Diesem Mann verdanke ich meine ersten erotischen Träume. Es ist das Jahr 1977, als die ARD seinen Sonntags-Tatort sendet, der nicht nur aufgrund eines brisanten Plots zu einer der meistwiederholten Folgen der legendären Krimi-Reihe wurde. Geht es beim Fall für Kommissar Finke doch um ein intimes Verhältnis zwischen einem Gymnasiallehrer und seiner minderjährigen Schülerin. Sina Wolf, eine 16-Jährige aus reichem Hause, wird von einem Mitschüler in Flagranti beim Sex mit ihrem Lehrer ertappt. Mitschüler Michael droht Sina damit, das verbotene Treiben öffentlich zu machen, und lockt die schöne Klassenkameradin in den Wald. Dort kommt es zur Tragödie. Mitschüler Michael versucht Sina zu vergewaltigen. Sina wehrt sich und erschlägt ihren Peiniger im Affekt.
Die junge Gymnasiastin wird gespielt von der damals 15-jährigen Nastassja Kinski. Der Tatort „Reifezeugnis“ macht die Tochter des stets zwischen Genie und Wahnsinn wandelnden Filmexzentrikers Klaus Kinski über Nacht berühmt. Und bringt einen zehnjährigen Jungen aus Geretsried mit ihrer Lolita-haften Ausstrahlung um seinen jugendlichen Schlaf.
Aber auch der „Reifezeugnis“-Regisseur selbst war fasziniert von seiner jungen Hauptdarstellerin: „Als ich sie zum ersten Mal sah, sie war erst 15, dachte ich: Die musst du nehmen. Sie hat eine Magie zwischen Frau und Kind. Das Gesicht ist so toll, da bleibt einem die Luft weg, wenn ich die angucke. Wir wussten alle: Das wird ein Star.“ Er sollte Recht behalten.
Was bei Wolfgang Petersen auf „Reifezeugnis“ folgte, ist vor allem eines: ganz großes Kino!
Er, das war der bis dato als Fernseh-Regisseur tätige Wolfgang Petersen. Und auch für den damals 36-Jährigen bedeutete der Tatort Nummer 73 den Durchbruch. Wurde über „Reifezeugnis“ nur kontrovers diskutiert, löste seine Regiearbeit „Die Konsequenz“, ebenfalls aus dem Jahr 1977, einen handfesten Skandal aus. Der Bayerische Rundfunk schaltete sich aus der Übertragung aus, weil ihm das Thema des Films – Homosexualität – als ungeeignet für das heimische Publikum erschien. Vier Jahre später sollte in München dennoch jene Raketenstufe gezündet werden, die Wolfgang Petersen nicht nur zum erfolgreichsten deutschen Filmregisseur machte, sondern ihn über Deutschland hinaus direkt nach Hollywood befördern sollte. Und damit hinein in den Kino-Olymp. „Das Boot“, nach dem gleichnamigen Zweiter-Weltkriegs-Roman von Lothar-Günther Buchheim und gedreht in den Münchner Bavaria-Studios, wird auch in den USA zum Kassenschlager.
Was danach folgt, ist wohl am besten so zu beschreiben: ganz großes Kino! Die unendliche Geschichte (1984), In the Line of Fire (1993), Outbreak (1995), Air Force One (1997), Der Sturm (2000) oder auch Troja (2004) lassen weltweit die Kino-Kassen klingeln. Er dreht mit Clint Eastwood, Harrison Ford, Dustin Hoffman, George Clooney, Orlando Bloom und Brad Pitt. Wenn Peterson ruft, erscheinen sie alle. So wird der deutsche Filmemacher für die Hollywood-Studios zur Gelddruckmaschine.
Seine „Reise durch die Welt“ ist zu Ende – seine filmischen Werke bleiben unsterblich
2016 kommt der deutsche Hollywood-Held für ein Remake seiner TV-Komödie „Vier gegen die Bank“ aus dem Jahr 1976 zurück in seine Heimat. Er kann für seine Kino-Neuverfilmung die deutschen Schauspieler Til Schweiger, Matthias Schweighöfer, Jan Josef Liefers und Michael „Bully“ Herbig gewinnen. Apropos: Wolfgang Petersen gewinnt in seiner Karriere zwar keinen Oscar (trotz sechs Nominierungen für „Das Boot“), wird aber ansonsten mit allen Auszeichnungen überhäuft, die die hiesige Film- und Unterhaltungsindustrie zu vergeben hat. Deutscher Filmpreis, Bayerischer Filmpreis, Goldene Leinwand, Bambi, Goldene Kamera und so weiter. Aber auch die Politik erweist ihm die Ehre. 1987 wird der Regisseur mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse geehrt. Und auch den Bayerischen Verdienstorden darf sich der Vielgerühmte um den Hals hängen.
Am 12. August erlag Wolfgang Petersen jetzt im Alter von 81 Jahren in seinem Haus im kalifornischen Brentwood einem Krebsleiden. Seine „Reise durch die Welt“, wie er sein Leben mal in einem Interview beschrieb, ist zu Ende. Seine filmischen Werke bleiben unsterblich.
Kino heißt träumen.
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