Stromaufwärts: Das kann die neue elektrische G-Klasse von Mercedes
Es ist dieser satte Sound der Türen, wenn sie ins Schloss fallen. Kein anderes Auto lässt sich so einfach am Klang des Türschließens identifizieren wie ein Mercedes-Benz G-Klasse. Das Urvieh strahlt heute noch eine Unverwüstlichkeit aus, die ihresgleichen sucht: schwere Türen, dicke Scharniere und robuste Türgriffe. Ein aus dem Vollen gefrästes Auto mit Leiterrahmen, hinterer Starrachse und Ersatzrad am Heck. Robust, stark und extrem geländegängig. Ein Auto, dessen Entwicklung vor über 45 Jahren begann und das stetig aktualisiert wird. Nein, das ist kein SUV. Das ist ein echter Geländewagen.
Dazu schafft das G-Modell etwas, das im Automobilbau äußerst selten ist: Trotz Modernisierung sieht der G noch aus wie Ende der 70er-Jahre, nur irgendwie frischer. Eine Form wie aus einer anderen Zeit: eckig, ganz ohne Rundungen. Mehr Gefechts- als Freizeitfahrzeug. Und das nicht ohne Grund: Die G-Klasse wurde einst für Armeen und Behörden entwickelt, machte unter anderem bei der Bundeswehr als „Wolf“ Karriere. Wo ein G-Modell mit seinen drei mechanischen Sperren und Geländeuntersetzung nicht mehr durchkommt, kommt nur noch ein Leopard durch. Gemeint ist nicht das Tier, sondern der Kampfpanzer.
Mercedes G-Klasse: Die dritte Generation des Offroaders ist modernisiert
Nun modernisiert Mercedes-Benz seinen Offroader in der dritten Generation, spendiert ihm nicht nur eine leicht frischere Optik und etwas mehr Komfort, sondern gleich einen ganz neuen Antrieb. Neben Diesel und Benziner treiben den G nun auch Elektromotoren an – gleich vier an der Zahl.
Mit einem großen Schritt nach oben entere ich den Fahrersitz. Die Türen schließen im G 580 EQ, wie der Elektro-G offiziell genannt wird, gewohnt mit einem lauten „Klong“. So wie es sein muss. Und hinterm Steuer wandelt sich die Vorfreude direkt in Begeisterung: Die Hände umklammern das dicke Lenkrad, die Augen schweifen über die digitalen Instrumente, massiven Schalter, akkuraten Nähte und das viele Leder. Nettes Detail: Die Belüftungsdüsen gestaltet Mercedes in der Optik der Rundscheinwerfer.
Statt von einem kleinen aufgesetzten Cockpit lesen Piloten alle Infos von zwei Displays ab. Direkt hinterm Lenkrad ist ein Display, das unter anderem den Tacho anzeigt, in der Mittelkonsole ruht ein 12,3-Zoll-Touchdisplay fürs Entertainmentsystem. Im Gelände wird es zum digitalen Manöversystem mit allen Infos zu Steigung, Höhenlage, Lenkwinkel, Drehmoment, Leistung, Reifendruck, Status der Differenzialsperren sowie zur „transparenten Motorhaube“. Das ist ein neues Feature, womit der Pilot über verstecke Kameras den Untergrund unter seinem Vorderwagen sehen kann – was nicht nur praktisch, sondern ziemlich cool ist.
Mercedes G-Klasse: Bis heute der Urwater moderner Geländewagen
Trotz ihrer militärischen Vergangenheit hat es Mercedes-Benz über die Jahre geschafft, die G-Klasse immer weiter zu veredeln und komfortabel auszustatten. Zusammen mit dem Range Rover (seit 1970) und dem Toyota Land Cruiser (seit 1951) gilt die G-Klasse als Urvater moderner Geländewagen. Dank Allradantrieb, hoher Karosserie und robustem Innenraum kommen die Fahrzeuge nicht nur überall durch, sondern bieten auch mehr Komfort als bisherige Modelle. Allerdings mutierte der ehemals spartanisch ausgestattete G-Mercedes so auch zum Prunkwagen für Oligarchen, Scheichs und Yuppies. Statt grobstolliger Reifen, Seilwinden und seitlich montierter Sandbleche sorgen bis zu 605 PS, Komfortledersitze, Fernseher und eine Klimaautomatik für satte Verkaufszahlen.
Optisch unterscheidet sich die Elektro-Version G 580 EQ von den Verbrennern kaum. Klar, der Drehzahlmesser fehlt, aber ein brummender Sound dringt dennoch durch die Fahrerkabine. Und statt der Tasten für die drei mechanischen Differenzialsperren und die Geländeuntersetzung für hartes Gelände findet man neue Schalter: für enge Kurven (G-Steering), für 720-Grad-Drehungen (G-Turn) und für die Low-Range- Geländeuntersetzung mit Offroad-Crawl. Doch dazu später mehr.
Mercedes G-Klasse: Testfahrt in der vollelektrischen Variante
Im „Roar“-Modus wummern wir mit dem Elektro-G los, massieren angenehm die Gehörgänge. Die E-Motoren reagieren sehr direkt und schieben den Geländewagen mit insgesamt 587 PS spielend auf der Straße an. Aus dem Stand schafft es der G in nur 4,7 Sekunden auf Tempo 100, seine Höchstgeschwindigkeit liegt bei 180 km/h.
Doch die neue Technologie macht sich vor allem im Gelände bemerkbar: Die Software der E-Motoren regelt die Kraft individuell, sodass auch unerfahrene Offroader einfach einen steilen Berg hochkommen. Gang einlegen, Modus wählen, Schaltpedal ziehen – und schon beißt der G sich wie eine Bergziege steinige Steigungen hinauf. Die vier Motoren mit je 108 Kilowatt und 291 Newtonmeter Drehmoment arbeiten pro Rad, lassen sich einzeln steuern und regeln. Ganz ohne Differenzial verteilen die E-Motoren die Kraft passend. Bei zurückhaltender Fahrweise fließt aus dem 116-kWh-Akku, geschützt und verpackt in einem wasserdichten Gehäuse in der Mitte des Leiterrahmens, Energie für bis zu 473 Kilometer Streckenlänge.
In dem Offroad-Gelände in der Nähe der französischen Kleinstadt Narbonne kraxeln sonst gerne Unimogs oder Experten der französischen Armee durch die Berge. Doch das französische Offroad-Gelände ist auch ein ideales Terrain für den G. Hier kann er zeigen, was er kann. Und das ist viel: 45-Grad-Steigungen klettert der Benz hoch, die Bodenfreiheit liegt bei mindestens 24,1 Zentimetern und die Wattiefe bei bis zu 85 Zentimetern. Als wir den Fluss durchqueren, rauscht Wasser durch die Radkästen, schwappt leicht über die Motorhaube – doch der Benz zieht gemütlich und ruhig seine Bahn.
Dank adaptiver Dämpfer bleibt der G noch im härtesten Gelände erstaunlich ruhig – viele Nick- und Wankbewegungen schluckt das Fahrwerk einfach weg. Während der Fahrt lässt sich dank der E-Motoren bis zu 40 km/h die Untersetzung zuschalten. Und dank G-Steering kommt auch keine Panik vor der nächsten engen Kurve auf, denn damit mutiert die große G-Klasse gefühlt zum Kleinwagen. In engen Kurven und auf losem Untergrund blockiert das hintere innere Rad und dreht den Geländewagen so ein, dass sich der Wendekreis minimiert.
Mercedes G-Klasse: Der Begriff Panzer ist gleich in mehrfacher Hinsicht ganz treffend
Noch krasser reagiert der elektrische G beim sogenannten G-Turn: Taste drücken, Schaltpedal am Lenkrad ziehen, Lenkrad festhalten und Gas geben. Auf einer Seite des Benz drehen die Räder in entgegengesetzter Richtung zu den Rädern auf der anderen Seite. Wie ein Panzer dreht sich dann der Geländewagen um die eigene Achse. Das ist nicht nur eine nette Spielerei für Social-Media-Poser – es kann in unwegsamem Gelände manchmal durchaus von Vorteil sein, insbesondere wenn es nach vorne nicht mehr weitergeht und es gilt, den Wagen auf der Stelle umzudrehen und einen neuen Weg zu suchen.
Der Begriff Panzer ist gleich in mehrfacher Hinsicht ganz treffend. Immerhin stramme 3085 Kilogramm wiegt der G 580 EQ – und zwar leer. Nur weitere 415 Kilogramm können noch zugeladen werden, und ein Anhänger lässt sich am Elektro-G leider auch nicht befestigen.
Mercedes G-Klasse: Testfahrt im neuen Achtzylinder
Wir haben vorerst genug vom leisen elektrischen Gleiten und steigen in den lächerliche zwei PS schwächeren, dafür aber knapp eine halbe Tonne leichteren Verbrenner G 63 AMG um. Laut und fast schon obszön brüllt der 4,0-Liter-V8-Kompressor und demonstriert damit seine Kraft auf der Straße. Mit seinen 585 PS und 850 Newtonmetern Drehmoment beschleunigt das 2,6 Tonnen schwere Gefährt in 4,4 Sekunden auf 100 km/h. Besitzer mit freigeschalteter Tankkarte fahren stressfrei bis 220 km/h, per AMG-Performance-Option sogar bis zu 240 km/h erweiterbar (zur Erinnerung: Beim Elektro-G war bereits bei 180 km/h Schluss). Dafür darf man sich bei häufigen Kick-downs auch nicht wundern, wenn der Verbrauch schnell über 20 Liter auf 100 Kilometer klettert.
So viel Power freut zwar Hip-Hopper und Styler. Aber der eigentliche technische Leckerbissen des AMG ist das neue elektronisch-hydraulische Active-Ride-Control-AMG-Fahrwerk. Über den Drehring am unteren Rand des Lenkrads ändert der Pilot die drei Stufen der Active Balance Control. Je nach Einstellung bietet es große Verschränkungsmöglichkeiten für anspruchsvolle Offroad-Etappen oder ein knüppelhartes und präzises Fahrwerk für den schnellen Ritt auf der Autobahn. Selbst meterhohe Sprünge wie bei einer Rallye-Wertungsprüfung steckt das Fahrwerk ohne Probleme und Radlastschwankungen weg. So viel Spreizung ist bei Serienautos eher die Ausnahme.
Mercedes G-Klasse: Zu den größten Stärken zählt sein permanenter Allradantrieb
Zu den größten Stärken des G 63 AMG zählt sein permanenter Allradantrieb. Bei den Verbrennern sorgen drei 100-Prozent-Differenzialsperren und eine Starrachse für freies Fahren selbst durch hartes Gelände. Nur Unimog und Leopard können dem G 63 AMG hier das Wasser reichen. Außerdem lassen sich mit diesem brachialen Urvieh bis zu 3,5 Tonnen ziehen. Gemütliches Fahren mit Sportanhänger inklusive Pferd oder Boot im Schlepptau – kein Problem. Als Zugfahrzeug eignet sich übrigens der G 450 d mit geschmeidigen 367 PS starkem 6-Zylinder-Diesel oder der G 500 (mit 449 PS) noch etwas besser.
Fazit: Das kann die neue Mercedes G-Klasse
Generell bleibt festzuhalten: Wie schön, dass es überhaupt noch solche archaischen Autos gibt! Egal, ob mit E-, Benzin- oder Dieselmotor. Die elektrische G-Klasse mit ihren über drei Tonnen Leergewicht fährt leise, komfortabel und buddelt sich dank der vier E-Motoren vielleicht sogar noch gewaltiger durch den Schlamm als die Verbrenner-Variante. Es ist einfach unfassbar, wie gut die E-Motoren im Gelände zusammenarbeiten. Und auch die neuen Funktionen wie G-Steering und G-Turn sind sowohl praktisch als auch spektakulär. Nur die geringe Zuladung und die begrenzte Höchstgeschwindigkeit passen nicht zum vermeintlichen Alleskönner.
Die Verbrenner hingegen fahren auf der Straße deutlich schneller, können deutlich mehr transportieren, lassen sich ohne lange Wartezeit volltanken – und begeistern außerdem durch einen tollen Sound. Billig sind jedoch beide Varianten nicht. Der Elektro-G beginnt bei schlappen 142.621 Euro, noch mal rund 50.000 mehr muss man für einen G 63 AMG drauflegen. Darin lässt sich dann aber auch das Gaspedal voll durchtreten, der Sprunghügel wie Colt Seavers nehmen und die nächste Linkskurve wie in einem WRC-Rallyewagen durchdriften.
Noch schöner ist es höchstens, wenn man wie ich die Chance hat, einmal in eine G-Klasse der ersten Generation zu steigen. Diese Oldtimer-Geländewagenverlangen zwar eine harte Hand und deutlich mehr fahrerisches Können, vermitteln aufgrund ihrer Direktheit aber auch deutlich mehr Fahrgefühl. Was jedoch immer gleich bleibt: Beim Einsteigen und Schließen der Türen hört man dieses satte „Klong“. G bleibt eben G. Robust und unverwüstlich.
Mercedes G-Klasse: Die Fakten
Geschwindigkeit: 180 km/h
Leistung: 587 PS
Drehmoment: 1164 Nm
0–100 km/h: 4,7 Sekunden
Wattiefe: 850 mm
Gewicht (EU): 3085 kg
Preis: 142.621 Euro
Geschwindigkeit: 220 km/h
Leistung: 585 PS
Drehmoment: 850 Nm
0–100 km/h: 4,4 Sekunden
Wattiefe: 700 mm
Gewicht (EU): 2640 kg
Preis: 189.329 Euro