„Anfang des Jahres erlebten wir Entsetzen, Apathie, Depression, einen Albtraum“, schreibt Vlad Ivanenko, Chefredakteur des ukrainischen Playboy, als wir ihn per Mail erreichen. Seit Beginn des russischen Großangriffs hat er sein Heimatland nicht verlassen und erlebte unter anderem zwei Explosionen rund 500 Meter von seinem Haus entfernt mit. Trotz andauernder Angriffe und nicht abreißender Gewalt gibt er sich zuversichtlich und tapfer. Sirenen höre er heute weniger als noch vor einigen Monaten, schreibt er. „Vorher hörten wir sie fast jede Stunde. Das ist nicht der beste Sound der Welt, an ihn kann man sich nicht gewöhnen. Wir sind nach wie vor wir im Fluss der Nachrichten über tägliche Explosionen in den Regionen. Aber uns erreichen auch immer mehr Nachrichten über die Errungenschaften unserer Armee. Das weckt Selbstvertrauen und den Wunsch, hier in meinem Land etwas zu schaffen. Jetzt sind wir endlich siegessicher. Und das nicht nur, weil uns die ganze Welt hilft, sondern weil die Menschen in der Ukraine härter, stärker und selbstbewusster geworden sind.“
Genau sechs Monate ist es her, dass russische Truppen einen Großangriff auf die Ukraine starteten. Dramatischer könnte das Halbjährige des Angriffs nicht sein: Denn am 24. August feiern Ukrainerinnen und Ukrainer einen Nationalfeiertag. An diesem Tag vor 31 Jahren erklärte das Land seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. „Normalerweise gibt es an diesem Tag große Feste und Konzerte in der ganzen Stadt“, schreibt Vlad Ivanenko. „Auch wir veranstalten normalerweise eine Playboy-Party, die sich dem wichtigsten Gut widmet, das wir haben – der Unabhängigkeit.“ Doch bei aller Zuversicht stellen sich er und seine Landsleute in diesem Jahr darauf ein, dass alles anders sein wird. „Die Regierung riet dazu, die Stadt an diesem Tag zu verlassen. Sie erwartet Provokationen, Terroranschläge und Explosionen.“
Vlad Ivanenko, Chefredakteur Playboy Ukraine: „Der Inhalt, den wir einst gemacht haben, ist nicht mehr da“
Seit rund 15 Jahren ist der Playboy in der Ukraine vertreten, elf davon ist Vlad Ivanenko Chefredakteur. Gemeinsam mit einem Team aus rund zehn Festangestellten und 30 Freelancern beschäftigt er sich im Zeichen des Hasen mit den schönen Dingen des Lebens – eigentlich. Schrieb er uns im März noch, dass sie „ein so wunderbares Magazin nicht wegen eines Haufens Verrückter an der Macht einstellen“ würden, lauten seine Zeilen trotz persönlicher Zuversicht und Siegessicherheit anders: „Wir haben die Arbeit im Magazin im direkten Sinne eingestellt. Der Inhalt, den wir einst gemacht haben, ist nicht mehr da.“ Gewohnter Playboy-Inhalt wich in den letzten Monaten den Zeichen des Krieges: Statt Ausgaben, wie wir sie gewohnt sind, veröffentlichte Playboy Ukraine mit „Playboy: The War“ eine Ausgabe, die ausschließlich Bilder des Krieges zeigt, und widmete sich in einer weiteren erst kürzlich ukrainischen Künstlern. „Wir planen, bis Ende des Jahres ein paar weitere Projekte zu realisieren, sie befinden sich in der Entwicklung.“
Im September plant Ivanenko, die Aktivität auf den sozialen Netzwerken wieder aufzunehmen, schreibt er. Ansonsten drehe sich ein Großteil der täglichen Kommunikation mit seinem Team darum, zu erfahren, wie es einander ergeht. „Im Moment rufen wir uns einfach an und finden heraus, wie es dem anderen geht. Manchmal teilen wir Ideen für besondere Projekte, die wir definitiv umsetzen werden.“
„Frauen bleiben stark“: Das steckt hinter dem Hilfsprojekt von Playboy Ukraine
Eines der besonderen Projekte ist die Gründung ihrer Hilfsorganisation „Frauen bleiben stark“. „Seit den ersten Kriegstagen leiden ukrainische Mädchen und Frauen unter den Ereignissen in der Ukraine: Wunden im Gesicht und am Körper, verlorene Glieder, Verbrennungen und Narben. Wir wollen die Welt auf den Preis aufmerksam machen, den die Ukraine und ihre Menschen in diesem Krieg zahlen und den Frauen zeigen, dass sie noch immer die Schönsten der Welt sind.“ Also starteten unsere ukrainischen Kollegen ein Fotoprojekt, zu dem Frauen und Kriegsopfer eingeladen werden. „Weiterhin wollen wir durch eine internationale Online- und Offline-Fotoausstellung Spenden für die Rehabilitation verletzter Frauen sammeln und das erste Rehabilitationszentrum in der Ukraine unterstützen.“
Genau das, schreibt Ivanenko, habe ihn das letzte halbe Jahr gelehrt: Jeden Tag, an dem man aufwacht, dankbar dafür zu sein, dass man lebt. „Nach sechs Monaten sieht man unseren Leuten an, dass sie wieder zum Leben erwachen und beginnen, ihre kreative Arbeit wieder aufzunehmen“, schreibt er und richtet sich mit einer entschlossenen Aussage an die Welt: „Denn ihr könnt unsere Häuser, unser Leben zerstören – doch den Willen, frei zu sein, werden wir nie verlieren.“
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