Auf der Terrasse von Peter Grandls Haus im bayerischen Voralpenland, wo wir uns zum Playboy-Interview setzen, wirkt die Welt überaus friedlich. Ganz anders als in den Büchern und Filmen des Schriftstellers: Da platzen Terroristen und Rechtsextreme in den vermeintlichen gesellschaftlichen Frieden, und alles, was wir für sicher halten, steht auf dem Spiel. Der 60-jährige ehemalige Chef einer Werbeagentur steht aktuell mit der Verfilmung seines Thrillers „Turmschatten“ im Rampenlicht: Beim Internationalen Filmfest München feierte die Serie mit Heiner Lauterbach ihre Welturaufführung, bald soll sie für das breite Publikum zu sehen sein.
Herr Grandl, ein ehemaliger Mossad-Agent, der drei Neonazis in einem Hochbunker als Geiseln gefangen hält und die Bevölkerung live abstimmen lässt, wen er töten soll – das ist der Plot Ihres Thrillers „Turmschatten“, den es bald auch als TV-Serie geben wird. Wie kamen Sie auf so eine krasse Idee?
Ich wollte schon lange etwas über die Entwicklung des Rechtsradikalismus seit dem Zweiten Weltkrieg und die gefährliche Verführungskraft des Nazi-Gedankenguts schreiben. Material hatte ich genug, aber es sollte auf keinen Fall ein trockenes Sachbuch werden. Ich überlegte ewig herum, wo die packende Story spielen könnte, und dann hatte ich eines Tages überraschend Glück: Ein Freund von mir lud mich ein, den Hochbunker anzuschauen, den er gerade gekauft hatte und in dem er nach einem Umbau wohnen wollte. Als ich in diesem unheimlichen Gemäuer in der Nähe von München stand, spürte ich: Das ist es. Hier passiert es.
Was genau hat Sie überzeugt?
Das Ding sah aus wie ein mittelalterlicher Wehrturm: etwa 25 Meter hoch mit drei Meter dicken Stahlbetonwänden. Innen war es kalt und düster, vor allem in den unteren Stockwerken. Alles wirkte beengt und furchterregend, und Licht kam vor dem Umbau nur durch kleine Lüftungsschlitze. Wie sich herausstellte, hatten die Nazis den Bunker gebaut. Das Giebeldach auf dem Bunker war nur Tarnung und nicht zugänglich. Mein Freund baute das letztlich komplett um und machte eine lichtdurchflutete obere Etage daraus. So ähnlich sieht es auch in meinem Thriller und jetzt in der Verfilmung aus. Fast so, als käme man von unten aus einer Gruft nach oben in eine Art Himmelreich.
Dort oben lebt Ephraim Zamir, ein 70-jähriger Jude, gespielt von Heiner Lauterbach. Was ist das für eine Figur?
Zamir wirkt auf die Nachbarn, die ihn als freundlichen Bewohner des Turms kennen, wie ein sympathischer alter Herr. Er grüßt freundlich und genießt ansonsten seine Ruhe. Doch in ihm brodelt es. Er hat Auschwitz überlebt und als Mossad-Agent weltweit Nazis gejagt. Eigentlich hatte er vor, friedlich von seinem Turm aus auf die Welt zu blicken und die Gewalt für immer hinter sich zu lassen. Doch dann passiert etwas Einschneidendes, und Zamir fällt zurück in seine Abgründe, er wird rachsüchtig und manipulativ, und er scheut sich nicht, gewalttätig zu werden. So entsteht die Geiselnahme und sein irrer Plan, per Livestream über das Schicksal der Neonazis abstimmen zu lassen.
Klingt nach einem untypischen und schwierigen Charakter. Heiner Lauterbach hat das nicht abgeschreckt?
Im Gegenteil. Gerade die Ambivalenz der Figur hat ihn fasziniert. Er war sofort begeistert, als ich ihm 2012 eine erste Fassung eines Drehbuchs zeigte und ihm sagte, dass ich ihn als Idealbesetzung von Ephraim Zamir sehe. Er ist ein fantastischer Schauspieler, besitzt aber auch für sein Alter diese physische Präsenz, um Zamir glaubwürdig spielen zu können. Lauterbach ist zwar 71, aber topfit, sehnig, drahtig, schnell und hellwach im Kopf. Genauso wie meine Hauptfigur.
Peter Grandl im Playboy-Interview: „Ich wusste, dass ich eine besondere Geschichte hatte“
Es hat also zwölf Jahre gedauert, bis die Verfilmung im Kasten war?
Sie können sich nicht vorstellen, was das für eine Achterbahnfahrt war. 2010 habe ich begonnen zu schreiben und später, nach Lauterbachs Zusage, einigen Produktionsfirmen den Stoff angeboten. Doch allen war der Plot zu heiß, zu brisant. Ein ambivalent erscheinender Jude, der Neonazis gefangen hält und per Liveübertragung über Leben und Tod abstimmt? Das war offenbar undenkbar. Ein Filmproduzent meinte: „Wenn’s schon ein Buchbestseller wäre, könnten wir vielleicht noch mal drüber sprechen.“ Ich schrieb dann eine Leseprobe von circa 100 Seiten und bot sie Verlagen an. Doch ich stieß auf ähnliche Ablehnung. „Das wird nicht funktionieren“, hieß es immer wieder. Aber ich wusste, dass ich eine besondere Geschichte hatte, und ich wollte sie nicht versanden lassen. Also habe ich fünf Jahre lang recherchiert und weitergeschrieben und während der Zeit den Thriller Kapitel für Kapitel kostenlos auf der Online-Plattform Wattpad veröffentlicht. Das kam bei meiner wachsenden Followerschaft sehr gut an und gipfelte darin, dass „Turmschatten“ 2019 von dieser Community als bester Thriller mit dem Watty-Award ausgezeichnet wurde.
Dennoch gab es zu diesem Zeitpunkt noch immer weder ein gedrucktes Buch noch eine Verfilmung.
Stimmt. Aber dann ging es Schlag auf Schlag. Ein kleiner Verlag veröffentlichte das Buch leicht gekürzt – ausgerechnet während Corona, dann versteigerte eine Literaturagentur die Rechte neu, und der Thriller erschien groß bei Piper im Sommer 2022 erstmals in der Originalfassung. Die SZ widmete dem Buch den Aufmacher im Kulturteil, und plötzlich gab es mehrere Interessenten für die Filmrechte. Siebenstellige Produktionskosten waren nun kein Problem mehr, und 2023 begannen die Dreharbeiten unter der Regie von Hannu Salonen mit einem großartigen Cast, zu dem auch Klaus Steinbacher, Désirée Nosbusch, Milena Tscharntke, Anja Herden und Murathan Muslu gehörten. Das Drehbuch habe ich zusammen mit Christian Limmer geschrieben.
Das hat Sie offenbar nicht ausgelastet: Nebenbei schrieben Sie mit Til Schweiger am Drehbuch zu „Manta Manta 2“ und veröffentlichten zwei weitere Thriller. Woher haben Sie diesen Drive?
Ich bin ein Kreativer, und ich muss immer etwas schaffen, tun, kreieren. Das hat mir geholfen, bei „Turmschatten“ durchzuhalten, auch wenn meine Familie schon genervt von meinem Dauereinsatz war und nur noch abwinkte: „Das wird doch sowieso nichts mehr!“ Aber was soll ich sonst tun? Rumhängen? Nein. Sobald ich mich nur berieseln lasse, wird es mir langweilig, und ich werde unruhig. Dann muss ich wieder an einem meiner Projekte arbeiten oder mich an meine Synthesizer setzen.
Man munkelt, Sie hätten eine der originellsten Synthie-Sammlungen Deutschlands.
(Lacht) Das halte ich für ein Gerücht. Aber ja, in meinem Keller gibt es ein Tonstudio, das bis unter die Decke mit Synthies vollgestapelt ist. Alle sind angeschlossen, es blitzt und funkelt, und ich liebe es, dort unten Klänge zu erzeugen, Sequenzen zu starten. So in Richtung Kraftwerk, Vangelis oder Tangerine Dream, die verehrten Götter meiner Jugend. Meine Sammlung ist jedoch rein gar nichts gegen die Sammlung von Hans Zimmer. Nachdem er „Turmschatten“ gelesen hatte, lud er mich zu sich nach London ein. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus. Wenn jemand ein Synthie-Wahnsinniger im positiven Sinne ist, dann er!
Wie kam es denn zur Zusammenarbeit mit Til Schweiger?
Til hatte „Turmschatten“ auf Instagram und Facebook in die Kamera gehalten und wortwörtlich erklärt: „Zum zweiten Mal gelesen, Mega-Buch!“ Tatsächlich sind daraufhin die Verkäufe nochmals enorm angestiegen. Ich hab mich natürlich bedankt, und Til meinte nur: „Du musst dich nicht bedanken, war doch selbstverständlich.“ So kam es, dass er mich spontan zu sich nach Mallorca eingeladen hat. Wir hatten ein paar tolle Tage, und bei meiner Abreise drückte er mir das Drehbuch zu „Manta Manta – Zwoter Teil“ in die Hand. „Lies mal, und sag mir deine Meinung.“ Noch im Flieger hab ich ein paar Dialoge geändert und ihm zurückgeschickt. Er fand sie richtig gut. Aber erst Monate später, einen Tag vor Weihnachten, kam ein Anruf von Constantin-Film, die mich fragten, ob ich nicht Lust hätte, das ganze Buch mit Til nochmals zu überarbeiten. Und klar hab ich sofort zugesagt. Drei Tage später war ich wieder auf Mallorca, diesmal aber zum Arbeiten.
Wie war die Zusammenarbeit mit Til Schweiger dann?
Sehr, sehr energetisch, denn normalerweise schreibe ich im stillen Kämmerlein. Mit Til saß ich aber gemeinsam vor einem Laptop, den wir uns immer hin- und hergeschoben haben. Einer hat geschrieben, dann hat der andere verbessert oder einen neuen Vorschlag gemacht. Und das immer hin und her. Nach zwei Wochen waren wir durch. Das war eine extreme Erfahrung, weil Til so eine Power hat, da musst du erst mal dagegenhalten können, aber wir haben uns in den zwei Wochen auch richtig gut kennengelernt, und ich schätze Til wirklich sehr. Ich kenne kaum einen Menschen, der geradliniger ist als er, und trotzdem ist er ein guter Zuhörer, gesteht jederzeit ein, wenn er falsch liegt, und ist wirklich ein feiner Typ.
Liegt Ihnen denn Comedy? Ich meine, „Turmschatten“ und „Manta Manta 2“ sind ja diametrale Welten.
Mein erster Roman war eine Comedy, ist aber noch unveröffentlicht. Und aktuell arbeite ich an zwei Comedy-Projekten, einer Serie und einem Spielfilm. Ohne Til hätte man mich wahrscheinlich für immer auf die dramatische Schiene festgelegt.
Zurück zu den Dreharbeiten von „Turmschatten“: Wurde der Originalturm Ihres Freundes als Setting genutzt?
Nein, denn die Anwohner wären dagegen auf die Barrikaden gegangen. Schließlich war klar, dass es im Rahmen der Dreharbeiten nicht nur Kampfszenen im Turm geben würde, sondern auch drum herum Zugriffe der GSG9 mit Hubschrauber, Massenaufmärsche und Demonstrationen – all das steht sowohl in meinem Roman als auch im Drehbuch. Also wurde der Turm komplett nachgebaut auf einem Hügel in der Nähe von München, wo früher einmal eine Flakstellung war. Wie sich herausstellte, hatte sich der riesige Aufwand in mehrfacher Hinsicht gelohnt, denn vor den Dreharbeiten, als der Filmturm im Bau war, gab es einen ernsthaften Zwischenfall.
Was ist passiert?
Unbekannte zerschnitten in der Nacht die Starkstromleitung und versuchten, den Turm in Brand zu setzen, das misslang letztendlich – wir vermuten, dass Neonazis von dem Projekt Wind bekamen und es sabotieren wollten. Von diesem Zeitpunkt an durften alle Beteiligten aus Sicherheitsgründen nicht mehr davon sprechen, dass dort „Turmschatten“ gedreht wurde. Stattdessen wurde vereinbart, die Produktion „Sommerzeit“ zu nennen. Daran mussten sich alle Schauspieler, Techniker und Statisten halten, auch in E-Mails. Ausgerechnet ich selbst verstieß gegen diese Vereinbarung, als ich einmal bei den Dreharbeiten war und mit Statisten sprach. Ich versuchte, sie zu beruhigen, da sie in einer Demonstrationsszene – als Linksradikale verkleidet – zu stark auf die ebenfalls nicht echten Neonazis einprügelten. Sie sehen, die Emotionen kochten sogar bei der Umsetzung meines brisanten Stoffes hoch (lacht). Es half, dass ich den Statisten meinen Namen und meinen Thriller „Turmschatten“ nannte – einige kannten das Buch und wollten gleich Selfies mit mir machen. Zum Glück haben sich alle an die Verschwiegenheitserklärung gehalten.
Basieren die Action-Szenen auf Ihrem Buch, oder wurde für die Verfilmung noch einmal kräftig an der Gewaltschraube gedreht?
Für den Film wurden keine zusätzlichen Action- oder Gewaltszenen erfunden, aber jedes Medium hat seine eigenen Gesetze, und dazu zählt, dass eine sechsteilige Thriller-Serie natürlich mehr Tempo braucht als ein 600-Seiten-Roman. Viel Nebel, viel Rauch, viel Action und jede Menge Cliffhanger, so funktioniert das TV- und Streaming-Genre, und das finde ich auch völlig in Ordnung. Im Buch hatte ich mehr Platz für die menschlichen Dramen und konzentrierte mich auf die Facetten der Persönlichkeiten, hab das aber nicht weniger spannend umgesetzt.
Heiner Lauterbach verkörpert perfekt den Kontrast zwischen Rache und Vergebung, zwischen Gewalt und Friedfertigkeit, und man glaubt, ihm die inneren Abgründe anzusehen. Haben Sie auch beide Pole in sich?
Früher vielleicht. Ich bin im Münchner Glasscherbenviertel Hasenbergl aufgewachsen, da war Gewalt nicht selten. Auch daheim nicht: Wenn ich mit schlechten Noten nach Hause kam, gab’s Prügel. Als ich sechs war, stand einmal eine Teenager-Gang um mich herum und meinte: „Dein Fahrrad schenkst du uns jetzt, gell!?“ Ich sagte Nein, kassierte ein blaues Auge und war mein Fahrrad los. Seitdem war klar, dass es Situationen gibt, in denen du keine Chance hast, ein vernünftiges Gespräch zu führen, um einen Konflikt beizulegen.
Peter Grandl im Playboy-Interview: „In all meinen Büchern geht es um die Brüchigkeit der Demokratie“
In Ihrem dritten Roman, „Höllenfeuer“, geht es um einen islamistischen Anschlag in München. Was verbindet Ihre Werke?
In all meinen Büchern geht es um die Brüchigkeit der Demokratie – so auch in „Höllenfeuer“. Der darin beschriebene Anschlag in einer Münchner U-Bahn ist der Auftakt zu einem Szenario, das an den 11. September in New York erinnert. Ich glaube, wenn etwas in dieser Größenordnung heute in Deutschland passiert, wird der Ruf nach einer vermeintlich starken Hand noch lauter, der Rechtsruck noch stärker. Genau von dieser Gefahr handelt „Höllenfeuer“, damit sich hoffentlich ein Szenario wie 1933 nicht wiederholt. Man darf sich einfach nicht auf Populisten einlassen. Diese Botschaft möchte ich überall platzieren, vor allem auch auf dem Schulhof bei den jungen Leuten, denn die sind besonders gefährdet, von rechten Parolen verführt zu werden.
Sie schreiben gerade an einem neuen Thriller, der 2025 erscheinen wird. Geht es wieder um ähnlich brisante Themen?
Das kann man wohl sagen. Ich habe im Rahmen meiner Recherche vor Kurzem mit Piloten von Kampfflugzeugen gesprochen. Die sind in einer Jagdstaffel und rund um die Uhr einsatzbereit. Die Luftverteidigung ist eines der Themen im Buch, und ich habe recherchiert, wie der weltweite Amateurfunk funktioniert und wie Medien wieder ohne Internet Nachrichten verbreiten könnten. In meinem Szenario müssen wir nämlich zurück ins analoge Zeitalter, um uns zu retten. Denn die digitale Welt wird zusammenbrechen – zumindest in meinem neuen Thriller.
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