Das Video beginnt völlig unvermittelt. Vor einem weißen Hintergrund sitzt ein junger Mann und blinzelt nervös in die Kamera. „Ich bin aus Nordkorea“, sagt er auf Englisch und hält zum Beweis seinen Pass hoch. „Vor wenigen Tagen wurde mein Vater ermordet.“ Seine Stimme klingt angespannt, aber gefasst. Er befinde sich in Sicherheit, sagt er. Über seinen Aufenthaltsort verrät er nichts. Am Ende des 41 Sekunden langen Videos äußert er die Hoffnung, dass sich seine Lage bessern wird. Dann wird das Bild schwarz.
Der junge Mann heißt Kim Han Sol. Sein Vater, Kim Jong Nam, wurde am 13. Februar 2017 in Kuala Lumpur ermordet. Den Auftrag dazu gab, so wird weithin vermutet, Kim Jong Nams Halbbruder, der Oberste Führer der Demokratischen Volksrepublik Korea: Kim Jong Un.
Erst 33 Jahre alt, ist er der jüngste amtierende Diktator der Welt. Und einer der gefährlichsten. Am 4. Juli dieses Jahres präsentierte er den „amerikanischen Bastarden“, wie er es nannte, ein besonderes „Geschenk“ zum Unabhängigkeitstag: den erfolgreichen Test einer Interkontinentalrakete, die bis zur Westküste der USA reicht.
Sobald seine Kernwaffenexperten einen Sprengkopf entwickeln, der klein genug für eine Hwasong-14-Rakete ist, verfügt er über eine Waffe mit unvorstellbarer Zerstörungskraft. Doch angesichts all der Drohgebärden, die Kim Jong Un an die Welt richtet, wird eines oft übersehen: Er trägt auch im eigenen Land einen Kampf aus. Den ums eigene Überleben.
Scheinbar sicher
Wie jeder Autokrat steht Kim Jong Un ständig unter Druck, seine Macht aufrechtzuerhalten. Seine Jugend und Unerfahrenheit erschweren seine Lage zusätzlich. Nie darf er die Kontrolle verlieren, jegliche Opposition muss ausgeschaltet werden. Deshalb ist niemand vor ihm sicher – nicht einmal seine eigene Familie.
Drei Wochen bevor Kim Han Sols Video auf YouTube erscheint, ist der 22-jährige Halbneffe des Diktators mit seiner jüngeren Schwester und seiner Mutter in Macau. Bereits in den frühen 2000ern sind sie aus Nordkorea in die ehemalige portugiesische Kolonie gezogen, die heute unter chinesischer Sonderverwaltung steht. In Macau lebt die Familie unter dem Schutz der örtlichen Behörden. Dort ist sie sicher.
Der Vater, Kim Jong Nam, ist am Morgen des 13. Februar nicht bei ihnen. Er befindet sich am Flughafen der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur und möchte zurück zu seiner Familie fliegen. Im Terminal zwei wimmelt es vor Menschen. Und was sich dort gegen neun Uhr morgens abspielt, wird von einer Überwachungskamera aufgezeichnet.
Kim Jong Nam, 45, gekleidet in T-Shirt, Jeans und Blazer, betritt allein und mit einem schwarzen Rucksack über der Schulter das Terminal. Er studiert die Anzeigetafel, dann geht er in Richtung eines Check-in-Automaten. Eine Frau in weißer Bluse nähert sich ihm von hinten, greift um seinen Kopf und wischt mit einem Tuch über sein Gesicht.
Es entsteht ein kurzer Disput, währenddessen ihm eine weitere Frau von vorn über die Wangen streicht. Im nächsten Moment gehen beide Frauen in unterschiedlichen Richtungen davon und tauchen in der Menge unter.
Die sozialistische Monarchie
Kim eilt zum Info-Schalter, deutet hektisch auf seine Augen. Polizisten geleiten ihn zur Flughafenklinik. Noch kann er ohne Hilfe gehen. Doch ein nur Minuten später aufgenommenes Foto zeigt ihn zusammengesunken in einem Stuhl der Klinik, die Arme ausgestreckt, die Augen glasig. Kim Jong Nam stirbt noch auf dem Weg zum Krankenhaus.
Toxikologen finden später Spuren des Nervengifts VX auf seiner Haut. Ihm wurden zwei geruchs- und geschmacksfreie Chemikalien verabreicht, die schon für sich allein gefährlich sind, in der Kombination jedoch tödlich wirken – eine mögliche Erklärung für den Doppelangriff der zwei Frauen. Ein einziger Tropfen führt innerhalb weniger Minuten zum Tod.
Kim Jong Nam wurde in einem Staat geboren, der sich offiziell als sozialistisch bezeichnet, in Wahrheit aber geführt wird wie eine absolute Monarchie: Nordkorea. Sein Großvater Kim Il Sung, seit der Gründung der Volksrepublik 1948 die geistige Galionsfigur des Landes, wurde von der UdSSR zu Beginn des Kalten Krieges ins Amt eingesetzt und sollte ein kommunistisches Regime installieren.
Um sich die Ergebenheit seines Volkes zu sichern, vertraute Kim jedoch nicht allein auf Hammer und Sichel. Er und seine Berater bezogen sich auf die koreanische Geschichte und Kultur sowie auf Mystik, Schamanismus und Christentum, um eine einzigartige Version des Marxismus-Leninismus zu formen.
Sie erschufen eine soziale Ordnung, die auf einem Personenkult aufbaute, der gleichzeitig vertraut und neu war. Wie der Gründer des alten Korea 1000 Jahre vor ihm, berief Kim sich auf seine Abstammung vom Mount Paektu, dem Vulkan, der für viele Koreaner spirituelle Bedeutung besitzt. Vom heiligen Berg „herabgestiegen“ zu sein bedeutete, dass er – und seine Nachfahren – gottgleich waren.
Eine Welt höfischer Intrigen
Aber auch die Mythologie reichte nicht aus, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Seit Jahrzehnten haben die Kims Widersacher beseitigt, ins Exil geschickt oder hingerichtet. Meist ohne dass ihnen ihre Taten nachgewiesen werden konnten. In Nordkorea verschwinden ständig Menschen – sogar wenn sie hohe Führungsposten bekleiden.
Bereits als Kim Il Sung in den frühen 1970ern begann, sich Gedanken über seinen Nachfolger zu machen, bewährte sich sein ältester Sohn Kim Jong Il, indem er die Familie von sogenannten Kyotkaji – Nebenzweigen – befreite. „Um seine Loyalität zu beweisen, merzte er gnadenlos jeden aus, der ihm missfiel“, schrieb ein hochrangiger Parteisekretär, der 1997 nach Südkorea übergelaufen war, in seinen Memoiren.
Als Erstes sorgte Kim Jong Il für die Umsiedlung seines Onkels, eines damals aufsteigenden Sterns der Arbeiterpartei, in die entlegene Provinz Jagang. Dann wurde Kims Halbbruder an immer neue nordkoreanische Botschaften in Osteuropa versetzt. Schon bald galt Kim Jong Il intern als sicherer Thronfolger. Doch er musste noch 20 Jahre warten, bis er nach dem Tod seines Vaters 1994 – im Rahmen der ersten Erbfolge in der kommunistischen Welt – zum Staatsoberhaupt aufstieg.
In diese Welt aus höfischen Intrigen wurde Kim Jong Nam 1971 in Pjöngjang hineingeboren: als Sohn von Kim Jong Il und dessen damaliger Geliebter. Seine Geburt war in den staatlichen Medien kein Thema. Doch sein Vater vergötterte ihn: Nordkoreanische Diplomaten wurden angewiesen, teure Spielsachen zu besorgen, darunter Diamantuhren und vergoldete Pistolen.
Vater und Sohn wurden in identischen Cadillacs chauffiert. Kim Jong Il erzog seinen ältesten Sohn für ein künftiges Leben als allmächtiger Politiker des Landes, so wie es sein Vater mit ihm getan hatte. Er nahm ihn nicht nur mit in sein Büro, er steckte ihn in eine Militäruniform und sagte: „Hier wirst du einmal die Befehle erteilen.“
Konkurrenz für den Kronprinz
Doch Kim Jong Nam bekam bald Konkurrenz um die Zuneigung des Vaters. In den nächsten zwei Jahrzehnten zeugte Kim Jong Il mindestens vier weitere Kinder: eine Tochter mit seiner Frau sowie zwei Söhne und eine Tochter mit einer anderen Geliebten. Kim Jong Un war der jüngere dieser beiden Brüder. Und ebenso wie zehn Jahre zuvor seinen ältesten Sohn stattete der „Geliebte Führer“ nun auch den Jüngsten mit voller Militärmontur aus.
Als Söhne verschiedener Mütter und mit einem Altersunterschied von über zehn Jahren wuchsen Kim Jong Nam und Kim Jong Un an unterschiedlichen Orten in Pjöngjang auf. Kim Jong Nam behauptete, sie seien einander nie begegnet. Selbst in der Schweiz nicht, wo beide incognito ihre Schulzeit verbrachten.
Damals nahmen die meisten Beobachter an, dass Kim Jong Nam als ältester Sohn seinem Vater auf den Thron folgen würde. Aber der Junge interessierte sich mehr für Partys als für Politik. Er war ein geselliger Typ, der sich – kaum in der Pubertät – oft aus dem Haus schlich, um feiern zu gehen.
Für ein Leben im freudlosen Pjöngjang war er einfach nicht geschaffen. „Kim Jong Nam wurde in Nordkorea auf Händen getragen, doch er wollte lieber die Welt sehen“, sagt Lee Sin Uck, ein südkoreanischer Politikprofessor, der sich Ende der 90er-Jahre als Student in Moskau mit Kim Jong Nam angefreundet hatte.
Der dicke Bär in Disneyland
Nach einer geradezu skurrilen Verfehlung des Partyprinzen kam es 2001 zum Bruch mit dem allmächtigen Vater: Kim Jong Nam, inzwischen selbst dreifacher Vater – er hatte einen Sohn mit seiner Frau sowie einen Sohn und eine Tochter mit seiner Geliebten –, versuchte, in Tokio mit einem gefälschten Pass unter dem Namen Pang Xiong (auf Chinesisch: Dicker Bär) Disneyland zu besuchen.
Er wurde in Gewahrsam genommen, und der Vorfall machte international Schlagzeilen. Kim Jong Nam und sein Vater vereinbarten daraufhin, dass der Sohn nach Peking ziehen sollte, weit genug entfernt, um dem Regime weitere Peinlichkeiten zu ersparen.
In Peking scheiterte bald darauf Kim Jong Nams Ehe, und er zog mit seiner Geliebten und ihren gemeinsamen Kindern nach Macau. Dort führte er ein einfaches Leben, ging in Restaurants, traf Freunde, kleidete sich leger. Allerdings wurde er dabei ständig von einer Eskorte der örtlichen Polizei begleitet. Ob sie ihn beschützte oder überwachte, wusste er selbst nicht genau, wie er einmal dem japanischen Journalisten und Nordkorea-Experten Yoji Gomi erzählte.
"Die bloße Existenz wird zur Gefahr"
Seinem Sohn Kim Han Sol bot der Exilant eine normale Kindheit, wie er selbst sie nie hatte. Statt ihn auf ein Schweizer Internat abzuschieben und dort von nordkoreanischen Diplomaten überwachen zu lassen, schickte er ihn auf eine örtliche Privatschule. Doch das Leben, das Kim Jong Nam für sich und seine Familie geschaffen hatte, geriet aus den Fugen, als sein Vater im August 2008 einen Schlaganfall erlitt.
Während sich Kim Jong Il abseits der Öffentlichkeit erholte, übernahm Jang Song Thaek, der Ehemann der einzigen Schwester Kim Jong Ils, die Regierungsgeschäfte. Jang wollte die Zukunft des Regimes retten und arbeitete daran, seinen Neffen Kim Jong Un an die Macht zu bringen.
Obwohl Kim Jong Nam seit Jahren kein Interesse an Politik gezeigt hatte, sah sein Halbbruder in ihm einen Konkurrenten. 2009 schickte Kim Jong Un die Geheimpolizei zu einer Razzia in Kim Jong Nams Ferienhaus in Nordkorea und ließ Freunde von ihm verhaften. Seither vermied es Kim Jong Nam, Nordkorea zu besuchen.
„Wird in einer patriarchalischen Gesellschaft der erste Erbe verbannt und der zweite oder dritte Sohn erbt den Titel, wird die bloße Existenz des ältesten Sohns zur Gefahr“, sagt der südkoreanische Politikprofessor Lee Sin Uck. „Innerhalb der Paektu-Nachkommenschaft stellte Kim Jong Nam eine solche Bedrohung dar.“
Eine unvorstellbare Orgie von Säuberungsaktionen
Als Kim Jong Un im Dezember 2011 die Macht von seinem verstorbenen Vater übernahm, war er 27 Jahre alt – und die Lage in Nordkorea angespannter, als seine Vorgänger es je erlebt hatten. Die Wirtschaft befand sich auf einem Tiefstand. Die meisten Nordkoreaner verfügten weder über eine stabile Stromversorgung noch über fließendes Wasser. Politische Verbündete waren rar, und Pjöngjang geriet wegen seiner Menschenrechtsverletzungen international in die Kritik.
Um die Loyalität seiner Landsleute zu gewinnen, kopierte Kim Jong Un Aussehen und Auftreten seines legendären Großvaters. Er trug die gleichen Mao-Anzüge und Strohhüte wie Kim Il Sung und setzte dessen Wirtschaftspolitik in leicht modernisierter Form fort. Gleichzeitig fuhr er eine Strategie des Terrors, die noch umfassender war als die seines Vaters und Großvaters: Wer immer sich ihm entgegenstellte oder von ihm als Bedrohung empfunden wurde, fiel einer unvorstellbaren Orgie von Säuberungsaktionen zum Opfer.
Über 140 Partei-und Militärkader wurden unter Kims Herrschaft exekutiert, mit Flammenwerfern bei lebendigem Leib verbrannt oder vor den Augen ihrer Kameraden von Maschinengewehrsalven durchlöchert, wie das südkoreanische Institut für Nationale Sicherheitsstrategie in Seoul berichtet. Laut dem Washingtoner „Komitee für Menschenrechte in Nordkorea“ zeigen Satellitenbilder aus dem Jahr 2014 sogar eine Erschießung durch Flugabwehrgeschütze.
Auf der Abschussliste
Im Januar 2012, nur wenige Tage nach der Machtübernahme seines Halbbruders, schrieb Kim Jong Nam dem japanischen Journalisten Gomi: „Jeder klar denkende Mensch hätte Probleme damit, drei Generationen der Erbfolge zu akzeptieren. Es ist fraglich, wie ein junger Mann nach nur zwei Lehrjahren die absolute Macht übernehmen kann, die seit 37 Jahren besteht.“ Dann fährt er mit einer Fehleinschätzung – oder vielleicht einer gewollten Leugnung der Tatsachen – fort: „Kim Jong Un ist nicht mehr als nur eine Symbolfigur.“
In Pjöngjang stieß diese Kritik auf wenig Begeisterung. Doch Kim Jong Nam hatte einen Beschützer: Jang Song Thaek, den Onkel, der Kim Jong Un zur Macht verholfen hatte und der als zweitmächtigster Mann Nordkoreas galt. Er und seine Frau waren Kim Jong Nams Hauptverbindung nach Pjöngjang.
Als Jang im Jahr 2013 von einem Tag auf den anderen in Ungnade fiel, war’s mit der Protektion vorbei. Wohl, weil er fand, Jang sei zu mächtig geworden, ließ Kim Jong Un seinen Onkel wegen Verrats zum Tode verurteilen. Jangs Erschießung wurde in den Medien gezeigt und offenbarte erneut, dass nicht einmal ein naher Verwandter vor dem Obersten Führer sicher ist.
Auch Kim Jong Nam sollte bald herausfinden, dass er auf der Abschussliste stand, und er bat seinen Halbbruder um Gnade. „Ich bitte dich, den Bestrafungsbefehl gegen mich und meine Familie zurückzunehmen“, schrieb er in einem Brief, der Berichten zufolge vom südkoreanischen Geheimdienst abgefangen wurde. „Wir können nirgendwo hin, uns nirgendwo verstecken. Uns bleibt nichts außer Selbstmord.“ Doch Kim Jong Nam fand keine Gnade.
Versuchter Einbruch ins Leichenschauhaus?
In den Tagen nach seiner Ermordung im Februar 2017 entspann sich zwischen Nordkorea und Malaysia eine bizarre diplomatische Rangelei: Um eine Autopsie zu verhindern, behaupteten nordkoreanische Beamte, bei dem Toten handele es sich nicht um Kim Jong Nam, und verlangten die Auslieferung des Leichnams. Doch Malaysias Polizei weigerte sich und beschuldigte ihrerseits die Nordkoreaner, versucht zu haben, in ihr Leichenschauhaus einzubrechen.
Die beiden Frauen, die auf dem Überwachungsvideo zu sehen sind, wurden verhaftet: eine Vietnamesin und eine Indonesierin. Beide erklärten unabhängig voneinander, ihnen seien 100 Dollar für die Teilnahme an einer TV-Show mit versteckter Kamera versprochen worden, in der sie fremde Leute an öffentlichen Plätzen mit Tüchern belästigen.
Kurz darauf wurde ein in Kuala Lumpur lebender nordkoreanischer Chemiker verhaftet, später aber aus Beweismangel wieder freigelassen. Vier weitere Verdächtige hatten sich bereits nach Pjöngjang abgesetzt. Die Vietnamesin und die Indonesierin stehen derzeit in Kuala Lumpur vor Gericht. Werden sie für schuldig befunden, droht ihnen die Todesstrafe.
Nordkorea könnte schon jetzt Seoul oder Tokyo auslöschen
Sie wären nur zwei weitere Opfer Kim Jong Uns, der in den sechs Jahren seiner Amtszeit ein Höchstmaß an Ehrgeiz und Unbarmherzigkeit bewiesen hat, das von einem kompromisslosen Selbsterhaltungstrieb befeuert zu sein scheint. Trotz lähmender internationaler Sanktionen gegen sein Volk hält er an der Entwicklung von Kernwaffen und Raketen fest.
Schon jetzt verfügt Nordkorea über die Technologie, um die zwei 9-Millionen-Metropolen Seoul und Tokio auszulöschen. Solange dieser Kernwaffenvorrat besteht, ist ein Erstschlag gegen Nordkorea undenkbar – und ebenso lang wird Kim Jong Uns Herrschaft wohl anhalten.
Doch wird er sich jemals seiner Macht sicher sein? Und welche Familienmitglieder geraten als Nächste in sein Fadenkreuz? Seine Tante Kim Kyong Hui wurde seit der Exekution ihres Mannes Jang Song Thaek im Jahr 2013 nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Die Schwester des Obersten Führers hat zwar einen hochrangigen Parteiposten inne, ihr scheint aber nicht daran gelegen, ihren Bruder zu stürzen.
Andere Mitglieder der „königlichen Familie“ halten sich bedeckt. Und dann ist da noch der 22-jährige Kim Han Sol, dessen Video wenige Wochen nach dem Tod seines Vaters veröffentlicht wurde. Obwohl seine Mutter Kim Jong Nams Geliebte war und er weder seinen Großvater noch seinen Onkel je getroffen hat, ist er doch ein direkter Nachfahre von Kim Il Sung und damit ein Nachkomme der Mount-Paektu-Linie.
Die Jagd geht weiter
Mit seiner Hipster-Frisur und seinem Charisma ist Han Sol eine Ausnahmeerscheinung in der Kim-Dynastie: klug, neugierig, aufgeschlossen. Seine Schulbildung hat er im Ausland erhalten, er spricht fließend Englisch. In Interviews sprach er sich für Demokratie, Frieden und diplomatische Beziehungen aus. Er träume davon, „zurückzukehren und die Situation zu verbessern, das Leben meiner Landsleute zu erleichtern“, sagte er 2012 einem finnischen TV-Sender.
„Er ist ein weltgewandter, intelligenter junger Mann“, sagt der ehemalige US-Diplomat David Straub, Mitglied des Sejong-Instituts, einem Think-Tank in Südkorea. „Vielleicht stellt er auf lange Sicht die wahre Bedrohung für das Regime dar.“
Anfang November meldete die südkoreanische Zeitung „JoongAng Daily“, dass in Peking zwei Männer festgenommen wurden, die dem nordkoreanischen Geheimdienst Reconnaissance General Bureau angehören. Neben fünf weiteren Männern, deren Verbleib unbekannt ist, sollen sie mit einem klaren Auftrag nach China eingeschleust worden sein: der Jagd nach Kim Han Sol und dessen Ermordung.
Dieser Text wurde erstveröffentlicht in der September-Ausgabe 2017 des Magazins „ESQUIRE“ USA.
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