unübersichtliches, gefährliches Pflaster, nicht nur für Kriminelle. Tausende wurden bereits ermordet. Präsident Duterte hat 50.000 weitere Tote angekündigt. „Ich werde sie alle erledigen“, sagt er.

Hoesslin verhört philippinische Seeleute, die unter Captain Hoodlum gearbeitet haben. Sie berichten von menschenverachtenden Zuständen, Demütigungen, Prügel an Bord. Falls niemand etwas wegen der Morde unternimmt, vielleicht erwischt es Hoodlum dann wenigstens wegen Misshandlung Untergebener. Wenn er erst mal im Knast sitzt, hat Hoesslin mehr als genug Zeit, sich um die Red Notice zu kümmern. Falls sein Gegner die Haft überlebt.

Hoesslin schickt Hoodlum ein Einwegticket. Shanghai–Manila. „Der neue Job ist sicher“, schreibt er ihm über WhatsApp. „Wir machen den Deal.“ Hoodlum ahnt noch immer nicht, dass Hoesslin nicht sein neuer Boss, sondern sein Jäger ist. Jetzt in Manila soll es zum Showdown kommen.

Die philippinische Polizei macht mit. Aber sie findet den Aufwand übertrieben. Festnahme, Gerichtsverhandlung, Knast. „Sir“, sagen die Polizisten, „das können Sie doch viel einfacher haben. 200 Dollar – und wir packen ihm ein paar richtig üble Drogen ins Gepäck. Dann ist dieser Mr Hoodlum ratzfatz ein toter Mann.“

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Hoesslin lehnt den Deal ab. „Ich hätte mich auf Hoodlums Niveau begeben“, sagt er, „ich hätte mich schmutzig gefühlt.“ Er fährt zum Flughafen. Doch der Chinese kommt nicht in die Ankunftshalle. Hoesslin wartet eine Stunde, zwei Stunden. Dann ruft er seine Kontaktleute bei der Polizei an. Noch einmal zwei Stunden später rufen sie zurück: „Die Grenzpolizei hat ihn abgewiesen und in die nächste Maschine zurück nach China gesetzt. Er sah aus wie ein Drogendealer.“

"Verdammt schlechte Nachrichten"

Hoesslins letzter Versuch: Pfingsten 2017. Er wartet im „IClub“-Hotel im Hongkonger In-Viertel Wan Chai auf Hoodlum. Der Captain hat sich selbst bei seinem Jäger gemeldet. Er ist pleite und will endlich den gut bezahlten Security-Job! Jetzt sitzt er Hoesslin in einer Pizzeria hinterm Hotel gegenüber. Hoesslin hat vorsichtshalber das Besteck weggeräumt. Die Pizza muss per Hand gegessen werden. Der Tisch ist im Blickfeld einer Kamera. Sicher ist sicher.

„Haben Sie endlich den Vertrag dabei?“, fragt Hoodlum. „Natürlich“, sagt Hoesslin und schiebt einen Umschlag über den Tisch. Hoodlum öffnet ihn, nimmt den Inhalt heraus – und erstarrt. Da ist kein Vertrag, sondern Fotomaterial. Bilder von dem Mord auf See. Ein Schnappschuss von Hoodlum. Die Tatwaffen.

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„Ich habe keinen Job für Sie“, sagt Hoesslin, „ich habe nur verdammt schlechte Nachrichten.“ Dann schiebt er seine Detektiv-ID über den Tisch. „Ich verfolge Sie seit Monaten. Erzählen Sie mir die ganze Geschichte, sonst garantiere ich Ihnen, dass Sie nie wieder nach China zurückkommen.“ Hoesslin blufft. Er hat immer noch keine Red Notice von Interpol. Er kann Hoodlum nicht festhalten. Er kann gar nichts unternehmen. Aber er will endlich die Wahrheit wissen.

Das Finale

Der Bluff wirkt. Hoodlum bricht zusammen, weint, fleht – und bestätigt fast alle Recherchen von Hoesslin. Er nennt Hintermänner (ein kriminelles chinesisches Syndikat), den Namen des vierten Schiffes (die „Liao Yuan Yu 99“), die wahre Zahl der Todesopfer („über 20, vielleicht 30“) – und den Grund für das Blutbad: „Sie waren Piraten.“

„Waren sie bewaffnet?“
„Nein.“
„Haben sie euch angegriffen?“
„Nein.“
„Warum habt ihr dann geschossen?“
„Weil es dafür Prämien gibt.“
„Von wem?“
„Vom Eigner der Schiffe.“

Nun kennt Hoesslin die ganze Geschichte. Er hat alle Beweise. Er hat ein Geständnis. Fehlt nur noch der staatliche Strafantrag Chinas. „Das braut sich gerade zusammen“, meldet Hoesslin einige Wochen später per Mail. Hoodlum stehe jetzt mit einem Bein im Knast. „Er ist am Ende.“ Karsten von Hoesslin, der Vergelter der Meere, hat den Killer endlich zur Strecke gebracht.