Traumhafte Strände, elfenbeinfarbener Sand, kristallklares Wasser: Die Küsten der Pazifikinsel Pearl Harbor locken jedes Jahr tausende Touristen an. Doch das pittoreske Paradies in der Karibik ist bedroht - von einem amerikanischen Kriegsschiff.
Der 185 Meter lange Koloss aus Stahl trägt den Namen "USS Arizona“ und wurde am 7. Dezember von japanischen Jagdbombern beim Angriff auf Pearl Harbor versenkt. Heute ist das Schiffswrack Mahnmahl und Touristenattraktion zugleich.
Was allerdings kaum jemand weiß: Auch 76 Jahre später sind die rostigen Dieseltanks der „USS Arizona“ immer noch prall mit Sprit gefüllt. In den Tanks lagern mehr als zwei Millionen Liter Treibstoff.
Die "schwarzen Tränen" - ein verklärtes Vermächtnis
Für viele Seeleute wurden die Schiffe zum stählernen Sarg. Nun tritt ihr schwarzes Vermächtnis langsam an die Oberfläche – und bedroht die Menschen in der Gegenwart.
Für viele Besucher der wohl berühmtesten US-Gedenkstätte auf Hawaii, sind es die "schwarzen Tränen“ der gefallenen und ertrunkenen Seeleute, die in Form von Öl glucksend an der Wasseroberfläche auftauchen. Es ist eine verklärt romantische Sicht auf die Vergangenheit, die jedoch von der eigentlichen Bedrohung ablenkt.
Ein unantastbares Mahnmal - und eine tickende Zeitbombe
Das Wrack der „USS Arizona“ ist für die Amerikaner ein unantastbares Mahnmal - doch es korrodiert jeden Tag weiter. Würden die Tanks bersten, hätte das fatale Auswirkungen auf die Fauna und Flora des gesamten Küstengebiets. Es wäre eine Naturkatastrophe ungeahnten Ausmaßes: Das austretende Schweröl könnte die gesamte Küste für immer verpesten.
Die USS Arizona ist jedoch lediglich eines von beängstigend vielen Wracks aus dem Zweiten Weltkrieg.
8569 potenziell umweltgefährdende Großschiffwracks
Zwischen 1939 und 1945 wurden im Atlantik, in Nord- und Ostsee, im Mittelmeer und im Pazifik rund 2882 Handelsschiffe mit insgesamt 14.408.422 Bruttoregistertonnen versenkt. Teilweise mit hunderttausenden Litern Benzin und Diesel an Bord, um die kämpfenden Einheiten auf dem Festland mit Nachschub zu versorgen.
Als im Jahr 2004 ein Expertenteam anlässlich der "International Oil Spill Conference“ beauftragt wurde, herauszufinden, wie viele Schiffswracks sich in den Meeren befinden und wie viel Öl darin noch gebunkert sein könnte, fiel das Ergebnis erschreckend aus: 8569 potenziell umweltgefährdende Großschiffwracks liegen in den Tiefen der Ozeane.
20 Millionen Tonnen Rohöl und Schiffsdiesel
Eine konservative Schätzung ergab, dass in den rostigen Tanks und Frachträumen noch über 20 Millionen Tonnen Treibstoff, Rohöl und Schiffsdiesel lagern. Dreiviertel der Wracks stammen aus dem Zweiten Weltkrieg - 6338 Schiffe, verteilt über alle Weltmeere.
In den Rümpfen lagert fast 400 mal so viel Öl, wie 1989 aus dem Tanker "Exxon Valdez" vor der Küste Alaskas auslief. Es war eine der schlimmsten Umwelt-Katastrophen der Welt.
Der zerstörerische Prozess ist unaufhaltbar
Die Korrosion der alten Wracks wird von vielen Faktoren beeinflusst: Wassertiefe, Temperatur, Salzgehalt, Strömungsverhältnis. Dadurch läuft der zerstörerische Prozess bei jedem Schiffswrack anders ab - aufzuhalten ist er jedoch nicht.
Pro Jahrzehnt nehmen die Stahlplatten zwischen 0,5 und zwei Millimeter Dicke ab. "Was nach wenig klingt, summiert sich mit der Zeit. Verlieren die Stahlplatten drei bis zehn Millimeter ihrer Dicke, werden sie instabil und können bereits unter leichtem Druck brechen", sagt der australische Wissenschaftler Chris Selman im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung“.
Aufklärungsflüge und Satellitenbilder verheißen nichts Gutes
Ob im Pazifik oder Atlantik, in der Nord- oder Ostsee - in allen Meeren der Welt schlagen die Weltkrieg-Wracks Leck. Ein Blick in die Liste der bereits passierten Zwischenfälle lässt nichts Gutes für die Zukunft erahnen.
Im Juli 2014 sichtete ein Aufklärungsflugzeug der US-Küstenwache einen Ölteppich über dem Wrack des 1942 vor North Carolina versenkten Tankers W. E. Hutton. Im August 2015 leckte das Wrack des Zerstörers USS Murphy vor der Küste von New Jersey. Im Oktober 2016 registrierten Satellitenbilder Ölteppiche über dem vor New York versenkten Tanker „Coimbra“, teilweise bedeckten sie eine Fläche von anderthalb Quadratkilometern.
Das Problem: Wer trägt die Kosten?
Da die Kosten für die Beseitigung einer Ölpest um ein Vielfaches höher wären, als das Abpumpen der alten Treibstofftanks, diskutieren Umweltschützer, Reedereien und Regierungen darüber, was mit dem schweren Erbe passieren soll.
Bei Worten ist es allerdings bisher geblieben. Unternommen wurde bisher noch nichts. Das liegt an mehreren Problemen. Zwar ist der Besitzstatus der ehemaligen Kriegsschiffe eindeutig, da sie zu Kriegszeiten unter der Flagge des jeweiligen Landes fuhren, doch nach geltendem Recht können sich diese Länder auf höhere Gewalt berufen, da die Schiffe im Krieg sanken. Die Staaten würden auf den Kosten sitzen blieben.
"Extrem gefährlich für die Umwelt"
Eine Ausnahme stellt Norwegen dar. Das skandinavische Land will nicht mehr länger warten, bis etwas passiert. Deshalb haben die Norweger eigenständig begonnen, das Öl aus alten Tanks abzupumpen. Der Kostenpunkt für die Bergungsaktion: 100 Millionen Euro.
Die Summen für derartige Bergungsaktionen sind horrend. Daher ist wohl in nächster Zeit nicht damit zu rechnen, dass auch die Treibstofftanks der Arizona und anderen Schiffswracks abgepumpt werden. Versuchen die zuständigen Behörden, die ganze Angelegenheit einfach auszusitzen?
"Das sieht doch keiner. Lass es einfach liegen!"
Auf dem Grund vor der „Polnischen Riviera“, einem Küstenabschnitt der bekannt für seine vielfältige Fauna- und Flora ist, liegt beispielsweise die „Stuttgart“. Das deutsche Kriegsschiff wurde im Zweiten Weltkrieg versenkt.
Über die Jahre sind bereits knapp 1000 Tonnen Schweröl aus dem Rumpf gesickert. Chemische Wasser-Analysen eines Expertenteams um den Hydrologen Benedikt Hau haben ergeben, dass die Werte für polyzyklische-aromatische Kohlenwasserstoffe extrem erhöht waren. Teilweise wurden Werte erhoben, die die vom polnischen Umweltministerium festgelegten Grenzwerte tausendfach überschritten.
An der teilweise hart umkämpften Küstenlinie sanken damals mehr als 900 Schiffe auf dem Meeresgrund. 29 davon hat die Küstenbehörde "Kystverket“ als "extrem gefährlich“ für die Umwelt eingestuft, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Als Wissenschaftler die polnischen Behörden mit dieser Hiobs-Botschaft konfrontierten, bekamen sie eine ernüchternde Antwort: "Das sieht doch keiner. Lasst es einfach liegen!"
In Anbetracht des bedrohlichen Ausmaßes der tickenden Zeitbomben auf dem Meeresgrund bekommt das Wort "Mahnmal“ eine neue Bedeutung. Die ewigen Seemannsgräber sind - wahrhaftiger als je zuvor - eine schmerzliche Erinnerung. Sie sind eine Absurdität, die am Ende nur Verlierer übrig lässt.