Mehr als die Hälfte seines Lebens arbeitet Markus Essing schon für das US-amerikanische Tabakunternehmen Philip Morris. Seit mehr als sechs Jahren sogar ganz oben. Als Deutschland-Chef verantwortet der gebürtige Bocholter hierzulande die Geschicke des global agierenden Milliardenkonzerns. Nach 31 Jahren soll jetzt aber Schluss sein. Bevor er sich bald neuen Herausforderungen stellen will, zog der 51-Jährige im Playboy Bilanz. Ein Gespräch über große Transformationen und kleine Laster.
Sie feiern 2024 zehnjähriges Jubiläum Ihres Tabakerhitzers. Warum ist IQOS eine Erfolgsgeschichte?
Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir begonnen haben. Da hatten wir ein paar Innovatoren und interessierte Nutzer, aber auch jede Menge Leute, die sich gefragt haben: Was ist das denn jetzt bitte? IQOS war ein sehr unerwartetes Produkt: eine schadstoffreduzierte Alternative zur Zigarette, ein Tabakerhitzer. Jetzt, zehn Jahre später, haben wir in Deutschland mehr als eine Million Nutzer, wenn man das mal ganz trocken formuliert. Man kann aber auch sagen, wir haben eine Million Fans. Weltweit sind es übrigens fast 22 Millionen.
Wie werden die Feierlichkeiten ablaufen?
Wir werden auch unsere Fans involvieren. Zum einen gehen wir zurück zu den Anfängen nach Japan, genauer Tokio. Dort wird es eine beeindruckende Veranstaltung geben, zu der wir natürlich auch ein paar IQOS-Lover aus Deutschland mitnehmen werden.
IQOS wurde ja erst zwei Jahre nach der Premiere in Japan in Deutschland eingeführt. Was unterscheidet denn den deutschen Konsumenten vom asiatischen?
Asiatische Konsumenten sind in der Regel erst mal total begeistert, wenn es etwas Neues und Innovatives gibt, während in Deutschland erst mal alles auf seine Rationalität überprüft wird. Zum Zweiten herrscht in Japan eine sehr kollektivistische Kultur, wo man sehr viel Rücksicht auf andere nimmt. Rauchgeruch hat die japanischen Konsumenten schon immer sehr beschäftigt, und hier hatte man mit IQOS eine Lösung, um auf sein Gegenüber auch in puncto Hygiene mehr Rücksicht nehmen zu können. Die reduzierte Rauchentwicklung war aber nur ein Nebeneffekt. Das eigentliche Ziel war, eine um 95 Prozent weniger schadstoffhaltige Alternative zur Zigarette zu entwickeln.
Japaner sind im Vergleich zu Deutschen also deutlich innovationsfreudiger und rücksichtsvoller?
Das muss man wohl so sagen, ja.
Wir haben uns vor genau fünf Jahren schon mal zum Interview getroffen. Damals sagten Sie, es gäbe bei Philip Morris zu IQOS keinen Plan B. Mussten Sie die Strategie inzwischen anpassen?
Nein, mussten wir nicht. Die Geschwindigkeit, mit der IQOS in den einzelnen Märkten wächst, ist natürlich immer unterschiedlich. Aber überall dort, wo wir sind, ist IQOS eine Erfolgsgeschichte. Insofern mussten wir die Strategie nicht anpassen. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter – und zwar mit einem weiteren rauchfreien Produkt, einer E-Zigarette. Rund 40 Prozent vom weltweiten Nettoumsatz haben wir im vierten Quartal 2023 inzwischen mit schadstoffreduzierten oder rauchfreien Produkten wie IQOS gemacht.
Wie steht Deutschland da im weltweiten Vergleich?
Mit einer Million Nutzer liegen wir im weltweiten Vergleich bei rund fünf Prozent, während Deutschland mit 84 Millionen Einwohnern nur ein Prozent der Weltbevölkerung stellt. Wir sind also sehr gut unterwegs.
Was sind Ihre mittelfristigen Ziele?
Wir haben gesagt, dass wir bis 2030 bei mehr als 66 Prozent Nettoumsatz mit rauchfreien Produkten sein wollen. Und unsere Unternehmensphilosophie ist es, unsere Versprechen auch zu halten. Am Ende entscheiden aber immer die Konsumentinnen und Konsumenten, welches Produkt sie wählen, da wollen wir gar nicht übergriffig sein.
Philip-Morris-Chef Markus Essing im Playboy-Interview: „Weltweit haben wir 22 Millionen Fans“
Wir sprachen uns das letzte Mal im Jahr 2019. Da ahnte noch niemand, dass eine weltweite Pandemie das Leben in vielen Bereichen vollkommen verändern sollte. Corona und seine Folgen haben auch die Arbeitswelt verändert. Nach dem Motto „Remote statt vor Ort“. Menschen halten sich seitdem zum Arbeiten häufiger in den eigenen vier Wänden auf. So ist auch der Anteil der Raucher in Deutschland laut einer Langzeitstudie seit Beginn der Corona-Pandemie wieder gestiegen. Und zwar um fast zehn Prozent. Hat sich das veränderte Rauchverhalten auch auf das Dampfverhalten der Menschen ausgewirkt?
Wir sind mit IQOS tatsächlich auch in der Pandemie stark gewachsen. Wir wachsen aber ebenso heute nach Corona, und zwar sehr dynamisch.
Eine persönliche Frage: Sie sind schon vor Jahren von der Zigarette auf IQOS umgestiegen. Haben Sie in den letzten fünf Jahren einen Rückfall gehabt?
Nein, hatte ich nicht. Jedoch bringt Philip Morris ja neben IQOS auch immer wieder mal eine neue Tabakmischung für herkömmliche Zigaretten auf den Markt. Und dann möchte ich schon wissen, wie die schmeckt. Aber ich bin einfach nicht mehr kalibriert, würde man wohl technisch sagen. Ich bin als Geschmackstester nicht mehr geeignet.
Philip Morris steckt Milliarden in die Forschung von IQOS und Verbrenner-Alternativen. Wichtigstes Verkaufsargument dabei, dass Heater deutlich weniger gesundheitsschädlich sein sollen als klassische Zigaretten. Die WHO wiederum verweist in ihrer Erklärung darauf, dass sich bei Tabakerhitzern kein geringeres Risiko für die menschliche Gesundheit ergebe als bei herkömmlichen Zigaretten. Was sagen Sie dazu?
Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat seinerseits unsere Angaben, dass IQOS 95 Prozent weniger Schadstoffe erzeugt, eindeutig bestätigt. Es gibt aber viele weitere Aussagen, zum Beispiel vom Royal College of Physicians in England, die ebenfalls bestätigen, dass Alternativen wie E-Zigaretten deutlich schadstoffreduzierter sind als herkömmliche Zigaretten. Die englische Regierung hat sogar eine Kampagne gestartet, „Swap to Stop“, bei der Rauchern kostenlos E-Zigaretten angeboten werden.
Das Tabakwerbeverbot schränkt die kommunikativen Möglichkeiten für die Tabakindustrie deutlich ein. Anfang 2024 gab es eine weitere Gesetzesverschärfung. Gleichzeitig hat der Bundestag jetzt eine Liberalisierung des Cannabis-Konsums beschlossen. Thema legales Kiffen. Wie passt das für Sie zusammen?
Solange ein Werbeverbot nicht in ein Informationsverbot mündet, können wir damit gut leben. Die Zeit der großen Kampagnen ist ohnehin vorbei. Was das Cannabis-Thema betrifft: Ich habe drei Kinder, die zwischen 13 und 19 Jahre alt sind. Deshalb verfolge ich ebenfalls mit großem Interesse die Diskussion um Marihuana. Ich verstehe die Absicht, das Ganze hier ein Stück weit zu liberalisieren. Insbesondere was das Thema Minderjährige betrifft, bin ich aber schon besorgt.
Eröffnet sich mit der Liberalisierung von Cannabis & Co. für Philip Morris nicht aber auch ein völlig neues Geschäftsfeld?
Unser Geschäft ist ja so schon reichlich kontrovers (lacht). Zum anderen wird der Markt, der da jetzt eröffnet wurde, bewusst unkommerziell gehalten.
Das ist vermutlich nur der erste Schritt. Es gibt viele Unternehmen, die bereits mit den Füßen scharren und in dem neuen Markt eine Goldgrube sehen ...
Zu dieser Art von Unternehmen gehören wir nicht. Philip Morris International prüft Cannabis-Anwendungen, die in eine rein medizinische Richtung gehen.
Als neues Geschäftsmodell von Philip Morris?
Über die medizinische Komponente hinaus ist in dieser Richtung von uns nichts geplant.
Philip-Morris-Chef Markus Essing im Playboy-Interview: „Wir sind mit IQOS auch in der Pandemie stark gewachsen“
Rauchen galt lange Zeit in der Gesellschaft als cool, als Ausdruck von Nonkonformität. Und das nicht nur in der Popkultur, sondern auch in Intellektuellenkreisen. Helmut Schmidt ist da ein prominentes Beispiel. Bilder von Raucher-Ikonen wie James Dean, Marlon Brando oder auch Keith Richards hingen als Poster in vielen Jugendzimmern. Wann wird erstmals ein Poster mit einem IQOS dampfenden Popstar Kult?
In der Aufzählung fehlt natürlich noch Humphrey Bogart (lacht). Ich kann tatsächlich nicht sagen, ob IQOS jemals Kult wird. Was ich aber sagen kann, ist, dass IQOS schon jetzt einen Riesentrend gesetzt hat.
Viele Menschen hadern dennoch mit dem Zeitgeist. E-Zigarette statt filterlose Gauloises, E-Roller statt Harley-Davidson, Quinoa-Bowl statt Mettbrötchen. Sehen Sie das ebenfalls kritisch?
Überhaupt nicht. Ja, ich bin auch ein Genussmensch. Aber auch ich habe eine Entwicklung hinter mir. Mit 20 oder 30 Jahren hat man das Gefühl, es kann einem aber auch gar nichts anhaben, egal, ob man lange ausgeht oder kräftig beim Barbecue zulangt, trinkt oder raucht. Jetzt mit 50 merke ich einfach, dass Entscheidungen Konsequenzen haben. Deshalb bin ich auch deutlich überlegter in meinem Konsumverhalten. Aber auch darin, wie ich mit meinem Körper umgehe, wie viel Sport ich mache.
Thema Selbstoptimierung?
Damit, das Leben bewusster zu gestalten, hadere ich wie gesagt gar nicht. Im Gegenteil. Da bin ich tatsächlich mittendrin. Klar, das hört sich manchmal etwas verkopft an und nimmt vielleicht eine gewisse Leichtigkeit. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das eine Frage des Zeitgeistes ist oder ob Leute wie ich nicht einfach inzwischen zu einer anderen Generation gehören. Und ob die jungen Leute diese Leichtigkeit und diesen Spaß sehr wohl haben.
Laut einer aktuellen Studie tun sich Menschen, die angeben, Raucher zu sein, schwerer bei der Partnersuche als Nichtraucher. Werden Raucher damit zu nicht vermittelbaren Außenseitern in unserer Gesellschaft?
Ich stehe nicht im Verdacht, dass ich als Beziehungsexperte infrage komme und dazu wertvolle Tipps geben kann. Was die meisten beim Rauchen stört, ist der Zigarettenrauchgeruch. Und das Problem existiert bei IQOS oder bei unserem neuen Produkt VEEV nicht.
Sie haben gerade Ihre Neueinführung erwähnt. Wie unterscheidet sich die E-Zigarette VEEV von IQOS?
VEEV unterscheidet sich schon dadurch von IQOS, dass hier kein Tabak zum Einsatz kommt, sondern ein Liquid. Wir steigen damit ja vergleichsweise spät ein in den Markt der E-Zigaretten. Umso mehr ist unser Anspruch, die Beste auf den Markt zu bringen – mit Technologie, optimalem Geschmack und Qualität. Wir haben knapp zwölf Milliarden US-Dollar in die Forschung und Entwicklung zu allen rauchfreien Alternativen gesteckt.
Sind die Nutzer von E-Zigaretten nicht deutlich jünger als jene von Tabakerhitzern? Liegt da nicht auch eine große Gefahr, sehr junge Menschen nikotinabhängig zu machen?
Ja, es gibt hier tatsächlich eine ganz beunruhigende Entwicklung. Es sind sehr viele Einweg-E-Zigaretten im Markt mit quietschbunten Aufmachungen, die sehr stark die unter 18-Jährigen ansprechen. Das Problem haben wir selbst schon häufiger öffentlich angeprangert. Es gibt darüber hinaus aber noch einen anderen Trend: Raucher, die sagen, nee, ich will eine E-Zigarette nutzen, denn die kommt mit sehr viel weniger Schadstoffen daher. In unserem Fall sind das etwa 99 Prozent.
Philip-Morris-Chef Markus Essing im Playboy-Interview: „Ganz ohne Genuss wäre das Leben ja doch auch ein bisschen freudlos“
Was dürfen wir noch erwarten in diesem Jahr?
Worauf ich mich wirklich sehr freue, sind die Unexpected Voices. Bei der Event-Plattform IQOS Together X Music werden wir mit bekannten Künstlern kooperieren und hoffen damit, sehr viele Menschen zu einem bisher einzigartigen Musikerlebnis zusammenzubringen. Kernthema wird ein riesiger Chor aus IQOS-Konsumentinnen und -Konsumenten sein. Eine Aktion wie diese hat es so in der Größe noch nicht gegeben.
Sie sind seit rund 30 Jahren bei PM, im siebten Jahr sogar als Deutschland-Chef an der Spitze des Konzerns. Kürzlich haben Sie angekündigt, den Vorstandsposten abzugeben. Wie fällt Ihre ganz persönliche Bilanz aus?
Der Ausstieg ist wohl überlegt, langfristig geplant und vor allem mit großer Dankbarkeit. Es ist Zeit, eine Pause einzulegen – insbesondere für meine Familie, aber auch für meine sportlichen sowie privaten Ziele und Projekte. Auf die gut 30 Jahre bei Philip Morris blicke ich natürlich sehr gerne zurück – die waren super! Ich durfte den zweiten Teil der Marlboro-Geschichte mitgestalten: eine hedonistische und im besten Wortsinne abenteuerreiche Zeit. Viel wichtiger und daher auch präsenter sind die letzten Jahre, in denen ich die ersten Teile einer unvergleichlichen Unternehmenstransformation mitgestalten und -verantworten durfte: den Übergang von Philip Morris in eine rauchfreie Zukunft, beginnend mit der Marke IQOS.
Sie sind jetzt Anfang 50. Was sind Ihre Pläne? Neuer Vorstandsposten oder Weltreise?
Bevor ich höhere Positionen übernehme, nehme ich mir erst mal sehr viel Zeit für meine Familie. Daneben habe ich noch ein paar ganz andere – vielleicht überraschende – Pläne. Ich möchte zurück zu den Wurzeln, sprichwörtlich. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, und das Thema Ackerbau fasziniert mich bis heute. Hier werde ich als Nächstes mit anpacken. Dazu gehört aber auch die Führerscheinprüfung T. Der ist für richtig große Traktoren bzw. Abenteuer.
Sie selbst betreiben sehr intensiv Ausdauersport. Eigentlich ein Widerspruch zum Thema Rauchen. Wie passt das zusammen – und welches Laster leisten Sie sich persönlich?
Da ich auch ein Genussmensch bin, kann das vieles sein. Chips, Schokolade, Rotwein, Bier. Aber natürlich auch Tabak in Form von IQOS. Ich versuche es jedoch, so zu dosieren, dass meine sportliche Leistungsfähigkeit dadurch nicht total unterminiert wird. Aber ganz ohne Genuss wäre das Leben ja doch auch ein bisschen freudlos.
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