Herr Bauer, die Serie „Sam – Ein Sachse“ erzählt sehr eindringlich, wie Samuel Meffire in der DDR aufgrund seiner Hautfarbe angefeindet und bedroht wurde. Obwohl Sie in eine andere Zeit und in ein anderes System hineingeboren wurden: Haben Sie solche Momente selbst auch erlebt?
Nicht in der Form, dass ich irgendwo vermöbelt in der Ecke lag, und ich musste bislang nie Angst um mein Leben haben. Aber klar gibt es immer wieder Mikroaggressionen, und auch ich habe mich schon hier und da mal physisch durchsetzen müssen. Als Schwarzer Junge aufzuwachsen ist so, wie als Tiger aufzuwachsen: Wenn du klein bist, finden dich alle süß, du bist dieses exotische Ding mit den lockigen Haaren, alle wollen dich anfassen, und du bekommst irgendwelche Küsschen, nach denen du nicht gefragt hast. Aber irgendwann wirst du ein Mann, und du bist auf einmal eine Bedrohung. Dann musst du diverse Mechanismen erlernen, um die Leute davon zu überzeugen, dass du ein netter Tiger bist. Krallen braucht man trotzdem. Manchmal.
Haben Sie den echten Samuel Meffire kennengelernt?
Wir haben uns ein Dreivierteljahr vor Drehstart das erste Mal gesehen und sind dann im Lauf der Zeit immer enger miteinander geworden. Er hat mir sein Buch „Ich, ein Sachse“ in der Rohfassung anvertraut. Wir haben sogar eine mehrtägige Reise miteinander unternommen, bei der er mich zu wichtigen Orten seines Lebens geführt hat, die zum Teil auch Drehorte in der Serie wurden.
Welcher davon hat Sie am meisten beeindruckt?
Die Platte, in der er bei seiner Mutter aufgewachsen ist. Wir standen außen vor dem Haus, haben hochgeschaut, und er hat mir das Fenster gezeigt, in dem er als Kind saß, die Beine schon draußen, und sich überlegt hat: Was wäre eigentlich, wenn ich das jetzt hier beenden würde? Das war ein sehr intensiver Moment für mich, man sieht diese Szene auch in der Serie. Aber Samuel und ich haben zum Beispiel auch zusammen trainiert, er hat mir viele Kampftechniken beigebracht, die er sich angeeignet hat.
Was sind das für Kampftechniken?
Das ist eine Mischung aus allem, was er so an Schliff bekommen hat durch seine polizeiliche Nahkampfausbildung, gemischt mit Wing-Tsun-Elementen und dem, was sich während seiner Türsteher-Laufbahn als wirklich effektiv erwiesen hat. Das ist alles nicht schön, das sind keine choreografierten Spagat-Tritte, sondern hilft einem einfach möglichst schnell aus einer Bedrohungslage heraus.
Die Tatsache, dass Meffire nach seiner Polizeilaufbahn straffällig geworden ist, dass er brutale Überfälle begangen hat – war das ein Problem für Sie? Hatten Sie Bedenken, ihn dennoch als Vorbild darzustellen, mit dem sich viele Menschen identifizieren werden?
Meffire ist zwar der Protagonist dieser Serie, aber er wird und bleibt im Verlauf der Serie sehr streitbar. Mir gefällt dieses Dreidimensionale, moralische Helden interessieren mich gar nicht so. Ich bin Schauspieler, ich komme vom Theater und liebe die griechischen Stoffe – bei Shakespeare gibt es ja eigentlich nur Mord, Totschlag, Lust und Intrige.
Trotz des Titels hört man Sie in der Serie nicht Sächsisch sprechen. Weshalb?
Ich weiß auch nicht, woher das rührt, aber obwohl seine Mutter hardcore gesächselt hat, hat Samuel selbst schon in alten Interviews relativ lupenreines Hochdeutsch gesprochen. Meine Vermutung ist, dass es vielleicht daran liegt, dass du dir als Schwarzer Mann denkst, du hast ja bereits ein Ausschlusskriterium, dann muss wenigstens die Sprache stimmen und Eloquenz signalisieren. Das ist ja relativ allgemeingültig: Wenn du für etwas angezweifelt werden könntest, machst du deutlicher klar als vielleicht nötig, dass man das nicht tun sollte. Ich behaupte mal, Sie als Frau wissen, was ich meine.
Wobei ich mich bislang als sehr privilegiert empfunden habe.
Ich mich doch auch. Ich bin ein großer, heterosexueller, halb-schwarzer Mann. Ich sage „HALB“-schwarz wegen Colorism. Und keine einbeinige, Schwarze lesbische Frau. Das Spektrum Schwarzsein fängt irgendwo bei Oprah Winfrey an und geht bis zum Schwarzen Kind in der Coltan-Mine im Kongo. Und ich bin definitiv viel näher bei Oprah Winfrey. Trotzdem will ich, dass die Situation für Schwarze in unserer Gesellschaft noch besser wird. Heute gibt es Fragilitäten und Vokabularien, die in vorigen Generationen noch undenkbar gewesen wären. Gott sei Dank. Aber wenn wir es jetzt schaffen, weiter daran zu arbeiten, dann glaube ich, dass es nicht nur für die Schwarze deutsche Bevölkerung, sondern für die gesamtdeutsche Bevölkerung einfach ein besseres, geileres Land wird.
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