Text: Andrea Gerk
Die Gesellschaft erwartet, dass wir ständig gut drauf sind. Was für ein kleingeistiger Unsinn. Unsere Autorin findet mürrische Männer viel attraktiver als dauergrinsende Sonnyboys.
Am Ende meiner Schulzeit arbeitete ich einige Wochen in einem Kiosk am Badesee, um Geld für den ersten elternfreien Urlaub zu verdienen. Dieser Kiosk, in dem die Badegäste und Campingplatzbewohner kalte Getränke, Süßigkeiten und sonntags sogar frische Brötchen kaufen konnten, war eine Art Gravitationszentrum negativer Energien. Hier entlud sich alles, was ansonsten, weil ja Ferien waren, unterdrückt werden musste. Wellenartig schaukelte sich der Unmut hoch und entlud sich zuweilen in wüsten Beschimpfungen. War alles gesagt, gab man sich wieder seinen Urlaubsgefühlen hin, als wäre nichts gewesen. Was genau genommen auch stimmte.
Damals, als „die Väter, Gastwirte, Lehrer, Handwerker und Landwirte, (. . .) brummelige schweigsame Männer waren, die immer arbeiteten und kaum Verständnis für die Konsum- und Freizeitwünsche ihrer Kinder hatten“, erinnert sich die Musikerin Christiane Rösinger, schien niemand schlechte Laune besonders schlimm oder überhaupt bemerkenswert zu finden. Man nahm sie hin wie den institutionalisierten Frohsinn im „Komödienstadel“ oder im heimischen Partykeller.
„Wir leben in einer Diktatur der Positivität“
Heute kann man kaum noch in Ruhe schlecht gelaunt sein, für jede Stimmungsflaute muss man sich rechtfertigen, und die knurrigen Gesinnungsgenossen von früher trifft man fast nur noch in Film und Literatur. „Wir leben in einer Diktatur der Positivität“, schreibt der Journalist Tobias Haberl in der „Süddeutschen Zeitung“. „Alles Dunkle soll hell, alles Gefährliche abgeschafft, alles Triebhafte reguliert, alles Melancholische heiter gemacht werden.“
Die andere, schlecht gelaunte Hälfte passt nicht mehr ins kollektive Wohlfühlimage und in einen auf ökonomische Effizienz und emotionale Reibungslosigkeit angelegten Alltag. So wie wir auf gesunde Ernährung achten und uns körperlich fit halten sollen, muss offenbar auch das Gemüt permanent auf Hochglanz poliert werden.
Dabei erweist sich das, was wir leichtfertig als schlechte Laune abtun, bei genauer Betrachtung als wahre Wundertüte. Zügellos und anarchisch, wie sie ist, kann sie ein Schutzschild gegen leere Glücksversprechen sein, die alle Verantwortung dem Einzelnen zuschieben, ohne die Gesellschaft oder den Zufall noch als Verursacher in Betracht zu ziehen.
Schlechte Laune kann eine Form von emotionalem Widerstand sein, ein Aufbegehren gegen die vermeintliche Kalkulierbarkeit unserer Psyche, ein fruchtbarer Störfall. Noch dazu ist schlechte Laune der Modus unzufriedener Schnelldenker, Alltagsanarchisten und besessener Lebenskünstler, wie man an Isaac Newton, Arthur Schopenhauer, Ludwig van Beethoven, Lou Reed und Helmut Schmidt ebenso sehen kann wie an fiktiven Querköpfen wie Donald Duck, Ekel Alfred, Dr. House, Herrn Lehmann oder sämtlichen „Tatort“- Kommissaren.
Dass Typen wie der gemütlich mürrische Münsteraner Hauptkommissar Frank Thiel oder sein explosiv übellauniger Kollege Peter Faber aus Dortmund regelmäßig Höchstquoten erzielen, belegt, dass kaum etwas unterhaltsamer ist, als anderen dabei zuzusehen, wie sie sich durchs Leben muffeln. Vorausgesetzt, ein gewisser Sicherheitsabstand ist gegeben. Dass ausgerechnet die Kriminalisten so verdrießlich auf all das Elend schauen, mit dem sie Tag und Nacht konfrontiert sind, ist natürlich kein Zufall. Nicht nur weil sie permanent durch menschliche Abgründe waten, die wir anderen nur aus der gemütlichen Wohnzimmerperspektive kennen, sondern weil sie als gute Ermittler Sinn für Details brauchen. Und der ist, so hat der australische Sozialpsychologe Joseph Forgas in Versuchen herausgefunden, in negativer Stimmung eindeutig höher ausgeprägt.
„Bei allem Brauchbaren, was ich je produziert habe, erinnere ich mich genau an meine schlechte Laune“
Abgesehen davon erhöht diese „Geisteshaltung“, wie die millionenschwere Katze Grumpy Cat ihren Zustand mal beschrieben hat, nicht nur nachweislich die Aufmerksamkeit. Eine gewisse Unstimmigkeit ist geradezu Voraussetzung, um überhaupt ins Grübeln, Erfinden oder Philosophieren zu kommen. Anders als es der Mythos vom musengeküssten Genie oder dem glücklichen Selbstverwirklicher will, ist kreative Arbeit nämlich ganz schön anstrengend und meist von heftigen Schlechte-Laune-Anfällen durchsetzt.
„Bei allem Brauchbaren, was ich je produziert habe, erinnere ich mich genau an meine schlechte Laune“, schreibt der vielfach ausgezeichnete Künstler und Illustrator Christoph Niemann unter einer seiner Zeichnungen. „Schlimmer noch, wenn mir die Arbeit Spaß macht, werde ich sofort misstrauisch, denn ich weiß, da kann nichts Gutes rauskommen.“ Wer gut drauf ist, schreibt keine Kritik der reinen Vernunft, sondern kauft sich ein Eis und legt sich in die Hängematte. Oder wie mir der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann sagte: „Wer sich freut, denkt nicht.“
Denkende und damit auch grantige Menschen sind häufig nicht nur kreativer, sondern auch vertrauenerweckender und attraktiver. Vorausgesetzt, ihr Missmut bezieht sie selbst mit ein, ist also selbstironisch und damit geistreich und witzig. Ganz im Gegensatz zur larmoyanten Muffigkeit bestimmter gesellschaftlicher und politischer Gruppen, die sich in ihrem Beleidigtsein zusammenrotten, allen anderen die Schuld an ihrer vermeintlichen Benachteiligung geben und im Grunde nur auf verquere Weise um Aufmerksamkeit betteln. Derartige Motive sind der guten schlechten Laune vollkommen egal.
„Schlechte Laune hat ein schlechtes Image, warum eigentlich?“
Niemals würden sich ihre Anhänger in Gruppen, Vereinen oder Parteien zusammenschließen, das widerspräche zutiefst der streng individualistischen Verfasstheit dieser rauen Gemütslage. Schlechte Laune lässt sich nicht mit anderen teilen, denn meistens sind es ja gerade die anderen, die einem mit ihren Unarten und lästigen Angewohnheiten die Stimmung verhageln.
„Schlechte Laune hat ein schlechte Image, warum eigentlich?“, twittert der Lebenskunst-Philosoph und Bestsellerautor Wilhelm Schmid. „Mühelos sind da- mit andere auf Distanz zu halten.“ Wer grummelig und miesepetrig ist, will seine Ruhe haben vor anderen und nicht zuletzt vor sich selbst. Um zu diesem einfachen Bedürfnis zu stehen, braucht es ein gesundes Selbstbewusstsein und den Mut, auch mal anzuecken, weshalb manche Firmen inzwischen lieber Mitarbeiter einstellen, die nicht nur optimistisch auf die Welt schauen, sondern, sagen wir mal, realistisch. Sollte sich also demnächst mal wieder ein leises Grummeln in Ihnen ausbreiten, genießen Sie es.
Da sie ohnehin rasch wieder vergeht, darf man sich auch gut fühlen mit seiner schlechten Laune: anarchisch, unerzogen und wild. Denn wie ein Freund von mir neulich meinte: „Gelassenheit ist der angemessene Umgang mit dem Unverfügbaren, schlechte Laune ist das Aufbegehren gegen das Unverfügbare.“ Diesen Luxus muss man sich hin und wieder gönnen. Entschuldigen kann man sich hinterher immer noch.